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Das hatte mir so gut gefallen, dass ich ihn an meinem letzten Tag noch einmal besuchte, bevor ich mich tiefer in das Zagros-Gebirge schlagen sollte. Und das war keine leichte Überwindung, musste ich doch so einem der schönen Gärten von Shiraz eine Abfuhr erteilen.
Seit zwei Jahren hatte er hier sein urtümliches Lager aufgeschlagen und bereits eine lebhafte Jünger-Community um sich versammelt. Immer wieder unterbrachen Menschen jeglicher Couleur ihren keuchenden Aufstieg, um sich von ihm Rat zu allen möglichen Lebensschieflagen zu erbitten. Vor allem am Wochenende (im Iran Donnerstag & Freitag) sei er ziemlich busy.
Im Grunde ist Moshallah ein von sich selbst überzeugter, nationalistischer Chauvinist, aber vieles, was er sagte, machte für mich Sinn und deckte sich weitgehend mit meinen bescheidenen Ansichten. Wobei er ein wenig zu pessimistisch für meinen Geschmack erschien.
So dachte er, dass wir uns seit Menschenbeginn immer nur im Kreise drehten und nimmer in der Lage seien, uns über unsere tierischen Bedürfnisse und Triebe zu erheben und zu einer Stufe der Entwicklung zu bringen, die uns wahrhaftig zum Menschen machen würde.
Wir schauten auf die Stadt und die Autos in ihrem scheinbar hamsterrädrigen Vorwärtsdrängen, all das Streben und Fighten und Streiten, für was? Geld, Ansehen, eine glückliche Familie, ein besseres Leben, ein sicherer Job? All die Dinge eben, die uns da unten beschäftigen, bedrängen und umsorgen.
Hier oben schien man in der Tat einen kurzen Blick auf die Ganzheit dieses schrägen, dramatisch verquirlten und verwirrenden Gemäldes unserer Welt werfen zu können. Wie ein ausgerasterer Van Gogh kurz vor der Explosion.
Ich atmete tief durch und vergaß alle meine Pläne, Ziele und Absichten für meine Reise und – war einfach da. Es klingt plakativ und kitschig, aber ich finde keine besseren Worte. Auf einmal war der ganze Schmodder nicht mehr wichtig, und ich fühlte mich leicht und unbeschwert.
Fair enough, als ich mich zwei Stunden später unten im Labyrinth der Straßen und Gassen wiederfand, schien sich synchron auch mein Hirn wieder zu verheddern und im Sumpf der widde-widde-wid kreiselnden Gedankenspiralen zu mahlen.
Das ist wohl kein absolutes Unvermögen, sondern schlicht ein Mangel an Konzentration und die alte Macht der Gewohnheit.
Spiralen. Drehen wir uns nur im Kreis? Ist die Geschichte unseres Geschlechts wirklich nur eine Abfolge von sinnlosen Trägodien und nichtigen Strebsamkeiten, die Millionen und Abermillionen von wertvollen Existenzen das Leben gekostet hat?
Um ganz ehrlich zu sein, es gab gewisse dunkle Zeiten, da dachte ich genau so, und haderte folgerichtig mit dem Sinn meines eigenen Daseins.
Aber wenn ich mir das ganze Spektakel etwas näher von weiter weg anschau (Das ist nur scheinbarer Widerspruch, sagt Anton Schnurgerad), dann denke ich nicht, dass es sich um einen sich selbst in den Schwanz beißenden Kreis handelt.
Vielmehr sehe ich unser Treiben als eine Art Spirale, die nach unten, nach oben, vielleicht auch zur Seite und in Richtungen ausschlagen kann, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können.
Ja, die Welt ist ein Schlachtfeld, ja, sie ist durchtränkt vom Blut zahlloser Opfer auf dem Altar der wahnhaften Vorstellungen und der Gier.
Und ist es nicht erstaunlich, dass gerade das gleißende Licht der Aufklärung von ehedem allzumal, seiner Neu-Entdeckung des Wertes und der damit einhergehenden Freiheit des einzelnen Individuums heutzutage in einen Egoismus gemündet ist, der in seiner Grausamkeit und Rücksichtslosigkeit im finsteren Mittelalter seinesgleichen sucht?
Aber immerhin wir schlagen uns nicht mehr überall auf der Welt hirn- und seelenlos die Köpfe ein, Sklaverei wird nicht mehr in jedem Land als völlig normal angesehen, und Worte wie „Menschenrechte“ werden zumindest in den Mund genommen. Immerhin.
Mit all unseren taumelnden und schlingernden Pendelbewegunen scheinen wir uns doch, mit zaghaft tastenden Schrittchen, in eine positive Richtung zu bewegen. Doch es dauert lang. Wehe, so peinvoll und schmerzhaft lang, dass kein Menschenleben je ausreichen könnte, derart subtile Veränderungen zu überblicken.
Und ich denke wohl, dass wir uns mehr anstrengen könnten.
Was? Fünf-, zehn-, zwanzigtausend Jahre Entwicklung, und hier stehen wir? An just einem weiteren Abgrund? Einer neuen Katastrophe, dieses Mal mit potentiell globalen Ausmaßen und Konsequenzen?
Wie viele Kriege und Tode müssen wir noch durchleben, um endlich zu begreifen, dass uns das nicht einen verschhhhribbelten Meter weiter bringt? Da helfen auch keine Gesetzesvorlagen, Systemänderungen oder Stolperschwellen, solange man nicht die Wurzel mit beiden Händen beim Schopfe packt.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht