Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Sozialismus und Selfies?…
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Wir hatten also viel Spaß.
So auch während unserer Besuche bei den Bergwerken, um Ansprachen zu halten (Dieses Mal kam ich glücklicherweise drumherum.) und Spenden zu sammeln. Unsere indischen Kollegen hielten feurige und maschinengewehrartige Reden, sangen kämpferische Lieder und klopften auf ihre kleinen Trommeln, welche sie dann umdrehten, damit die Bergleute ihr Geld hineinwerfen konnten.
Es kam ganz schön was zusammen, doch die nationale UPSI-Führerin meinte, normalerweise würden sie dreimal so viel sammeln. Denn mit der Geldentwertung Ende letzten Jahres fehlte es lange Zeit nicht nur an Bargeld, sondern die Menschen bekamen deswegen zwei Monate lang gerade mal 50% ihres Gehalts ausbezahlt.
Man stelle sich also die verschwindend geringen Löhne hierzulande vor, die dann nochmal halbiert, und trotzdem zwacken die Menschen weiß Gott woher was ab, damit die Konferenz stattfinden kann.
Überall war das diesbezügliche Interesse und die Aufregung spürbar.
Nicht nur einmal wurden wir an der Straße angesprochen. Natürlich wollten viele auch nur wissen, was zur Hölle wir hier eigentlich wollten, und warum so viele? Wir erregten selbstverständlich einiges Aufsehen.
Das war unseren indischen Genossen durchaus bewusst und rieten uns deshalb zur Vorsicht, denn die Polizei hier in der Gegend wird aufgrund ihrer rebellischen Geschichte leicht zappelig, wenn es um Proteste und Kundgebungen geht. Wir sollten unsere Hotels nicht ohne Begleitung verlassen, selbst wenn man nur mal über die Straße zum Geld abheben oder ins Internet-Café gehen wollte.
Das wuchs sich denn auch zu einem Streitpunkt zwischen den Indern und den Deutschen aus, denn die ersteren wollten die zweiten nicht allzu sehr in die Vorbereitungen der Konferenz einbinden, während die mitteleuropäischen Gschaftlhuber die ganze Zeit unruhig mit den Füßen scharrten wie eingesperrte Raubtiere.
Am Ende mussten sie sich jedoch dem Urteil der Einheimischen beugen, denn wenn jemand einen Plan hatte, dann sie.
Für mich hatte all das nur sekundäre Bedeutung, denn ich war vornehmlich für Andarion abgestellt, um für ihn zu dolmetschen, während er Sitzungen besuchte, Pressekonferenzen gab und sich mit allen möglichen Leuten traf, aber auch bei wichtigeren Dingen wie zum Beispiel den feineren Nuancen der Essensbestellung.
Er nannte mich liebevoll seinen Schatten.
Für viele war ich der Indien-Experte schlechthin und wurde folgerichtig mit den abstrusesten Fragen bombardiert:
Weißt Du, wie die Pflanze da hinten in drei Kilometern Entfernung heißt?
Kann man sie essen oder damit Krebs kurieren?
Warum hat der seine Fingernägel so lang? Ist das was Religiöses?
Warum hat die Frau da ihren Sari um die linke Schulter geworfen, ist sie etwa zu haben?
Ich weiß nicht wieso, aber alle schienen anzunehmen, dass ich praktisch alles über Indien wissen müssen, nachdem ich über sechs Jahre insgesamt acht Wochen in diesem Land verbracht habe.
So zuckte ich nur gleichmütig die Schultern und dachte freudig an mein nächstes Masala Dosa.
Mortiji bezeichnete mich immer süffisant als halben Inder, nur weil ich gern mit der Hand esse und mich ein wenig für Sprache und Kultur interessiere, um den Einheimischen ein belustigtes Grinsen abzuringen.
Der wollte mich am Schluss gar nicht mehr hergeben. Worauf ich meinte, warum nicht, dann müsse er mir halt eine angemessene Frau besorgen und die Heirat organisieren. Kein Problem, meinte er: „This will be orrganized.“
Bis jetzt hat er sich aber noch nicht gemeldet.
Ich mochte ihn sehr, diesen weit gereisten Kopf der nationalen Vorbereitungen. Er war auch ein wenig ein Kontrollfreak, machte trotz seiner politischen Erfahrung auch ein paar Fehler und beanspruchte das Rampenlicht gerne für sich, aber sein feiner Sinn für Humor, die schelmenhaft glitzernden Augen sowie seine unermüdliche Hingabe und Aufopferung für das Projekt machten seine kleinen Unzulänglichkeiten mehr als wett.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht