Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Kakao oder…
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Es gibt ja eine Theorie, die besagt, dass der Name „Guatemala“ soviel wie „Berg des dampfenden Wassers“ bedeutet. Wenn man jedoch den Tolteken eher Glauben schenken mag, so ist es das „Land der Bäume“. Wenn ich an die Wanderung im Dschungel zurückdenke, so macht sicherlich beides Sinn, je nachdem, wo man eben abhängt.
Da ich zu jener Zeit eben auf dem mit Vulkanen gesprenkelten Altiplano oder Hochland von Guatemala, abhing, geben wir also bis aus Weiteres ersterer Deutung den Vorrang.
Habt Ihr übrigens gewusst, dass Guatemala der geografische Mittelpunkt der beiden amerikanischen Landmassen ist? Ich auch nicht.
Ich denke aber, ich lüge nicht, wenn ich sage, dass jeder, der nach Antigua kommt, auch eine Besteigung des nicht weit gelegenen „Acatenango“-Vulkans in Angriff nimmt, denn alles andere käme einem reisetechnischen Fail kosmischen Ausmaßes gleich und wäre in etwa so wie ohne Geld nach Las Vegas zu fahren – im Gegensatz zu Las Vegas ohne Geld zu verlassen.
Dementsprechend ist das Aufkommen der Gruppen, die da zur Hochsaison hochdackeln, aber das ist eben zu erwarten wie die Schneeschmelze im Frühling, und immerhin bietet die breite Flanke des Vulkans ausreichend Platz, so dass sich die Basecamps der unterschiedlichen Tour-Anbieter nicht gegenseitig ins Feuer spucken.
Auf freshen 2.200m über dem Meer begann die serpentinenmäßige Wanderung zu unserem etwa anderhalb tausend Meter höher gelegenen Camp, und gleich zu Beginn fanden wir uns in einer staubigen Geröllrinne wieder, in der man das Gefühl hatte, bei jedem zweiten Schritt wieder einen zurück zu rutschen.
Nach diesem beschwerlich schnaubenden Aufwärmprogramm duckten wir uns unter das dichte Blätterdach des eigentlichen Berghangs, seine sich windenden Eingeweide oft mit zaubrisch anmutenden Moosen bedeckt, die das Auge redlich erfreuten. So kroch unsere bunte Karawane, angeführt von zwei engagierten und umsichtigen Guides, Stück für Stück nach oben; mit jedem Meter stieg die Vorfreude und spannte sich geduldig wie ein mongolischer Langbogen.
Mir persönlich wurde der Aufstieg durch die Anwesenheit dreier Iren und ihrem herzerfrischenden Dialekt versüßt, mithin die ersten Bewohner jener entzückenden Insel, die ich bisher auf meiner ganzen Reise treffen durfte. Der Rest verteilte sich auf die üblichen Verdächtigen aus Europa und Nordamerika.
Nach zahlreichen Pausen und einem generell eher behäbigen* Tempo lichtete sich der Wald, als wir uns in großzügigen Schlangenlinien um die Ausläufer des Acatenango unserem Ziel näherten. Pinien und dicke Büschel aus Gräsern dominierten nun die Szenerie, die aussahen wie eine hellgrüne Flut, erstarrt und eingefrorenen in den Nebeln der Zeit.
*Meine im Schnitt um zehn Jahre jüngeren Mitstreiter priesen mich fürderhin als draufgängerischen Abenteurer, da ich es wagte, diesen extremen Hillary-Trip ohne Wanderstock zu unternehmen. Mei, mir soll’s recht sein.
Am späten Nachmittag erreichten wir glücklich und verschwitzt das Base Camp, Zelte und Schlafsäcke harrten bereits unserer Ankunft, in der Mitte prasselte lockend ein wärmendes Feuer. Doch all unsere Aufmerksamkeit richtete sich nun gebannt auf den siamesischen Zwilling in etwa zwei Kilometer Entfernung.
Nein, wir sind natürlich nicht auf einen aktiven Vulkan geklettert (und der Zug war uns leider zu teuer, Oma), aber von hier oben hatte man einen Logenplatz in der ersten Reihe und für ein paar letzte Stunden in der Sonne mit Blick auf den „Fuego“ zur Primetime.
Das Schauspiel, das sich dort drüben vor unseren gierigen Äuglein entfaltete, spottet so ziemlich jedem armseligen Versuch einer Beschreibung und lenkte uns sogar vom wärmenden Kaffeedampf und den bratenden Marshmallows ab.
Ja, wir haben relativ ungeniert Marshmallows ins Feuer gehalten, auf einem Vulkan in Guatemala etwa 3.700 Meter über dem Meeresspiegel, was dagegen? Ich halte das nur für angemessen und vernünftig. Und wenn es sowas wie Glamping geben darf, dann habe ich auch kein Problem damit, mir chemisch fragwürdig eingefärbte und angekokelte Ohrstöpsel aus Zucker in den Rachen zu schieben.
Als fast ebenso angemessen und vernünftig befand ich das mit Abstand leckerste Kartoffelpurée außerhalb meiner heimischen Küche, in sakraler Hochzeit von nicht minder hinreißenden „Frijoles“ (das gleiche aus Bohnen). Die Chow Mein dazwischen kann man leichthin unter den nicht vorhandenen Tisch fallen lassen und hätten gar nicht erst sein müssen.
Okay, nicht abdriften: Wolkenbänke und -türme und -schlösser stoben mit derart atemberaubender Geschwindigkeit aus allen Richtungen um den Krater des Fuego, dass es mir so vorkam, als ob die Welt im Zeitraffer ablief. Mehrere Schichten schienen da aufeinander zu stoßen und sich gegenseitig zu durchdringen, ähnlich wie Parallelwelten auf dem Oktoberfest.
Für einen neckenden Wimpernschlag nur gaben sie den Blick frei auf den Vulkan in einer Halskrause aus flauschig weißer Watte; wahrscheinlich hat er sich durch den chronischen Reflux seine mineralische Speiseröhre versengt.
Denn wenn man Glück hatte, schnaubte er wie ein mordlüsterner Stier genau zu diesem Zeitpunkt seine eigene Rauchwolke in den tobenden Himmel, gefolgt von einem dumpfen und unheimlich donnernden Grollen, als ob unserem Planeten der Magen knurrte.
Eine formidable Herausforderung selbst für meine überlegenen Fertigkeiten im Umgang mit der Digitalkamera!
Zudem wurde dieses einzigartige Schauspiel mit dem Dahinwelken des Tages von der untergehenden Sonne in ein unwirkliches und surreales Licht getaucht, das den Special Effects-Leuten von „300“ vor Neid und Zorn derart das Blut in Wallung gebracht hätte, dass sie allein die persischen Heerscharen ins Meer zurückgetrieben hätten.
Orange und rosa wie in den Tagen der Schöpfung, die kein Mensch je erblickt hat.
Und das ging alles so furchtbar schnell! Auf einmal verschwand die ganze Welt wieder im undurchdringlichen Nebel – was macht eigentlich mein Marshmallow?
Nach vorne Richtung Tal also Formen- und Farbenkino vom andern Stern. Wenn ich mich aber umdrehte und den Hang hinauf zum Acatenango-Krater blickte, so meinte ich, ein Stück Weltuntergang käme geradewegs auf mich zugerollt, um mich zu verschlingen und in obskure Finsternis zu stürzen.
Die Wolken fegten so schnell über unser Zeltlager, als ob eine Phalanx aus feurigen Luftgeistern sie mit Schild und Speer vorantrieb. Der ganze Berg war in eine wirbelnde Masse aus Unheil brütender Dunkelheit getaucht, die dem Chaos selbst zu entstammen schien.
Es war einer jener sich dehnenden Momente, wo ich nicht wusste wohin mit meinem Kopf, und bevor ich auch nur im entferntesten realisieren konnte, was da gerade passierte, war es auch schon dunkel und die Ouvertüre tosend und krachend vorbei.
Aber von Entspannung keine Spur, denn es ging nahtlos weiter mit dem ersten Höhepunkt des Tages und dem wahrscheinlichen Hauptgrund für viele, sich überhaupt auf diese -zugegeben etwas übertriebene- Strapaze einzulassen.
Statt Rauchwolken entfaltete der Berg des Feuers nun seine ganze Pracht und machte seinem Namen Ehre, denn unseren vor kindlicher Lust tränenden Augen bot sich ein Feuerwerk, das ich wohl in meinem Leben nicht mehr sehen werde:
Rote Glut spie da der wütende Bruder in den rabenschwarzen Himmel gleich einer infernalischen Fontäne, welche sich zu einer blühenden Feuerblume auswuchs, um hernach in eleganten und anmutigen Strömen aus heißer Lava den Aschehang des Vulkans hinunter zu fließen.
Die Milchstraße mit ihren Milliarden Sternen über uns schaute geduldig zu, und rechts oben machte es sich der Mann im Mond mit einer Tasse Kakao in seiner Sichel bequem…
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Bitte umblättern: Zu spät…
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht