Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Wo das Paradies…
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(bot. „Trampire“); Oder: Seinsveränderung durch ganzheitliche Erschöpfung
Nein, das schafft man nur durch ausdauernde und geduldige Spaziergänge, indem man sich eine feinstoffliche Offline-Map ins Unterbewusstsein ritzt, nicht mal Google kann das. Immer fein lauschend seinem Bauch folgen, ja nicht nachdenken!
Das sieht man nämlich an den aufgedunsenen Knochenwülsten von Gehirnen der meisten Gerippe hier, die in ihren letzten peinvollen Momenten aus brennendem Hunger ihre Zähne in die Mauern der Lehmhäuser geschlagen haben, erstarrt in einem letzten verzweifelten Aufbäumen ihrer schwindenden Lebenskraft.
Halt stop, stimmt nicht. Das hab ich mit „Fluch der Karibik“ verwechselt.
Fluch…jaa… Ah! Logo. Tourismus. Gab’s hier wie gesagt vergleichsweise üppig, ähnlich den oben beschriebenen Gärten.
…Wuchernd und sprießend wie ein tödliches Gift verströmender Parasit, der… naja.
Mea culpa. Ich schau nur.
Tah. Aber das war mir so furzegal. Ich war eh schon komplett ausgecheckt und vollauf damit beschäftigt, meine vor Erschöpfung gepflegt kotzenden Batterien für die kommende Arbeitssaison aufzuladen.
Wenn ich mich nicht lethargisch sabbernd auf einem Takht im bildhübschen Innenhof des Kohan Hotels wälzte und mit einer gehörigen Willensanstrengung die leuchtenden rosa Blüten auffing, die von einer frechen Bö aufgeschreckt und aus den empört tuschelnden Bäumen gerieselt kamen, zählte ich das Plätschern des Wassers und entzifferte im Kopf das aufgeregte Zwitschern der hin- und her huschenden Vögel.
Ich fühlte den Schmerz ihres bedauernswerten Kameraden, der in einen winzigen Käfig gesperrt war und sehnsüchtig ihren kapriziösen Flügelschlägen hinterdrein blickte, welche vor entfesselter Freiheit barsten.
Ich wollte ihn befreien, aber genau in dem Moment kam das Abendessen.
Der erste April war besonders anstrengend, das weiß ich noch ganz genau.
Von meinem Hotel musste ich 500 Meter zur Hauptstraße meilenstefeln, um dann nicht nur einmal, sondern gar zweimal rechts abzubiegen, bevor endlich das erlösende Café vor meinen flirrenden, vom Schweiß verkrusteten Augen auftauchte.
Das Personal fing mich auf, wie ich mit wunden Gliedern und vor Durst geschwollener Zunge über ihre Türschwelle stolperte, und bettete mich auf weiche Polster. Sie flößten mir German Espresso (??) ein, bestäubten mein Antlitz mit Safran und tränkten meine Füße in Rosenwasser, während ich schnaufend und bebend der Ohnmacht von der Türschwelle kullerte.
Ich war sogar so weit, mir einen Film auf meinem Tablet anzuschaun!
Einen FILM!! (Das letzte „FILM“ müsst Ihr Euch wie ein krächzendes Kreischen vorstellen, so ähnlich wie wenn man „GRELL!!“ sagt.)
In meiner ganzen Backpacker-Laufbahn ist mir so etwas noch nicht passiert.
Ich versuchte stöhnend, Buße zu tun und in meinem Gedichtband von Hafiz zu blättern, aber die übel vergewaltigte und bis zur Unkenntlichkeit verzerrte Wortstellung der englischen Übersetzung machte es mir unmöglich, diesem literarischen Labyrinth auch nur den geringsten Sinn zu entreißen.
Noch dazu verwendete er Vokabeln, die wohl kein englischer Muttersprachler seit Hunderten von Jahren mehr vernommen hat.
Mein Wortschatz ist jetzt nicht ohne, aber diese kryptischen Ungetüme würden selbst einen versierten Linguistik-Professor wie Tolkien erbleichen lassen.
Somit nehme ich es dem Übersetzer beileibe nicht übel, denn ein mittelalterliches persisches Gedicht mit seinem ganz eigenen Rhythmus und bildhaftem Ausdruck in eine einigermaßen lesbare englische Fassung zu bringen, stelle ich mir in etwa so schwierig und schmerzhaft vor wie einem legasthenischen Einhorn binäre Zahlencodes beizubringen.
Wenn ich mehr als zwei Zeilen eines Gedichtes las, japste ich wie ein frisch geworfenes Wolfsjunges und starrte mit angstgeweiteten Augen nach etwas, an dem ich mich festklammern konnte.
Ooh, da kommt bereits der nächste seicht fließende Übergang hinter einer gemächlichen Biegung in Sicht. Denn die Art und Weise, wie ich mich zu jener Zeit an andere Reisende klammerte, um schlussendlich doch noch die eine oder andere Sehenswürdigkeit aufzulesen, erweckt in mir folgendes Bild:
Gefühls- und gedankenentleert schlingernd treibe ich in einem Schlauchboot dämmernd auf dem trägen Zeitenfluss dahin. Ohne Paddel.
Ich habe sie nicht verloren, sondern mit einem lustvollen Aufschrei aus aufrechter Lebensverneinung wie funkelnde Speere ins Sonnenlicht vor mir geschleudert.
Doch wann immer ein frivol plätschernder Kahn meine unbändige Negation aller Existenz stört und es WAGT, mein leer gepumptes und kränkendes Wrack zu überholen, kralle ich mit einem gutturalen Knurren meine schmarotzigen Klauen in seinen Bordriemen und lasse mich auf Gedeih und Verderb ein Stück Wegs mitzerren.
Dergestalt saugte ich sight-trampend eine finnische Hitchhikerin namens Emma aus und ließ mich von ihr durch die braunen Gänge meiner Nachbarschaft und des Bazaars schleifen.
Sie konterte mit einem Wortschwall, der Imperien aufsteigen und zu Staub zerfallen sieht.
Das kam einigermaßen überraschend für mich, wenn man sich die eiszeitliche Redegewandtheit der Nordlichter vorstellt, die die Hälfte des Jahres in Dunkelheit verbringen. Sie verpulverte die Dialoge sämtlicher Kaurismäki-Filme in einem einzigen Atemzug.
Hyowon aus Südkorea wiederum zeigte mir einen geheimen Ort, wo ich mein letztes Geld wechseln konnte.
Gott, die war so süß! Sie lebt in Frankreich, was ihren ohnehin schon putzigen Korri-Akzent mit einem hauchdünnen Honigfilm aus fronssösischem Säuseln überzog.
Mit ihrem Englisch wiederum ließen sich Gebirge einebnen und Polkappen schmelzen:
„Dey thold me tho go to Tzak-Tzak* (*Chak-Chak, Dorf im Umland; Anm. d. Sammlers) but hI wass sso anggry! -energisches Kopfschütteln mit zugekniffenen Augenlidern- dat hI didn’t go.“
Eigentlich gehört es in die Genfer Konvention, aber das bringt ja auch nichts.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht