Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Wider Haken…
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So blieb mir gerade genug Zeit, einzuchecken, mich für die Tour am nächsten Tag anzumelden, Geld abzuheben, überfällige Nahrung zu mir zu nehmen, meine sieben Sachen für die kommenden Tage neu zu ordnen und alsbald gegen die weiche Matratze des Loft-Dorms im gemütlichen Dachgiebel eines großen Holzhauses, welches zu dem verwunschenen Irrgarten des Los Amigos gehörte, zu prallen. Puh!
Denn schon um fünf Uhr -würg- morgens musste ich wieder frisch -b’llsh’t- erholt auf der Matte stehen… oder vielmehr schlaftrunken wanken.
Ganz ehrlich, welch ein Mensch kann soviel Missgunst, aufgestaute Rachsucht und Willen zur Folter in sich vereinen, dass er imstande ist, derart widerwärtige Zeitplanungen vorzunehmen?
Come to Guatemala, relax and have a good time! Ja genau. Schiebt Euch die good times wohin, wo kein Hahn kräht, ihr scheinheiligen Heuchler, ihr gspinnerten!
Nein wirklich, das ging die ganze Zeit so. „A que hora tenemos que levantar manana?“ – „Cinco, cinco y media, no mas.“ No mas du mich auch.
Scheiße, jeden Tag um fünf oder halb sechs raus, und dann soll man stundenlang durch’s Gebüsch kreuchen, ohne zu maulen. Ich bin auch nur ein Mensch, Himmel nochmal!
Am letzten Tag durften wir sogar bis halb sieben „aus“schlafen, weil es ja nur neun Kilometer bis zu unserem letzten Ziel und mithin Ausgangspunkt des Rundwanderweges waren. Zum Speim ist das. Und zwar Gift und Galle!
-grins- In Wirklichkeit war es gar kein Problem, in aller Quetzalsfrüh aufzustehen, weil wir am Abend sowieso lange vor zehn völlig erschöpft und zerschlagen in unsere Zelte fielen – bis auf den Abend, an dem ich mich Hals über Kopf bis in die Nachtstunden mit Patricia verratschte, aber das ist ein anderes Thema.
Ab und an schienen unsere Unterkünfte für meine üppige und einen putzigen Indigenen halsbrecherische Körpergröße jedoch nicht ausreichend zu sein. Wenn ich mich ausstreckte, konnte man leicht die Abdrücke meines Kopfes und meiner geschundenen Füße an den ausgebeulten Ecken des Außenzeltes erkennen. Eine verlängerte Embryonalstellung schien somit angezeigt.
Abgesehen davon war ich jedoch zutiefst beeindruckt, ja fast ein wenig bestürzt von den fast herrschaftlichen Camps im wimmelnden Nirgendwo der nördlichen Dschungelebenen von Guatemala. Ich dachte ja, wir schlagen unsere Zelte einfach irgendwo zwischen den Bäumen auf, wo es halt gerade wenig genug Wurzeln gibt, um die Nacht einigermaßen unverletzt zu überstehen.
Dinner im Kreis, Plastik- oder im Optimalfall leichtes Keramikgeschirr balancieren auf vor Schwäche zittrigen Knien, Stirnlampen funzeln verloren und verängstigt durch die Nacht auf der Suche nach einem stillen Örtchen, währenddessen leise Unterhaltungen im spärlichen Mondschein, der durch die mächtigen Arme der schützenden Baumriesen um uns herum zur Erde rieselt.
Aber nein! Üppige Lichtungen gab es da full blown mit staubig-erdigen Helikopterlandeplätzen, stattlichen Stein- und Holzgebäude für die Ranger, die sich einen ganzen Monat lang im Wechsel um die Anlage kümmerten, überdachte Backsteinherde mit Sitzgelegenheiten, Tischen und Hängematten, zugegeben windschiefe Einrichtungen für Duschen und gelinde stinkende Plumpsklogänge; selbst die Zeltsiedlungen waren mit Unterständen versehen. Und nicht zu vergessen die eine oder andere Solarzelle, um ein heulendes und greinendes Smartphone zum Schweigen zu bringen, herzallerliebst.
Bei El Mirador gab es sogar – und lasst Euch das auf der Zunge zergehen – einen Basketballkorb! Ja, einen voll ausgestatteten Basketballkorb, ich lüge nicht, mit Netz und allem. Das ist schon fast beängstigend.
Im Ernst, wenn das mit dem Abenteuertourismus so weiter geht, haben die in ein paar Jahren voll bestückte Bars, Schirmchen und Plastikfruchtdeko am Cocktailbecher und Umtzs-Umtzs-Blastermukke am Start. Besser nicht dran denken.
Wobei ich die Idee eines kleinen und feinen Pyramiden-Raves mit LED-Feuerwerk und Wasserrutschen gar nicht so unattraktiv finde, muss ich zu meiner Schande gestehen.
Ehrwürdiger Vater, ich kann nicht umhin und muss gestehen, dass derlei Gedanken durch unsere sündigen Köpfchen schlichen, als Patricia und ich eines verschlungenen und zeitlosen Tages auf der Spitze einer ausladend gestuften Siedlung dieser altvorderen Zivilisation standen und deren architektonische Meisterschaft aufrichtig bewunderten.
Meisterschaft in der Tat: Die breiten Handelsstraßen, oder eher Boulevards im Wald, welche die einzelnen Zentren der alten Hochkultur miteinander verbanden, waren angelegt auf mehreren Ebenen mit einer Breite von sage und schreibe 30 Metern, an manchen Stellen sogar noch mehr. Ist das zu fassen?
Ah, was für ein Gefühl, nach schweißtreibenden Stunden im Gänsemarsch vorbei an grobmaschigen Netzen aus Lianen, gefächerten Palmwedeln, Farnen, heiligen Ceiba-Bäumen mit Wurzelwerk wie aus einem Escher-Gemälde und Grün, Grün, Grün! feucht und schwanger duftend, plötzlich einer überwucherten und nur zu Teilen freigelegten Pyramide gegenüber zu stehen!
Moosbewachsene, umrankte Steine und grob behauene Felsen ragen wie verlotterte Insassen und Zeugen verlorener Menschheitsgeschichte aus ihrem undurchdringlichen Gefängnis aus Erde und Sediment heraus, um endlich wieder das Licht der Welt zu erschnuppern, das ihnen jahrhundertelang verwehrt geblieben ist.
Schon im Anmarsch auf die jüngst entdeckten Anlagen von Tintal, El Mirador, Nakbe und La Florida erspähten wir halb versteckte Steinmauern und verdächtig gleichmäßig geformte Erdhügel, die deren Anwesenheit leise flüsternd ankündigten.
Nicht auszudenken, an wieviel gut versteckten Stätten wir unwissend vorbeidackelten, denn dabei handelte es sich um riesige Metropolen mit einem Umfang von mehreren Quadratkilometern, die Zehntausende beherbergen konnten. Das meiste liegt noch immer unter dem stillen Deckmantel dieser unermesslichen Lunge der Welt.
Und das war noch nicht einmal das Höchste. Die immensen Zermonientempel von El Mirador ragten 50, beziehungsweise im Falle von „La Danta“ 70 Meter hoch in den Himmel, nur eine der vier Fronten konnte bisher einigermaßen freigelegt werden. Selbstverständlich kletterten wir bis ganz nach oben, um uns feierlich und andächtig tratschend unwirkliche Sonnenuntergänge anzuschauen, während man in der Ferne die bewachsenen Hügel weiterer Stufenpyramiden erkennen konnte.
An einem besonders klaren Tag ragte sogar der winzige Zipfel von Calakmul am Horizont ein Stückchen über das Waldmeer hinaus.
Calakmul, liebe Freunde, liegt mithin in Mexiko. Zumindest behauptete das unser allwissender und hochgelobter Guide Rudy, dem wir vollends vertrauten und alles glaubten, obwohl er ab und an scheckernd kicherte wie ein frecher Spitzbube.
Blieb uns denn eine andere Wahl?
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht