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Mit Laura besuchte ich auch das kleine Dorf Chamula und die Schlucht von Sumidera. Aber wir wollen uns in kleinen Schritten üben.
San Juan de Chamula ist eines jener Pueblos, die eigentlich nicht viel zu bieten haben außer einer ausverkauften Kolonialkirche zum Ehrentag der ehrenhaften und mit Sicherheit züchtigen Virgen Guadelupe, erbaut aus und noch immer durchwirkt von den Trümmern alter Götzen und Bräuche.
Aber es gibt jedem New Age-Backpacker das Gefühl der Illusion, sich für Kultur und India— Indo-, Indin-, Indegi-, Indophile oderwiedasheißt zu interessieren, und damit einhergehend ein gutes Gewissen und die stolz geschwellte Brust am Abend, während man jenes tiefgreifende Erlebnis in einer der einschlägigen Bars wie der „Revolución“ beim achten Cuba Libre seinen Buddies vor den bekleckerten Latz knallt, die gerade mit hängenden Schultern und Lebern vom Pub Crawl zurück einkehren, nur noch ein letztes Bier, und dann packen wir’s aber.
Ja, es ist nicht wie Kabul in den 70ern, aber dafür haben wir Tinder.
Dennoch war es recht interessant dort in der Kirche. Auf dem Boden lagen Pinienwedel und verströmten zusammen mit dem allüblichen Weihrauch einen angenehmen Duft. Kleinere Grüppchen standen umher und nutzten die heilige Gelegenheit, recht unheiligen Tratsch auszutauschen.
Das weiß ich natürlich nicht, aber ich bin mir sicher, dass es so abläuft. Wir Menschen sehen vielleicht unterschiedlich aus, aber tief drinnen sind wir tatsächlich alle – GLEICH. Die verdammten Kommunisten hatten am Ende recht, nur haben sie es falsch verstanden und furchtbar falsch angewendet.
Und was die alte Bäckerei von meinem Großonkel und die Peterskirche im ebenso kleinen Dettingen auf der Schwäbischen Alb kann, das können die wettergegerbten Chicas mit ihren traditionellen Röcken aus schwarzem, flauschigen Tierfell schon lange. Auch die Burschen kleiden sich dementsprechend, manchmal auch in weiß.
Blasmusiker und Marimbas begleiten das lockere Treiben mit flotten völkischen Weisen, während eine Gruppe nach der anderen zu Ehren der Virgen De Guadalupe (einer der Hauptfeiertage in diesen Gegenden) mit Blumensträußen, Kerzen und anderen Opfergaben einherzieht, womöglich Spezialitäten aus dem jeweiligen Ort.
Viele, vor allem Jugendgruppen wie scheint, ziehen dergestalt in kitschig bunt bemalten Pick-Ups von Ort zu Ort, ein oder zwei laufen barfuß, mit Stirnband und einer Fackel in Händen hinterher.
Als ich eine derartige Szene zum ersten Mal aus dem Minibus beobachtete und noch keine Ahnung von dieser neuerlichen religiösen Narretei hatte, fragte ich mich bestürzt und etwas überdrüssig, ob denn schon wieder die Olympischen Spiele anstehen.
–-„Olympiade“ im übrigen bezeichnet den Zeitraum zwischen den Spielen, nicht die Veranstaltung an sich.
(Aus dem „Kompendium für Wertloses Wissen und Gewandte Hochstapelei“)
Eine halbe Stunde schauten wir uns das gelinde interessante Treiben an, dann sind wir auch wieder ins Städel zurückgefahren, weil der Ort war ansonsten kalt, nass und deprimierend normal. Da erlischt selbst die heißeste Flamme eines Möchtegern-Anthropologen in Birkenstock-Schuhen, zottligen Haaren mit einem penibel austarierten Fettanteil und dem obligatorischen Poncho aus 100% handgewebter Hochlandrindnaturwolle vom Souvenirladen um die Ecke.
Als ich am Ende meines Aufenthalts an einer sehr interessanten Free Walking Tour teilnahm, erfuhr ich jedoch, dass Chamula eines der wenigen autonomen Dörfer ist, die „offen“ sind und in die man einfach so – gelangen kann.
Jaa, das ist wegen den Zapatisten. Die haben Mitte der Achtziger gegen Mexikos Regierung revoltiert, um für bessere Lebensbedingungen der indigenen, überwiegend bäuerlichen Bevölkerung zu kämpfen.
Eigentlich hätte die Armee den Aufstand locker niederschlagen können, aber durch die Medienberichterstattung und den darauf folgenden internationalen Druck musste die Regierung von Mexiko nach nur zwei Wochen einen Hofknicks vollführen und den Zapatisten ihre Rechte zugestehen.
Nun, zumindest theoretisch. Deswegen dauert die Revolution an, nunmehr in friedlicher Weise. Ah, und Ausgangspunkt für die Zapatista-Bewegung war eben und tatsächlich San Cristóbal mitten in Mexiko’s ärmsten Staat Chiapas.
Interessanterweise hat dieser Kampf für Menschenwürde und -rechte international auch die Neugier unter Reisenden geweckt und den Tourismus in der Region ordentlich angekurbelt. Davor verirrten sich angeblich nur wenige hierher. Ursache und Wirkung.
So, das war ein kleiner, aber wichtiger Schlenker.
Im Verlauf dieser andauernden Revolution haben sich vor allem in Chiapas autonome Dörfer gebildet, die tatsächlich niemand ohne deren Genehmigung betreten darf. Sie sind nicht nur für Touristen geschlossen, sondern siehe da auch für die mexikanische Polizei und sogar das Militär!
Hier verstehen wir unter Autonomie nicht nur ein ätherisches Aussteigerdorf, sondern knallharte und konsequente Praxis. Da sie nicht eintreten dürfen, hat Mexiko’s Regierung eben Militärbasen um die Dörfer herum gebaut, so eine Art inverses Freiwildgehege.
(…Ganz Gallien war von den Römern besetzt…)
Chamula wiederum gehört zu diesen Gemeinden, ist jedoch wie gesagt „offener“.
Nun, hätte ich das vorher gewusst, wäre ich vielleicht mit anderem Respekt dorthin gefahren, aber ganz ehrlich, man hat da jetzt nicht wirklich was von gemerkt. Es war halt ein unscheinbares Bergdorf an einem dafür zu ungemütlichen Tag.
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