Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Gelebter Widerspruch…
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Freilich, auf der Höhe war ich nicht gerade.
Das Seltsame war, dass es nur zum Teil an der Misere mit dem Flug und dem abgelehnten Visum lag – die einem schon mal die Haare zu Berge stehen lassen kann – aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich diese Farce bereits weitgehend überwunden.
Selbst der Todesfall in meiner Familie, der Stein, der diese Lawine aus Geschehnissen erst in Gang gebracht hatte, schien wenig mit meiner Laune zu tun zu haben.
Am Tag, als es schließlich passierte, wurde ich gewiss von starken Emotionen durchströmt, doch dies empfand ich nicht einmal als unangenehm oder gar schmerzhaft. Nein, eigentlich war fast das Gegenteil der Fall.
Sie fühlten sich eher an wie eine zwar dunkle, aber auch sanfte und liebevolle Woge, die ich über mich schwappte, während ich mich im Geiste verabschiedete.
Immerhin durfte er friedlich und ohne Schmerzen einschlafen an einem guten Ort und mit guten Menschen. So wünschte ich ihm nur alles Gute auf seiner so ganz andersartigen Reise, die uns Menschen zu Lebzeiten stets entschlüpft.
Das war tatsächlich ein schöner Abend am Ufer eines Sees, dessen Namen ich zu jenem Zeitpunkt noch nicht einmal kannte, weil er mir im Grunde scheißegal war.
Die folgenden zwei Tage jedoch stand ich ziemlich neben mir, und ich war -bin- gereizt, missgestimmt, seltsam verschoben und gehemmt.
Aber das alles fühlt sich nicht nach Trauer an. Ärger ja, Übellaunigkeit ja, Ungeduld ab und an, aber das alles klingt für mich eher nach Ego als nach dem Schmerz des Verlustes, der mich sowieso überrascht hätte.
Vielleicht lag es daran, dass ich nunmehr einen Weg einschlug, den ich eigentlich nicht gehen wollte, der mir soeben von einer höheren Macht aufgezwungen wurde.
Meine Seele muss fliegen, alles andere tut mir nicht gut, hält mich gefangen und deprimiert.
Ich war leicht irritiert und aus der Ruhe zu bringen, verunsichert, auch meine Kommunikation mit anderen Menschen erschien verschüchtert, wie ein Flüstern, das nur durch einen Schleier in mein eigenes Bewusstsein drang.
Aber irgendwo genoss ich auch diese verletzliche Offenheit und mein Inneres nach außen zu kehren. Es fühlt sich so ähnlich an, wie wenn man leicht krank ist. Kennt Ihr die Art von Gliederschmerzen, von denen man nicht ganz sicher weiß, ob man darunter leiden oder sich darin suhlen soll?
Unter derlei besonderen Umständen darf ich auch komisch, ungenießbar und… ich selbst sein. Weil, ich bin ja krank.
…Wie viel von mir lasse ich noch immer nicht zu? – Dieser Gedanke wühlt in meinem Magen, da rumort und schustert etwas umeinander wie ein wildes Tier, hin und her, in einem Käfig, der zu klein ist für seine geballte Energie.
Irgendwie habe ich Angst davor, als ob nichts Gutes dabei herauskommen könnte, als ob ein Dämon oder etwas noch Schlimmeres nur darauf wartet, aus seinem Kerker hervorzubrechen.
Woher stammt nur dieses Gefühl; ich weiß es nicht.
Noch immer urteile ich über mich selbst, aus seinem tief verankerten Gefühl heraus, das ich bei all der Reflexion und Bewusstseinsarbeit bis heute nicht überwinden konnte.
Doch trotz alledem gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass ich mich mit der Zeit immer näher heranpirschen kann, langsam und vorsichtig. Mit jedem Gedanken, jeder Gefühlsregung, die ich nicht unterdrücke, sondern es schaffe, sie zuzulassen, jeder noch so kleinen und zarten Erleuchtung im Verlauf meines nichtigen und wichtigen Lebens.
Zurzeit hakt einfach auch vieles. Läden haben geschlossen, wenn ich mich auf ein leckeres Frühstück oder einen dampfenden Kaffee freue. Ich bestelle das falsche Essen, die Musik in dem Laden gefällt mir nicht oder das Internet funktioniert nicht, obwohl es fast alle bekackten Balken anzeigt. Ich stoße mir die Füße und renne beharrlich gegen Barrikaden.
Zugleich versuche ich, meine eben erst entdeckten inneren Schleusen wiederzufinden und erneut zu öffnen, wieder und wieder, wann immer ich merke, dass ich sie unbewusst wieder zugestoßen und verrammelt habe.
Das kann auf die Dauer ganz schön nerven.
Aber es funktioniert auch immer besser ein ums andre Mal – teilweise nach wie vor zu meinem Erstaunen. Es ist interessant und geradezu spannend zu beobachten, wie… ertragbar, flüchtig und… herzzereißend schön negative Emotionen sein können, trotz aller grauen Tristesse – und wenn man ihnen denn mal Platz lässt.
Halb so schlimm, fürwahr.
Man fragt sich verblüfft, warum man eigentlich immer so eine Wahnsinnspanik davor hat, um derart starke und effiziente Abwehrmechanismen dagegen zu erfinden.
Gut, man fühlt sich jetzt nicht unbedingt wie Popeye nach einer Ladung Spinat, aber das Leiden verliert seinen Schrecken, die alten Dämonen büßen ihre Krallen und scheußlichen Fratzen ein.
In Wirklichkeit hat es weniger mit Leiden, als vielmehr mit Erfahren und Beobachten zu tun. Das ist interessant und gibt Kraft.
Was aber nach wie vor ebenso hervorragend funktioniert, ist die gute alte Ablenkungstaktik.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht