Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Blickwinkel…
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Eines Tags hopste ich spontan auf einen Shuttle-Bus nach Tikal. Lustigerweise sparte mir diese unwillkürliche Entscheidung kurz vor Abfahrt 25 Quetzales, weil ich die Ticketkontrolleurin etwas aus der Bahn warf, als ich ihr scheu eröffnete, dass ich keines vorgebucht hatte. Wie frech!
Sie blickte sich verstohlen um, hieß mich kurz warten, bis sie die restlichen Teilnehmer durchgewunken hatte, und knöpfte mir dann inoffiziell lediglich zwei Drittel des Fahrpreises ab.
Wie sehr mich drei gewonnene Euro doch erfreuen können! Klar, 25 Quetzales klingt nach mehr, aber trotzdem, das ist schon leicht ballaballa.
Auch ein großes Thema für mich, das leidige Geld.
Ach herrje, meine Freunde, das kommt jetzt alles knüppeldick, und ich will Euch weiß Gott nicht langweilen mit meinen innergesichtigen Eskapaden, aber der ganze Schmodder muss einfach auch mal raus. Haltet durch, bleibt bei mir oder klickt die Psycho-Seiten einfach weg, wenn‘s Euch nicht taugt.
Aber es ist schon so, Verlust in jedweder Form fällt mir redlich schwer: Menschen, Dinge, Augenblicke, vor allem aber der schnöde Mammon, wie schon Terence Hill zu sagen pflegte. Alles nur Lug und Trug, und doch der qualmende und stinkende Motor des Lebens, unserer Daseinsberechtigung und alles definierende Bedingung.
Das muss jetzt freilich paradox klingen, da ich an anderer Stelle freimütig davon berichtet habe, dass mich der Tod eines Menschen nicht wirklich aus der Fassung zu bringen vermag.
Was ist es also, dass dieses einschneidenste aller Ereignisse im Leben außen vor lässt? Was ist es, das den großen Radierer selbst aus meinen Verlustängsten ausnimmt?
Vielleicht weil danach schlicht und ergreifend alles egal ist und keine Regel dieser schwierigen und komplizierten Welt mehr zählt? Weil es am Ende gar… eine Erleichterung darstellt?
In Wahrheit habe ich keine Ahnung, nur eine hohle Ahnung.
Also ja, Guatemala scheint sich als ein großer Lehrmeister zu entpuppen.
Das ist das Ding für mich mit Reisen nach Lateinamerika im Allgemeinen! Selbstredend wunderschön und faszinierend, aber mit recht scharfen Ecken und Kanten, in seiner Fülle widerspenstig und kratzbürstig wie eine feurige, pralle Diva, von der man besser die Finger lässt, wenn man sich nicht verbrennen will.
Die exotische Anmut und Pracht von Tikal brachte mich jedoch auf andere Gedanken.
Doch widerstrebt es mir, mich in redundanten und ermüdenden Beschreibungen von Gebäuden, Tempelanlagen und der allgegenwäritgen Dschungelromantik zu ergehen, wenn Bilder es soviel einfacher und besser verdeutlichen können.
Was nicht heißen soll, dass ich es dabei bewenden lassen will.
Ich wanderte also durch den Busch, gesprenkelt mit diesen sagenhaften grau-weißen Stufenpyramiden aus Stein, die skurrilerweise eher aussahen wie Thronsitze uralter Riesen; ein unheimlicher Gedanke nahezu.
Hier war weniger los und viel weniger durchorganisiert als in vergleichbaren Stätten in Mexiko, aber mit zwanzig Euro Eintrittsgeld doch abartig teuer.
Während ich gedankenverloren dahinschlenderte, raschelte es auf einmal verdächtig im Geäst über mir. Ich blickte nach oben ins Dickicht aus Blättern und erspähte nach einiger Zeit tatsächlich ein paar alte Freunde, obwohl es sich in diesem Fall um Klammeraffen zu handeln schien.
Ad hoc verzaubert und zum ersten Mal nach fünf langen Tagen – so kam es mir zumindest vor – wieder unbeschwert lächelnd stand ich da und renkte mir fast den Hals aus, um die lustigen Zeitgenossen ausgiebig zu beobachten. Etwas später legte ich sogar auf die nackte Erde, um sie aus einem entspannteren Blickwinkel betrachten zu können.
Da oben turnten sie selbstvergessen herum, ein Kleines war auch dabei. Als sie mich entdeckten, wurden sie erst fuchtig und schrien mich zornig an; ich sollte es ja nicht wagen, in ihre Nähe zu kommen! Oder sonst. Wie keifende Waschweiber mit angelegtem Nacken und gesträubtem Fell sahen sie aus.
Sie hüpften aufgeregt hoch und runter, um mich einzuschüchtern und erreichten mit ihrer ungewollt drolligen Charlie Chaplin-Nummer natürlich genau das Gegenteil, denn ich schmunzelte bis über beide Ohren und gluckste vergnügt bei diesem Anblick.
Als sie aber merkten, dass ich keine Gefahr darstellte und mir nicht der Sinn danach stand, mit dem komischen, silbernen Knochen in meinen Händen über sie herzufallen, entspannten sie sich und begannen wieder damit, ihren hängenden Tätigkeiten nachzugehen.
Im Stillen dankte ich ihnen für die belustigende und aufmunternde Vorstellung und begab mich sodann auf den bis auf das Zirpen der Grillen und dem aufgebrachten Kreischen der Papageien friedlichen Platz der Sieben Tempel.
Ein bunt schillernder Truthahn oder so folgte meinen gemächlichen Schritten und ließ sich dabei ganz ungeniert ablichten, so als ob er sich seinem prachtvollen Gewand nur zu bewusst sei und ein Gebaren an den Tag legte, das zu sagen schien: „Ich weiß, dass ich großartig bin, findet mich ruhig toll, aber das juckt mich nicht die Bohne.“
Zum ersten Mal machte ich eine genüssliche Pause, setzte mich auf eine erhöhte Tempelplattform und atmete tief die Umgebung in mich ein.
Es war auch das erste Mal, dass ich versonnen auf die Uhr schaute, um im nächsten Moment etwas weniger versonnen meine Kippe auszudrücken und die unangenehm steilen Stufen hinunter zu stolpern, um den letzten Bus nicht zu verpassen…
Die verzaubernde Vorstellung meiner entfernten Verwandten hat mich doch glatt die Zeit vergessen lassen im unwiderstehlichen Sog des Moments. Was ja meistens gut ist, aber es gibt eben auch Zeiten, die wegen so einer Lappalie gleich eingeschnappt sind und es einem ewig nachtragen.
Auf meinem hektischen Rückweg (So hoffte ich zumindest, denn ich hatte weder eine Karte noch den blassesten Schimmer, wo genau auf dem ausgedehnten Areal ich mich gerade befand.) entdeckte ich bestürzt die magische Lichtung der „Lost World“. Weitere Pyramiden, groß, mächtig und Ehrfurcht gebietend, doch ich rauschte nur vorbei, Tränen der Reue zerstoben im Wind und verfingen sich in meinen wehenden Haaren.
Meine Kamera feuerte wild nach allen Seiten, ein verzweifeltes Flankenfeuer im hohen Dienste der Erinnerung. „Shit, da oben ist der Sunset-Spot! Sieht geil aus, keine Zeit!!
Keine Zeit, Tempel III, was?, Palast hier, Anlage dort?, shitshitshit, wo ist überhaupt der Ausgang?? Ooooh Mann, ich komm’ zu spät, wohin-muss-ich-was-soll-ich-nur- DA ist ein Schild!“
Im fünften Gang und mit brennenden Schuhsohlen ballerte ich wie der Ghost Rider auf dem Highway der Birkenstock-Pioniere und verchromten Offroad-Stöckelschuhe Richtung grünem Exit. Mein Abschied von Tikal war mir viel zu hektisch und unbesonnen, aber was hilft‘s, wenn die Realität der Welt realer ist als die meine?
Doch es war zu spät. Es standen zwar noch Menschen am Straßenrand und warteten, jedoch gehörten sie nicht zu meiner Gruppe. Wow. „Krass, ich hab’ tatsächlich meinen Bus verpasst. – Naja, ich werd’ schon irgendwie heimkommen, zur Not zahl’ ich halt drauf.“
Hee, was ist das? Ein anderer Bus kommt des Wegs, dessen Fahrer mich ganz entspannt darauf hinweist, dass meiner mit źiemlicher Sicherheit um die Ecke auf dem Busparkplatz chillt. Ich biege also um dieselbe und siehe da, in dem Bus chillten auch die Fahrer: „Ist das mein Bus nach Flores, kennt Ihr mich noch?“ – „Ja logo.“ – „Geil! Das heißt, ich kann bei Euch mitfahren?“ – „Ja logo.“ – „Endsgeil!“
Zurück am Straßenrand raunzt mich ein Unsymphat an, ob ich auch in dem Bus mitfahren will. „Der weiße?“ – „Siii. Aber oooh, ob wir noch Platz haben, ich weiß ja nicht.“ ??? „Und oooh, hast Du überhaupt ein Ticket?“ ???!!! „Nein? Nuuuun, dann musst Du wohl zahlen müssen, nicht wahr?“
Die ganze widerwärtige und zum Kotzen künstlich aufgetragene Leier hat er wohl in irgendeiner schlechten Soap aufgeschnappt und noch schlechter kopiert. Wer ist der Arsch überhaupt, hat der irgendwas zu sagen?
Wie sich herausstellte, hatte er das tatsächlich nicht und wollte sich nur wichtig machen.
Egal, das einzige was zählte war, dass ich nach Hause kam. Am Ende hatte sich meine Gruppe nur eine Zeitlang im nahe gelegenen Restaurant versteckt, nachdem sie sich den Sonnenuntergang angeschaut hatten.
…Ja, mein Tourenfluch hatte wieder einmal zugeschlagen.
Dafür hatten sie die spider monkeys verpasst. HA! – Und ich bin doch cooler.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht