Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Wirbelwinde…
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Denn nichts anderes bedeutet ja das Wort „Kremlin“: Die alte Festung wurde von Iwan dem Schrecklichen vergrößert und verstärkt und erlangte so ihre heutigen Ausmaße. Gierig schaute ich hierhin und dorthin, die Hand, welche die Kamera führte, direkt über das Rückenmark mit meinen Augen verlinkt.
Wir schritten durch eines der Tore, und da war sie: die große Schwester der märchenhaften Kazan-Kirche in Petersburg. Wie ein explodierter Berg aus Zuckerguss erhob sich die Basilius-Kathedrale vor meinen überquellenden Augen.
Ich weidete meinen Blick an ihren kunterbunten Türmen wie damals Kaspar Hauser, als er nach seiner langen Gefangenschaft zum ersten Mal wieder das goldene Licht des Tages erblickte.
Der Vergleich ist durchaus passend, denn die russische Sonne brannte recht ungestüm auf meine Sehnerven. Ich meine, ein Volk, das so etwas hervorbringt, KANN nicht so bösartig und in sich verschlossen sein, wie uns unsere westlichen Medien glauben machen wollen. Aber davon später.
Als ich meinen Blick endlich loszureißen vermochte, ließ ich ihn noch einmal über „Krasnaja Ploschad“, den breiten Paradenplatz schweifen. Um die Ausmaße zu schaffen, welche den Kommunisten vorschwebten, wurden ganze Häuserreihen verschoben!
Es ist schon erstaunlich, was ein zu kleiner Schwanz alles vollbringen kann.
Demgemäß wurden fast alle Kirchen von den fanatisch überzeugten Atheisten abgerissen, um Platz zu schaffen, zum Beispiel für ein Schwimmbad.
Aus sporttherapeutischer Sicht ein überaus löblicher Ansatz, doch in seiner Tendenz eben leicht übertrieben, will mir scheinen. Und sie lernen freilich nichts daraus.
Nach dem Fall der Sowjetunion werden nun wiederum die Kommi-Bunker dem Erdboden gleichgemacht und die Kirchen wieder aufgebaut. Gewiss, die sind viel schöner, aber in Afrika sterben die Menschen.
Naja, was will man sagen.
Jedenfalls, übrig blieb das imposante „GUM“, früher das Hauptmagazin für Waren aller Art, bietet es heute eine bescheidene Wohnstatt für Prada, Gucci und die ganzen Verbrecher. Pflichtbewusst verengte ich meine Augen zu missbilligenden Schlitzen.
Der Ehrenfriedhof befand sich direkt an der Kreml-Mauer mit dem Lenin-Mausoleum als Dreh- und Mittelpunkt. Das war aber leider geschlossen. Auf der anderen Seite halte ich sowieso nichts von haltlos überzogenem Personenkult. Sind doch meistens nur arme Spinner, die zur richtigen Zeit am falschen Ort waren.
Pause. Wir tranken einen Vier-Euro-Kaffee mit „German Chocolate“ im sogenannten „Kafe Chaus“, einer fancy pancy russischen Café-Kette für Ist-doch-eh-schon-alles-egal-Hipster. Dieses befand sich in einem unweiten, unterirdischen Einkaufszentrum und wand sich um einen von Säulen getragenen Springbrunnen unter einer Glaskuppel mit eingeätzter Weltkarte.
Und die Leute finden das ganz normal.
Ganz im Ernst, lang kann es nicht mehr sein bis zum Jüngsten Gericht. Aber für aktive Gesellschaftskritik taten mir in dem Moment die Beine einfach zu weh.
Um die Scham zu verdauen, rauchten wir eine Zigarette an einem Gaudi-esken Kanal und marschierten weiter in Richtung der „Kitay Gorod“, Moskaus Altstadt. Arnold war vor fünfzehn Jahren schon einmal in Russland gewesen und mimte, wie auch bereits in Petersburg, meinen höchstpersönlichen Walking-Tour-Guide.
So führte er mich zu weiteren orthodoxen Kirchen mit weiteren süßen Türmchen, zur „Duma“, der alten KGB-Zentrale, zur ersten englischen Botschaft und der Residenz der Romanovs, während meine Digitalkamera Sturm und Drang lief.
Es wurde spät, und wir waren am Ende unserer Kräfte. Außerdem machte ich mir schon Sorgen, dass wir Masha schmollend vor verschlossener Haustür antreffen würden. Sicherheitshalber kauften wir ihr ein paar hübsche Orchideen als Dankeschön.
Mit letzter Kraft schleppten wir uns die Treppen nach oben und in ihre Wohnung. „Endlich duschen“, dachte ich mit einem mentalen Seufzer. Wie naiv.
Mit einem breiten Grinsen und voller Elan empfingen uns Masha und ihr nicht minder sympathischer Freund Senja: „Na perfekt! Wir sind gerade auf dem Weg zu einer Hausparty von unseren Freunden! Wollt ihr nicht mitkommen?“
Arnold und ich sahen uns aus rotgeränderten Augen an:
a) Wann bietet sich schon noch einmal so eine Gelegenheit? Und
b) Hätten wir denn eine Wahl?
Also, Zähne und Arschbacken zusammenbeißen mein Freund, und dann lass uns einmal tief durchatmen, die letzten, kläglichen Überreste unserer Reserven ins Felde führen und auf, rein ins Vergnügen! „Haben wir noch Zeit für eine Dusche?“ – Abwinken: „They won’t mind!“
Hmpf.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht