Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Chicken Bus durchbricht…
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Die Altstadt von Antigua wirkte dagegen wie eine Schlaftablette, die leise in einem Glas Adelheid vor sich hin zischelt, während um sie herum die Vorstandssitzung eines verwelkten Buchverlages dabei zusieht, wie die Sonnenstrahlen langsam über den wuchtigen Mahagoni-Tisch des schwach beleuchteten Raumes wandern; nur das Ticken einer antiken Wanduhr verletzt die seidene Stille.
Wenn ich sage „Altstadt von Antigua“, dann scheint mir das irreführend, denn im Prinzip ist das bereits die ganze Stadt, lediglich umschwärmt von kleinen Satellitendörfern wie vorsichtig meditierende Bienen um eine matronenhaft bröckelnde Blüte aus windschiefem Kopfsteinpflaster, das sich wie Sedimentgestein in den Gassen zu sammeln scheint.
Ähnlich wie San Cristóbal in den südlichen Höhen von Mexiko lag sie vor mir eingebettet in einen Ring aus Bergen sowie makellos und stolz posierenden Vulkanen. Jedoch fehlte ihr jene unterschwellige Faszination und künstlerisch-alternative Lebendigkeit, die ihr zwillingshaftes Geschwister jenseits der Grenze auch nach Wochen noch auf mich ausübte.
Ihr fehlte es an einer gesunden Portion sozialen Drecks und Umtriebs, alles erschien irgendwie zu geleckt, zu oberflächlich, zu glatt.
Wenn man ein Kontinuum aufspannen wollte mit München an einem Ende und Berlin am anderen, so tendiert San Cris deutlich in Richtung unserem ravenden Dicken B, während Antigua es sich in einem Münchner Biergarten unter Kastanienlicht zwitschernd gemütlich macht.
Damit spreche ich meiner alten Wahlheimat eine gewisse Lebendigkeit gewiss nicht ab: man muss nur ins Schlachthofviertel, ins Westend oder rauf nach Giesing, und nicht wenige wünschen sich schnell wieder zurück in den klimpernden und funkelnden Schaukasten der Maximilianstraße. Aber generell gesprochen springt einem der Rinnstein nicht so schmerzhaft ins Gesicht wie im Falle des hippen Nordlichtes.
Soll heißen, ich habe das Gefühl, dass man für Antigua mehr Zeit und Leute braucht, um seine geheimen Ecken ans schwitzende Tageslicht zu locken, die ich jedoch nicht aufzubringen imstande war. Sie ist hübsch, und es machte durchaus Spaß, gedankenverloren durch die einmal mehr bunten Straßen zu wandern.
Immer wieder entzückten leuchtende, blühende Büsche an Häuserwänden meine im Sonnenlicht blinzelnden Augen, und überall erstrahlten die Jacaranda-Bäume in seidig violetter Pracht.
Angeblich sind die hier gar nicht heimisch, sondern wurden, von allen unmöglichen Orten, ausgerechnet aus Australien eingeschleppt! Auf der Suche nach einer haarsträubenden Erklärung bleibt mein Hirn jedoch öd und leer.
Stolze Kirchenfassaden, des Nachts sphärisch beleuchtet, und zerfallende Ruinen zieren die Blocks der Avenidas und ihrer Calles im rechten Winkel, wo sich die Häuser wie zum Schutz eng aneinander drängen. Moosbefleckte Schindeldächer liegen achtlos darauf verstreut wie Mandelsplitter auf einem Kuchen.
Aber nach drei, vier Tagen hat man denn auch sämtliche Himmelsrichtungen ausgelotet inklusive dem netten Mirador auf dem Kreuzhügel. Das Städtchen verfügt zwar über verwilderte Parks und üppige Gärten, jedoch werden sie gefangenhalten hinter verschlossenen Mauern oder wie ein Schatz eifersüchtig gehütet von Etablissements der Haute Cuisine und exklusiven Hotelresortspaßedeln, gollum.
Ich hatte noch Glück mit der Wahl meines Viertels um das angesagte, aber entspannte „El Hostal“ mit seinem plätschernden Springbrunnen im Innenhof, denn in jener Straße tummelten sich ein angemessen chaotisch aussehender Bücherwurmladen, das alternativ undergroundige „Café No Se“ sowie ein nettes Eckstüberl mit Karotten-Cranberry-Avocado-Muffins und selbst gemachtem Bananenbrot.
Allesamt umgab sie der fahl wabernde Dunst einer Art Cooperativa-Decke, unter der sie alle zu stecken schienen. Nicht zu vergessen der vergleichsweise günstige Inder Schrägstrich Türke Schrägstrich Israeli mit seinen leckeren Falafels und Curries. Schon klar, es ist geschmacklich wie auch kilometermäßig ähnlich weit von Indien entfernt, aber es sind Kichererbsen und eine herzhafte Soße, wollen wir mal nicht zu spießig sein.
Was mir allerdings vor Schreck und Unglauben die Augen tränen ließ, war der Moment, als ich mit meinem Blick langsam über die mit Bildern, Flyern und Plakaten verhangenen Wände schweifte und unversehens an einer Tafel kleben blieb, auf der ein Wort unmissverständlich und lohend prangte: „Oettinger“.
Ww-wawa-WAS?? Die Buchstaben, welche ich soeben langsam und zitternd einzeln aufgezählt hatte, um sicher zu gehen, dass es sich um keine irgendwie geartete Illusion handeln möge -oh BITTE!-, fielen mir aus meinen spastisch zuckenden Händen, als es keinen Zweifel und kein Entrinnen mehr gab und der finale Schock einsetzte.
Ich konnte regelrecht spüren, wie das Trauma an der Rezeption meines Unterbewusstseins höflich nach einem Zimmer für die Ewigkeit fragte: Endlosschleife und Teufelskreis auf dem Gang? Kein Problem, Hauptsache billig! Wichtig: Kostenloses wifi ins limbische System, sehr wohl der Herr.
Erdinger okay, Paulaner, Löwenbräu, alles schon gesehen und schon lange nicht mehr der Rede wert, aber von allem räudigen Fusel, den es auf der Welt gibt, importieren die ausgerechnet Oettinger?! Himmelherrgott noch einmal, was muss denn noch alles passieren, bevor die Menschheit endlich vernünftig wird?
Jesses, wenn ich sowas sehe, dann fang’ ich aber wieder gehörig das Zweifeln an und frage mich allen Ernstes, ob wir als Menschheit nicht doch eine furchtbar falsche Richtung eingeschlagen haben?:
„Stopp! Sackgasse. Das mit dem Homo sapiens läuft sich tot, rotten wir ihn besser aus, bevor noch ein Unglück passiert.“ – Im Ernst, was kommt als Nächstes? Ein McDonald’s in einem Gebäude unter Denkmalschutz??
Tatsache, nur fünf Blocks weiter sitzt er da, grinsend und selbstgefällig, der gelbe Ronald McD. auf einer adretten Bank vor einem weiteren Springbrunnen inmitten eines begrünten Innenhofes. Wie ein eiterndes Geschwür hat sich das Fast Food-Monster da eingenistet und hebt feixend die Welt aus den Angeln.
Ich zahle es ihm zähneknirschend heim, indem ich mich heimlich in eine ruhige Ecke setze und ausgiebig von seinem wifi und seinen Toiletten schmarotze, ohne auch nur lapprige Pommes oder lauwarmen Kaffee zu bestellen.
Ha, finstere Schurken sind wir…
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Bitte umblättern: Kakao oder…
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht