Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Wendet die Pfannen…
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Was noch? An einem Wochenende gab es ein kleines Jazz-Festival auf einem Platz vor einer netten Kirchenfassade. Gerade als wir ankamen, heizte eine maskierte Band mit treibenden Drum-Beats ein, die aussahen wie eine Kulturdelegation vom Planet der Affen. Nicht alle Bands konnten was, aber es gab eine fantastisch wildgewordene Marimba, die von einer frenetisch schrammenden Gitarre sowie einem coolen Girl am gezupften Bass begleitet wurde.
Bei der letzten Band zum Beispiel wusste man nicht, ob sie schon spielten oder noch den Soundcheck machten. Es schien nahtlos und unmerklich ineinander überzugehen und wenig darüber hinaus.
Also zogen wir weiter in ein zapatistisches, ganz klar, Kulturzentrum, wo eine schwitzende Combo aus Veracruz mit mexikanischem Folk aufwartete, bei dem man unmöglich still bleiben konnte. Ich musste bei meinem ausgelassenen Tanzen etwas die Handbremse anziehen, denn wenn ich aufrecht stand, war ich gerade so zwischen Decke und Boden eingespannt.
Kleine Sitznischen, weitere fetzige Wandmalereien sowie der nicht funktionierende Tischkicker im ersten Stock versetzten mich in eine Mischung aus Café Marat und der Südstadt im alten Schlachthofviertel. In München würde sich an so einem Ort die recht überschaubare Alternativ- und Punkszene versammeln.
Das ist das Ding mit San Cristóbal. Am Anfang war ich gar nicht so beeindruckt, aber mit der Zeit gerät man beinahe unmerklich in seinen charmanten Sog aus Live-Konzerten, hippen Bars und gemütlichen Cafés. Inmitten interessanter Viertel mit versteckten Ecken und schönen Brücken, die einen weniger schönen Fluss überspannen, erheben sich Aussichtshügel, auf denen man einige geruhsame Minuten verbringen kann.
Oder auch länger. Einmal entdeckte ich ein eher gehobenes Restaurant mit Terrasse, die den Blick auf das ganze Umland freigab. Man konnte sich leicht vorstellen, dass es in früheren Zeiten ein geheimes und unzugängliches El Dorado gewesen sein könnte, umschlossen von einer Schildwehr aus wachsamen Bergen.
Einfach das Günstigste auf der Karte bestellen und den Sonnenuntergang genießen, listo.
Ja, irgendwie bleibt man hier hängen, vor allem wenn einen daheim eine so formidable Crew wie im La Isla erwartet. Da waren Volker, Wiebke, Larissa, Dan, Eric, Frank, David, Severin, mein nomadischer und leicht durchgeknallter Bruder im Geiste Pipa aus Finnland sowie Devika mit ihrem grandiosen indischen Akzent, ganz schön exotisch.
Das argentinische Team um die beiden Schwestern Magda und Charo mit der Energie eines überspannten und konfusen Jojos und ihren ruhenden Polen Esteban, Nico und Joaquin mit Unterstützung ihrer englischen Volontärin Grace sorgten dafür, dass sich unser Irrsinn in erträglichen Bahnen bewegte. Wenn man die Leute näher kennt, mag das einem ziemlich paradox erscheinen, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund schien es zu funktionieren.
Dann, eines schönen und geruhsamen Sonntags fuhren wir zu einem Te Mazcal-Ritual, fest verankert in den alten Maya- und Azteken-Traditionen.
Zunächst konnten wir den Ort am Stadtrand nicht finden, aber da kam auch schon der Rock-Schamane auf seinem Chopper und mit farblich passenden Kopftuch angeknattert und geleitete uns das letzte Stück des Wegs.
Die steinerne Schwitzhütte befand sich am Ende einer schönen Wiese, direkt unter den dräuenden Hängen der Berge. Wir zogen uns bis auf Boxershorts und Bikinis aus und bekamen unter gemurmeltem Gebet eine gründliche Aurareinigung mit Weihrauch verpasst.
Derweil begann der Gehilfe des Schamanen damit, 52 heiße Steine in die Hütte zu hieven, von denen ein jeder einem Ahnen gewidmet war. Auch diese sowie der Eingang wurden geweiht und zusammen mit Pachamama und allen guten Geistern, die zufällig gerade dort rumhingen, dazu eingeladen, an der heiligen Zeremonie teilzunehmen.
Nach der energetischen Dekontaminierung betreten wir einzeln das erdige Innere der Hütte und verteilen uns im Kreis um die Ahnensteine: Wiebke, ich, Ally, Kevin, Larissa, Pipa und zuletzt unser Meister. Die niedrige Eingangsluke wird mit einer Holztüre verschlossen, für ein paar Momente ist es stockfinster, bis er eine Kerze entzündet und nach einem weiteren Gebet das in diesem Fall aztekische Ritual eröffnet.
Wir bekommen jeder ein kleines Instrument in die Hand: Pfeifen, Trommeln und Rasseln, mit denen wir mas o menos das Eingangslied begleiten.
Die meisten von uns verstanden nicht so recht, wie die Dinger funktionierten, was die rhythmische Untermalung etwas… nun exzentrischer erscheinen ließ.
Über die nächsten zwei Stunden verteilt gibt es mehrere Kräuteraufgüsse, die meinen Atem in flüssiges Feuer verwandeln, mal im Stehen, mal sitzend auf dem mit unserem Schweiß getränkten Lehmboden, je nach Hitze und Kreislaufzustand.
Zu den jeweiligen Aufgüssen serviert er Meditationen, Phantasiereisen, Chants („Kimmm“ statt „Aummm“) und gegenseitige Peitschungen mit Basilikumwedeln: „Mas fuerrte! Mas fuerrte! Yeees!!“
Mit einem weiteren abschließenden Gebet beenden wir das bezaubernde Ereignis und treten wieder hinaus in die gleißende Sonne, die gerade noch über den Gipfeln herunter lugt, und duschen uns mit dem Rest des Kräuterwassers ab.
Zuerst ist mir ganz schön kalt in der andersartigen Umgebung, aber mein Körper gewöhnt sich schnell daran. Ich fühle mich grandios, möchte Saltos und Purzelbäume und Handstände schlagen und meine Freude in die Welt hinaus jodeln. Alles erscheint klarer, schärfer und unverstellter, die pure und ungetrübte Begegnung mit der Welt um mich herum.
Wir sitzen, stehen und liegen auf der Wiese und lassen das Te Mazcal nachwirken, jeder auf seine Weise, während der Schamane anfängt, aufzuräumen.
Zwischen den unterschiedlichen Meditationen erklärte er uns ein wenig die Geschichte und Philosophie des alten Rituals.
Das Schöne daran war, dass man klar sehen konnte, wie ernst ihm die Sache ist und mit welcher Überzeugung er uns durch die Zeremonie geleitete, ohne das Ganze zu spröde und verkrampft werden zu lassen. Im Gegenteil trieb er mit uns seine Späße und machte in den Verschnaufpausen souveränen Small Talk, um die sakrale Ehrfurcht etwas aufzulockern.
Seht die vier Grundprinzipien des Te Mazcal: Meditation, Ego töten, Hilfsbereitschaft, Liebe. Sein Ego zu töten klingt zunächst etwas brachial und ziemlich unmöglich, doch ich denke, dass damit eher ein Überwinden, ein Meistern gemeint ist; eben die berühmte und so oft missbrauchte und vergewaltigte Transzendierung.
Aber töte Dein Ego und flieg nachhert frei wie ein Vogel ins Licht, so die Theorie. In der Praxis flogen wir frei wie Vögel zurück ins Hostel, kochten leckere Spaghetti und schauten uns zusammen mit den Argentiniern „The Science Of Sleep“ auf der Leinwand an, ein überaus passender und gebührender Abschluss für einen ganz besonderen Tag und vielleicht das Highlight meines Aufenthaltes in San Cris.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht