Tja, da haben wir ein Biest. Das Paradebeispiel eines Heißen Eisens und immergrünes schwieriges Thema, welches bei Diskussionspartnern nicht selten tiefes Luftholen, gerunzelte Stirnen, hilfesuchende Augen, wringende Hände, eventuell leicht nervösen Schweiß im Nacken und am Ende meist hilfloses Achselzucken hervorruft.
Oh, ich will gar nicht erst anfangen oder versuchen, hier einen guten Rat oder auch nur eine grobe und verschwommene Orientierungsschnur anzubieten, denn ein derartiges Unterfangen muss unweigerlich zum Scheitern verurteilt sein, zu sehr wird diese an sich schon vertrackte Geschichte von zu vielen unterschiedlichen Gefühlen und Gewissen dominiert.
Was ich aber tun kann, ist wie immer, meine Sicht der Dinge und Gedanken hierzu darzulegen, um zumindest vielleicht als Denkanstoß oder Inspiration dienen zu können. Mehr aber auch nicht. Am Ende muss ein jeder selbst entscheiden, ob und wie er-sie sich dazu positioniert, das kann ihr-ihm niemand abnehmen.
Ich will es sicherlich nicht tun.
Nun gut. Grade heraus, ich habe irgendwann für mich entschieden, dass ich generell niemandem auf der Straße etwas gebe, egal wie arm, egal wie jung, egal wie verstümmelt diejenige Person ist und egal wie viel Stiche in mein mitleidiges Herz es mir verursacht. Ich gebe kein Geld, keine Süßigkeiten, keine Stifte, absolut rein gar nichts.
Dafür gibt es natürlich mehrere Gründe, die mich hierzu bewogen haben:
Vielleicht mit der Wichtigste besteht für mich in der generellen Herangehensweise, immer und so nah wie möglich an die Ursachen heranzugehen und nicht Symptome zu bekämpfen.
Was dabei herauskommt, sieht man bei unserem mittlerweile immer sinnloseren und trotz aller warnenden Stimmen noch immer gedankenlosen Einsatz von Antibiotika. Sie müssen ständig wieder verabreicht werden, weil die Ursachen natürlich bestehen bleiben, und verlieren am Ende gar ihre Wirkung, weil die Erreger dagegen immun werden.
Genauso verliert auch verabreichte Empathie und Gutmenschlichkeit ihre Wirkung, denn was kann es schon mehr sein als das? Hilft es der Person wirklich, wenn ich ihr ein Almosen gebe? Im besten kommt sie eine Mahlzeit weiter, was zugegeben mehr als nichts ist. Aber zu wenig für alles andere.
Und das sieht man gar nicht selten, wenn die Wirkung nachlässt.
Denn viele geben Geld selbstredend für Drogen wie Alkohol aus, das ist schon ein Grund an sich, keines zu geben. Der clevere Mitfühlende kauft also gleich selbst Essen und bietet es der Person an, doch viele scheinen gar kein Essen zu wollen, vielleicht weil ebensolche andere Triebe mittlerweile die Oberhand gewonnen haben.
In Indonesien ging es mir auf einer Wanderung so, dass in der Region über die Jahre so viele Touristen derart freigebig waren mit „sweets“ oder „pens“, dass die Einheimischen dort angefangen haben, es als selbstverständlich anzusehen und von jedem Weißen eine milde Gabe zu erwarten.
„Give me pen!“ kam da die barsche Forderung von einer Mutter und ihrem Kind, beide mit Gewitterwolken vor der Stirn und provisorischem Hass im Gesicht. Als ich dann folgerichtig und vor den Kopf gestoßen verneinte, war das natürlich ein weiterer Ziegel in die Mauer ihrer hilflosen und aussichtslosen Neides.
Und so weh es auch tun mag, so elitär es sich im Vergleich zu derartigen Problemen auch anhören mag, aber wegen genau solchen Fällen haben wir als Touristen auch eine Verantwortung [WL] für nachkommende Reisende. Man muss sich immer die Frage vor Augen halten, welche Art der Reaktion der Locals jemanden erwartet, entsprechend der Art und Weise, wie ich selbst mich verhalte und eventuell, auch ungewollt, irgendwo Erwartungen schaffe.
Süßigkeiten können aus hehren gesundheitlichen Erwägungen bereits ausfallen, aber nochmals die Frage: was hilft dem Kleinen ein Stift, der nach fünf Tagen, sowieso nicht mehr funktioniert?
Ist es da nicht sinnvoller, dafür zu arbeiten, dass Kinder überall auf der Welt zum Beispiel kostenlosen Zugang zu Bildung erhalten?
Ist es nicht vielmehr Sinnbild einer verzweifelten Hoffnung des Gebers auf eine bessere Welt?
Das hilft dem einen Tropf vor mir und wahrscheinlich vielen weiteren Tropfen nach ihm wahrscheinlich nicht viel oder gar nichts, aber es gibt auch Miseren, gegen die kann man zumindest im Moment einfach nichts tun, und diesen Schmerz gilt es dann einfach auszuhalten, denke ich.
Wobei wir dem Thema Spenden wären. Das wiederum macht für mich mehr Sinn, vor allem wenn das Geld an Personen, Gruppen, Vereinen oder was auch immer geht, die wirklich versuchen, gegen Ursachen von Armut vorzugehen und ein neues Fundament für ein würdigeres Leben zu legen.
Das heißt am Ende und im Klartext, ich spende lieber solchen Institutionen mein Geld oder setze mich anderweitig dafür ein, jedoch auch nur gesetzt den Fall, ich kann sicher sein, die Kohle kommt auch da an, wo sie wirklich gebraucht wird, gesetzt den Fall, ich habe zumindest das Gefühl mein Einsatz etwas bringt, gesetzt den Fall, ich vertraue den Menschen, mit denen ich in welcher Form auch immer zusammen arbeite.
Das ist unterm Strich für mich auch machbar, denn ganz ehrlich, wenn ich Menschen auf der Straße etwas geben würde, dann ginge das für mich nicht nur ab und an oder wenn sie mir grade sympathisch sind, sondern aus dem Prinzip der Fairness und Ausgeglichenheit müsste ich tatsächlich jedem etwas geben, und das sprengt dann doch schnell mal den Rahmen, vor allem, wenn man in ärmeren Gegenden unterwegs ist.
Denn ich kann weder Säcke voll mit Süßigkeiten oder Stiften mit mir herumschleppen, noch immer und überall mein Geld verteilen, weil irgeńdwann geht das entweder ans Budget oder ich drehe den individuellen Geldhahn soweit zu, dass sich der Tropfen schon von vornherein im heißen Sande verläuft.
Dann gibt es da, ich denke vorwiegend in Ballungszentren, noch den dubiosen und unübersichtlichen Komplex von etwaigen Bettler-Mafias, doch handelt es sich hier gerne auch mal um Gerüchte, die gerne auch mal von Obrigkeiten gezielt gestreut und eingesetzt werden, um weiter Gräben zwischen Menschen zu schaffen. So dies der Fall ist, spielen sie mir ja im Prinzip voll in die Hand, indem sie Menschen durch derartige Geschichten dazu bewegen, Bettlern nichts zu geben, weil sie es eh abgeben müssten.
Doch an dieser Stelle muss ich sagen, geschieht das aus grundfalschen Motiven und Absichten, denn meist geht es nicht darum, gegen die Armut an sich vorzugehen, sondern die wollen meist nur, dass die armen Menschen, grade so wie ein Symptom, aus ihrem Stadtbild verschwinden, denn was sollen denn die ganzen Touristen denken, wo sie hier sind?
Über derartig zwielichtige Untergrund-Organisationen weiß ich allerdings wirklich nichts zu sagen, ob, wo und in welcher Form es sie gibt, keinen blassen Schimmer.
Doch würde ich sagen, dass, wenn man sich genauer darüber informieren wollte, es nur Sinn macht, von Ort zu Ort zu unterscheiden.
Vielleicht ist es auch nicht wirklich zuverlässig, in die Touri-Info, auf die Polizeistation oder ins Bürgermeisteramt zu rennen, sondern sich zum Beispiel an örtliche NGOs zu wenden, die sich wirklich ernsthaft mit der Problematik auseinandersetzen.
Wirklich objektiv kann deren Meinung vielleicht auch nicht sein, doch dürfte sie zumindest detaillierter und genauer sein als alles andere.
So kann man ewig hin und her überlegen und sich fröhlich im Kreise drehen. Ich denke, den besten Rat, den ich in diesem Zusammenhang am Ende doch geben kann, ist abermals der bescheidene Vorschlag, nach all dem Wissens- und Informationsgewürfele den Kopf wie auch seine Gefühle auszuschalten und für ein paar Momente, meditativ wenn man so will, auf sein Herz zu hören und zu schauen, was der Kaiser dazu zu sagen hat.
Aber nochmals Vorsicht! Verwechselt „Herz“ an dieser Stelle nicht mit Emotionen wie Mitleid oder versteckte Schuldgefühle (was zugegebenermaßen vielleicht etwas knifflig sein kann). Ich meine vielmehr unser „reines Herz“, jene seltsame höhere Intuition, die uns allen gegeben ist und von der wir leider so wenig wissen.
Aber das ist nur ein Grund mehr, sich wirklich und ernsthaft damit auseinanderzusetzen.
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht