Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Hybris…
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Entonces, listo. Noch einen schlemmenden Tag der Rekonvaleszenz nach der denkwürdigen Bezwingung des Acatenango gönnte ich mir, danach war ich fertig mit Antigua. Und mit Guatemala im Allgemeinen, was das angeht. Patricia war mit ihrem Schlenker über Rio Dulce und Livingston fertig, und der Plan lautete, dass wir uns in El Salvador treffen sollten.
…„Plan“ ist vielleicht etwas übertrieben. Man könnte es als ein grobes Konzept beschreiben, ein sich evolvierendes Prinzip mit der Geschwindigkeit eines Quastenflossers, dem ein Komet auf den Fersen ist, ein freier Gedanke, wer kann ihn erraten? Hierhin und dorthin hüpft er, riecht an einer Blume, er springt und wedelt aufgeregt mit den Armen, um sich im nächsten Moment plumps! kichernd ins Gras fallen zu lassen.
Dafür hat es ganz gut geklappt. Trotz der Tatsache, dass ich irgendwie durch Guatemala City musste. Ja, so weit bis über die Grenze war es eigentlich gar nicht. Aber die Stadtdurchquerung, also lass sagen Greater Guate von einem Stauende zum anderen inklusive Taxi-Shuttle zwischen den Bussen hat fast solange gedauert wie der Rest der Strecke von Antigua nach Ataco in El Salvador, in etwa drei grauenerregende Stunden.
„Grauenerregend“ ist vielleicht etwas – obwohl nein. Es war schrecklich. Ekelhaft. Diese Stadt ist ekelhaft. Ich konnte mit jedem Meter, der ich mich ihr näherte, exakt und im Detail spüren, wie meine Laune in harmonischer Kongruenz auf den Meeresgrund sank, und mit Meeresgrund meine ich Mariannengraben, Mann! Das gleiche Spiel auf der östlichen Seite, nur umgekehrt. Sobald wir draußen waren, fiel mir eine Zentnerlast von den Schultern und ich konnte wieder frei atmen.
Guatemala City ist vom Teufel. Die dunkle Seite ist hier so stark, dass sich eine ganze Armee von Yodas (Spinn’ ich oder wird der Name seiner Alien-Rasse tatsächlich in keinem Star Wars-Streifen je erwähnt?) hier verstecken könnte. Gesehen hab’ ich keinen, aber sie sind ja auch klein, die Biester.
Wie auch immer, je näher wir der Grenze kamen, desto aufgeregter klapperte meine Vorfreude mit den Zähnen.
Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie freute ich mich riesig auf El Salvador. Vielleicht hoffte ich, nun endlich dem Banana Pancake Trail, Enemy Mine, zu entfliehen. Zumindest für eine Zeitlang, bis ich es ohne Mochachino und Zimtschnecken nicht mehr aushalte und aus reiner Verzweiflung eine Eiscremefabrik überfalle.
Und wie die Drachen in frühen Tagen werde ich den ätzenden Odem meiner Zahnfäule bis in den kleinsten Winkel der Anlage blasen, Menschen und Vorarbeiter werden dahinsinken, selbst Bakterien werden von dieser Epidemie befallen und sterben an ihrer ganz persönlichen Pest, herbeigeführt von der Todesgöttin mit ihren fettigen Medusa-Dreads höchstpersönlich.
Generationen später, Tage noch nach diesem schrecklichen Ereignis werden die Mikrobenpriester, überliefert durch Stoffwechsel und Zellteilung, vom Schwarzen Bazillentod berichten, von der furchtbaren Rache der wandelnden Fleischberge, inkarniert durch eine übelriechende und verlotterte Hexe mit Kinnbart.
Wow. Dabei hab’ ich nicht mal was geraucht. – Manchmal komme ich da vollkommen nüchtern drauf. Was die Frage aufwirft, ob das eh irgendwo in Ordnung und vielleicht sogar gesund ist oder ob ich vielleicht nicht doch mehr Drogen konsumieren sollte.
Ein Spiel mit dem Feuer, da helfen auch keine Zehenschuhe.
… Ich tu’ jetzt einfach so, als ob der ganze Abschnitt gar nicht existiert:
Entspannt zuckelte der Bus in Richtung Valle Nuevo, hinab in ein sanft abfallendes Tal mit spärlicher Vegetation. Fast mutete die Szenerie wie eine Halbwüste an, doch es handelte sich nur um einen schmalen Streifen saftige Ödnis, jenseits davon prangte erneut üppiger Bewuchs um einen mäandernden Fluss im Niemandsland.
Hab ich das mit den Grenzen zu Fusssnnnn, jaajaja, hab’ ich, okay. Okay.
Nun, es war wieder einmal wunderschön zwischen den Zeilen. Ich stand auf einer einsamen Brücke, die ein tief eingeschnittenes Stück Schönheit überspannte, bei deren Anblick man unwilllkürlich tief Luft holt, um sie dann wie ein Pfeifengourmet langsam und Molekül für Molekül wieder aaauszupusten.
Kinder und Erwachsene plantschten im Wasser, das sich genüsslich in der Sonne räkelte, Fischer gaben summend Leine, sogar ein Schnorchler blickte verwirrt umher. Am Ufer wurde herzhaft geratscht, während die Wäsche geduldsam auslaugte; das ganze Leben schaltete einen Gang herunter, um zuzuschauen. All das wurde bildhübsch eingerahmt von einem Stück freier Erde, wer kann sie erraten?
Ach so, ich muss auch wieder einreisen? Schade eigentlich. Was wohl passieren würde, wenn ich da unten einfach mein Zelt aufstelle und so tu, als würde ich dazu gehören? Für den Lebensunterhalt könnte ich Menschen von einer Grenze zur anderen fahren wie der geile Typ bei den Vic Falls, ohne je eine zu passieren.
Was würde wohl passieren?
Hach, manana.
Kurz war ich etwas entrüstet, dass ich keinen Einreisestempel bekam. Da mach ich mir extra die Mühe! So kriege ich meinen Pass nie voll, dabei fehlt gar nicht mehr viel, kruzifix. Hat jemand Visa-Stempel, die er nicht mehr braucht?
Auf Knien habe ich ihn angefleht, mir nur ein winzig kleines Zeichen seiner Wertschätzung, ein zartes Siegel seiner Anerkennung zukommen zu lassen.
Bitte! Ich will offiziell sein. Registriert, verzeichnet und vermerkt in den hehren Annalen der Bürokratie, bis dass der Tod mich schneidet. Nein, ich bin nicht bei Facebook! Ich will nicht Dein Freund sein, sondern nur diesen fucking Stempel!! Hier, musst nur noch das Datum einstellen und einmal feste drauf drücken, ist doch egal, ob es überflüssig ist!!! Ich brauch’ das, chico!
Aber Typ war vollkommen resistent gegenüber menschlichem Leid und bestand darauf, dass ein Vier-Länder-Abkommen existiert, um das Reisen zwischen Guatemala und Nicaragua einfacher zu machen. Na, hoffentlich sieht das sein Kollege auf der anderen Seite von El Salvador auch so.
Ob es was bringt, wenn ich ihn mit einer Waffe bedrohe? Hm. Aber zu dem Zeitpunkt saß ich, mit leerem Blick und zutiefst enttäuscht und traumatisiert, schon im Bus ins unaussprechliche Ahuachapán. Es ist kaum zu glauben, aber die Dinger klappern hier noch mehr als drüben.
Da war einiges los auf dem Markt in Ahuananana, aufgeregtes Gewusel, aber ich wurde nun doch etwas müde und ließ mich gleich das letzte Stück in die Berge um Ataco schippern. Nach guten acht Stunden, 5 Bussen, einem Taxi und ungezählten Tränen erreichte ich schließlich das beschauliche Dorf, das im Begriff war, sich für oder gegen, je nachdem, den Touristeneinschlag der Semana Santa zu wappnen.
Souvenirs in allen Farben des sichtbaren Spektrums und darüber hinaus* wurden ausgestellt, Stellungen ausgehoben und Barrikaden aus Sandsäcken und Licuado-Ständen aufgebaut. Die Einheimischen entsicherten ihre Geldbeutel und checkten, ob sie über ausreichend Kleingeld-Magazine verfügten.
*Ich glaube ja, dass man die meisten Souvenirs gar nicht sieht, weil sie a) unser Bewusstsein aus Sicherheitsgründen herausfiltert, b) sich in Paralleldimensionen befinden, weil in unserer einfach nicht genug Platz ist und/oder c) die Gravitation der Erde aufgrund der Zunahme der Masse im gegenteiligen Fall derart zunehmen würde, dass sie sich praktisch in ein Schwarzes Loch verwandeln würde.
All das gewahrte ich, als ich auf der Suche nach einer geeigneten Unterkunft war für die ersten Nächte, und grade als ich im Begriff war, dem netten, doch eher nichtssagenden „San Fernando“ mein Ja-Wort zu geben, weil ich einfach zu fertig war, noch weiter zu suchen, da stand auf einmal Patricia in der Lobby, und wir fielen uns glücklich und müde in die Arme.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht