Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Geschafft…
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Nach und nach trudelten auch die anderen ein und wir zogen zu unserer ersten Sitzung in Prabakers Gewerkschaftsbüro um. Ab da hieß es für mich sechs Tage lang Vollgas geben und hochkonzentrieren.
Idealerweise ist man nämlich beim Dolmetschen zu zweit, damit man einander ablösen kann, wenn dem einen die Birne qualmt und der Vokabelreaktor schmilzt. Das kann je nach Intensität der Diskussion schon auch mal schnell gehen. Aber die Realität hatte bei der diesbezüglichen Beschlussfassung dagegen gestimmt, und ich war bis auf Kultas auf mich allein gestellt.
Wenn mein Pepe-Tabak, die regelmäßigen Tee-Infusionen und dieses Curry-Ambrosia nicht gewesen wäre, ich wäre zusammengefallen wie ein Kugelschreiber in einem Schwarzen Loch. Auch so gab es Zeiten, wo mein Hirn sich anfühlte wie ein Vanillepudding in einem Tornado mit Minderwertigkeitskomplex.
Eines allzu frühen Morgens wurde ich vom berüchtigten gregorianischen Chor der indischen Gaumenröchler sowie dem Atomschnarchen einer meiner Kumpel sanft aus dem Schlaf gewiegt und bin stressbedingt erst mal raus eine Rauchen. Es ist schon faszinierend, mit welcher Hingabe die Leute hier während ihrer Morgentoilette versuchen, das Essen von vor drei Tagen aus ihrem Mastdarm nach oben zu ziehen.
Keine zehn Sekunden später steht ein Rudel junger Studenten auf Exkursion um mich und wollen sich alle – einzeln – der Reihe nach mit mir ablichten lassen. Da war es fünf Uhr morgens. Ich bin das erste Instant-Zombie-Model en vogue auf dem subkontinentalen Catwalk.
Doch das war gar nichts gegen das Blitzgewitter bei der abschließenden Versammlung der Bergarbeiter in Gondolari, wo nochmal ordentlich Fäuste geschüttelt, Reden geschwungen und Kampfrufe posaunt wurden. Gefühlt alle Anwesenden wollten sich einzeln und zusammen in allen möglichen Variationen und Umarmungen mit uns weißen Reiskörnern fotografieren lassen.
Ein System konnte ich nicht erkennen, ich kam mir vor wie in einem Zauberwürfel mit wackelnden Köpfen. Jede Speicherkarte dieser Welt muss angesichts der erschütternden Datenmengen zu einem Neutronenstern implodieren. Selbst meine Geduld hatte sich in Kürze abgespalten und eine radikale, bis an die Zähne bewaffnete Splittergruppe meines Bewusstseins gegründet.
Oh, Indien… Du und Dein Universen erschaffendes Essen! Gäbe es nach der Klimakatastrophe in einer Mad-Max-Welt nur noch Roti und Dal zu essen, ich wäre es zufrieden.
Bis auf den Abend, als wir mit einem ehrenwert halb fossilierten Partei-Chef oder so in einem Nobelrestaurant beim Essen waren. Da war es dreimal so teuer (6 Euro) und kaum besser als in normalsterblichen Klitschen. Dafür sind an die 28 Bedienstete um uns rumgewuselt und haben uns sogar während des Mahls serviert und bemuttert, auch wenn wir es gar nicht wollten.
Dass sie mir den Batz nicht noch im wahrsten Sinn eigenhändig in den Hals gestopft haben, war grad alles. Der Kellner hat sich unserer Bestellung dreimal vergewissert und es dann trotzdem verplant. Und das ist dann Haute Cuisine.
Hm, wem’s gefällt. Ich bleibe gern auf meinen bodenständigen und schlichten Plastikstühlen sitzen.
Einer dieser Gewerkschaftler oder so mit seinem wundervoll vornehmen und gewählten indischen Englisch beobachtete mich interessiert bei einer meiner inwendigen Reis-Zeremonien und erklärte beeindruckt: „You have some skill with your fingers!“ Ich schluckte das Stück Ewigkeit und eine süffisante Antwort hinunter und erklärte ihm demütig, dass ich in den letzten Jahren die ein oder andere Gelegenheit zu üben hatte.
Und dieses wunder- und scheinbar chaotische Treiben auf den Straßen mit all den Rollern, Autos, qualmenden LKW’s, quietschenden Fahrrädern, flatternden Saris und den Schwärmen aus gelben Auto-Rikschas (Tuk-Tuks), die wie emsige Bienchen um die nächstbeste Verkehrslücke summsen! Mir war gar nicht bewusst, wie sehr mir dieses lärmende und stinkende Gewusel ans Herz gewachsen ist.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht