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Ungemütlich war es in unserer Bleibe etwas außerhalb von Tulum’s Flaniermeile mit all ihren Souvenir- und Restauranttempeln beileibe nicht.
Das „Posada los Mapaches“ bestand aus kuschligen und strohbedeckten Hütten, im ersten Stock über Laufstege aus dunklem Holz miteinander verbunden. Dazwischen Palmen und allerlei Sträucher und Gewächs, ein hübscher Garten, liebevoll hergerichtet und mit den obligatorischen Hängematten versehen.
Hübsch war es gelegen und kuschelte sich wohlig zwischen den Dschungel dahinter und der vierspurigen Carreterre vor dem Anwesen.
Unsere Nächte wurden versüßt durch das unendliche Zirpen der Grillen, dem Quietschen empörter Reifen und gefolterte Karosserieteile, die schmerzhaft laut über eine Bremsschwelle just vor unserer Haustür schabten. Jedes Mal schreckten wir hoch und fürchteten, eine Massenkarambolage müsse sich gerade eben ereignet haben.
Auf den ersten Blick teuer, doch waren Fahrräder, Frühstück und Wasser im Preis inbegriffen. Allein was fehlte, war eine gewisse warme und kuschlige Atmosphäre, aber dazu braucht es die richtigen Leute zur richtigen Zeit und in angemessener Zahl.
Immerhin lernten wir Simon aus Leipzig – immerhin nicht München – und ein nettes australisches Pärchen kennen, mit denen wir einen erbaulichen Cuba Libre-Abend im Raucherbereich (siehe unten) verleben durften. Irgendein Vogel im Baum über mir schiss mir auf die Brille, aber das war mir fast egal.
Und es gab Gott sei’s gepriesen Chelo.
Die gemächlich alternde Besitzerin dieses kleinen verlorenen Paradieses machte diesen Mangel mit ihrer überschäumenden Liebe und Fürsorge locker wett.
Die Gute hat ihr Muttersein auch nie überwunden und verfügt zusätzlich über einen ausgeprägten Kontrollwahn (im Fachjargon nennt man das glaub’ ich Zwangsneurose), der ein Auskommen mit ihr auf den ersten Blick in etwa unmöglich erscheinen lässt.
Sämtliche Rucksäcke und Habseligkeiten werden vor dem Check-In auf einer eigens dafür eingerichteten Quarantäne-Bank mit einem Spray sterilisiert, vor dem wohl selbst Monsanto zurückschrecken würde. …Vielleicht verkaufen die das Zeug auch, wer weiß.
Alles hat seinen angestammten Platz und wehe, wenn die Ordnung nicht eingehalten wird! Das gilt auch für die Räder, schließlich will sie sehen können, ob ihre Corazones denn grade zu Hause sind oder in der feindseligen und gefahrvoll lauernden Welt da draußen ihr Unwesen treiben.
Man bekommt auch keines ohne eine ordentliche Ausrüstung, bestehend aus Stirnlampe und Warnweste. Dass sie keine Sicherheitshelme und Pfeffersprays verteilt hat, wundert mich allerdings.
Es gibt selbstverständlich einen ausgewiesenen Raucherbereich. Daneben stehen zwar auch Stühle, aber da bitteschön auf die Peststengel verzichten.
Das ist wie mit den Pestiziden und den Biofeldern. Man hofft einfach, dass kein Wind aufkommt.
Aufgrund meiner Erfahrung ließ ich jedoch sämtliche Entkeimungen sowie das achtbändige Regelwerk gleichmütig und souverän über mich ergehen, zu dem mir Krishnamurti höchstselbst wohl ergeben die Hand geschüttelt und gratuliert hätte.
Allerdings reagierte ich doch etwas pikiert, als sie mir bestimmte, dass meine Yoga-Matte im geheiligten Inneren Ihrer Hütte aber mal gar nichts verloren hätte. Meiner Meinung befindet sie sich nämlich in einem tadellosen Zustand.
Gegen meine Wanderschuhe hatte sie wiederum keine Einwände.
Das klingt zunächst tendenziell eher furchtbar und grauenerregend, jedoch wurden diese, ja man könnte sagen solide zementierten Umstände durch ihre unerschütterliche Liebe und ihr unfassbar leckeres Frühstück weitgehend überstrahlt.
Der Ort selbst war mir tatsächlich weniger sympathisch, aber darum ging es auch nicht und wie gesagt bin ich sehenden Auges und erhobenen Hauptes in diesen Touristenslum hinein marschiert. Außer ein paar hübschen Murals und dem einen oder anderen, etwas bodenständigeren Rückzugsort für Tacos und Empanadas bietet Tulum recht wenig, zumindest für verlaust hoffnungslose Rucksack-Nostalgiker wie mich.
Viele Strandabschnitte scheinen von den Bettenscheichs und Infinity-Pool-Paradoxikern in Beschlag genommen, und wenn man denn mal eine kleine Lücke zwischen den Beton- und Marmorverließen findet mit einem Schild „Public Beach“, so wird man womöglich auch dort von einem paraoffiziellen Uniformierten höflich von dannen komplimentiert: „Solo para clientes.“ – „Por que?“ – Nun, der öffentliche Strand sei eben doch nicht so öffentlich. Aha. Willkommen im Zweiklassensand.
Oh, wir hätten dieses schändliche Gebaren durchaus und mit solider Grundlage anfechten können, aber will man das wirklich? Dazu fehlt mir leider die Geduld und das hierfür vorgesehene Testosteron.
Immerhin fanden wir dann noch eine kleine Nische, wo wir uns leidlich ausbreiten konnten, anheimelnd gelegen an einer geteerten Straße mit durchaus lebendigem Verkehr.
Mei, die Strände sind schon schön mit allem was dazu gehört, ne, weißer Sand, Palmen, wohl temperiertes Wässerchen, aber es ist halt Hochsaison und dementsprechend möp. Ich kann mich auch gar nicht mehr erinnern, wann ich zum letzten Mal an einem jenem war, wo es sage und schreibe Bademeister und so krasse Ampel-Warnflaggen gab. Ihr seht schon, es bereitet mir überhaupt Schwierigkeiten, diese eigenartige Institution zu beschreiben.
Aber auch das ist letzten Endes nur Angeberei. – Die trotzdem ordentlich Spaß macht.
Immerhin verlebten wir drei ein paar herrliche und für die Mädels letzte Stunden am Rande eines fröhlich flackernden Lagerfeuers und kaum eine Menschenseele weit und breit. Wir hatten unseren Hausstrand sozusagen komplett für uns allein. Nur Orion, Cassiopeia und ihre Gefolgschaften wachten majestätisch über uns – wie auch die kalt die Lüfte durchbohrenden Atomstrahler und dröhnenden Bässe einer weit entfernten Diskothek, die mehr an den Todesstern als an ein irdisches Vergnügungslokal erinnerte.
Wir waren recht still, die Wehmut stand ihnen ins nachdenkliche Gesicht geschrieben.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht