So habe ich es also getan.
Ja, was denn schon wieder? – Ha! Der Welt der Sesshaftigkeit endgültig den Rücken gekehrt, mein schnuckeliges Zimmer in München an den Nagel meines Nachmieters gehängt, um fürderhin als Nomade durch die Lande zu ziehen, mit der Heimat im Herzen.
Welch schwerwiegende und doch so erleichternde Entscheidung.
Eigentlich rechnete ich damit, dass mich zumindest beim Ausräumen meiner Bude während der letzten zwei Wochen ein bisserl die Wehmut und Bedauern ergreifen würden, doch fühlte ich mich mit jedem Regal, das ich von Büchern, DVD’s und nutzlosem Ramsch befreite und eine sich über die Jahre dick verkrustete Patina aus Staub offenbarte, leichter und beschwingter.
Zugegeben, vereinzelte Stiche in die Magengrube ob dem nagenden Ansturm der Ungewissheit blieben nicht gänzlich aus, doch verwehten sie wie verdorrte Samenkapseln im sanften Wind der Veränderung.
Jedes Mal, wenn ich jemandem von meinem angemessen verrückten Entschluss erzähle, geht mir das Herz auf, und meine Seele fliegt hoch und immer höher, tanzt über den azurnen Himmel wie ein entfesselter Luftballon.
Es ist jetzt alles offen, und ich schlafe so gut wie seit langem nicht mehr. Was aber vielleicht auch an meinen vermaledeiten 87-Zonen-Komfort-wasweißichwas-Matratzen gelegen haben könnte, die so umso weniger bequem waren, desto mehr sie gekostet hatten.
Egal, ich fühle den Moment, den leeren Raum zwischen den Räumen, Gedanken ziehen wie geisterhafte Wolkenfetzen durch mein Gemüt, ich spüre sie, lade sie ein, lasse mich jedoch nicht mitreißen und schaue ihnen fast belustigt nach. Denn sie bleiben nie lange.
So schreibt auch Huxley in seiner bemerkenswerten, wenn auch vielleicht etwas naiven Utopie „Island“: „Here and now, boys!
Der Versuch, Entscheidungen immer mehr mit dem Bauch und aus dem Herzen zu treffen. Schnell schaltet sich das Köpflein ein und rattert fröhlich seine ab und an verstörenden Weisen, aber ich höre nicht mehr immerzu auf ihn. Sinn muss es dann schon machen, hört hört.
So ist es heute. Jetzt. Was morgen ist, ist morgen. Und früh genug.
Himmel, wie arg doch meine früheren Reisen von Entscheidungsnöten und rasenden, nie zur Ruhe kommenden Gedankenwelten verdunkelt wurden! Sie sind jetzt auch da, aber das in Ordnung. Spüren ist wichtig. Sein.
Und doch. Es ist erstaunlich, wie seltsam schwer und beinahe bedrückend die Leere und Weite der Welten manches Mal auf mich wirkt. Unwillkürlich schrecke ich davor zurück, scheue mich vor dieser furchtbaren Unendlichkeit.
Carmen und Jana dürften mittlerweile wieder zu Hause sein, die letzten Verbindungen sind gekappt. Und doch schwingt in dieser süß verführerischen Freiheit wiederum ein bitterer Tropfen Schwermut mit, vermengt mit dem kostbaren Salz der Trauer.
Doch ich greife vor und schlage dramaturgisch wild um mich.
Nachdem ich also mein ganzes Zeug bei meinen Eltern gelagert und einige Wochen noch bei Ihnen auf dem ruhigen Land verbracht hatte, führte mich eine gänzlich neuartige Reise abermals über München und Paris nach Cancún in Mexiko, wo ich eine Nacht im süßen Maya Cha’an Hostel verbrachte und dort Giancarlo aus Italien mit seiner schönen Hündin kennenlernte.
Der war ein lustiger und famoser Zeitgenosse, wir hielten uns kaum mit Wer-wo-wie-was-Geplänkeln auf und stießen flugs hinab in die Tiefen der Psychologie und der Spiritualität. Man mag es sich bei derartigen Themen kaum vorstellen, aber wir lachten viel und herzlich dabei. Nur schade, dass er gerade am Zuge war, die Heimreise anzutreten.
Ein allseits und immerzu verbreitetes Phänomen, die einen kommen, die anderen gehen.
Der Arme musste an die 500 Euro für einen neuen Rückflug hinblättern, weil er aus Versehen anstatt 11 nur 10 unumstößliche Formulare für seine haarige Wegbegleiterin ausgefüllt hatte.
Bürokratie kann durchaus auch mal richtig teuer werden. Ob so etwas aber Sinn macht, darüber mag wohl debattiert werden.
Er wäre mir ein herzlich willkommener Reisegefährte gewesen, doch war es für uns wohl nicht an der Zeit. Doch durch ihn bekam ich erste ungefähre Ideen, was ich mit meiner Zeit hier denn anfangen könnte, und vielleicht war dies bereits ein Sinn unseres Treffens.
Meinen ersten Burrito verspeiste ich im übrigen auf einem schauerlich kitschigen und doch einnehmenden kleinen Plaza mit vielen Essensständen und lärmenden Feierabendlern, nur einen Eidechsenwurf entfernt vom Maya Cha’an.
Erinnerungen an Chiang Mai.
Dann jedoch wand ich mich eine, dank dieser verfluchten Klimaanlagen recht eisige und Quetzalcoatl sei’s gelobt kurze Busfahrt lang gen Süden in den hippen Strand- und Badeort Tulum, wo ich Carmen und Jana, zwei liebe Freundinnen aus München, traf. Ein Abschied in sanften Etappen.
Ihre Heim- überschnitt sich mit meiner Anreise, warum also nicht für ein paar erste und letzte Tage das karibische Meer zusammen genießen.
Schon auf der Hinfahrt fielen mir die vielen Schilder der Nobelhotels und Ökorelax-Wehrburgen auf und mir dämmerte schnell, was mich dort erwarten würde.
Der Kosmos kichert und wälzt sich vergnügt im dampfenden Morast der Existenz.
Weil, hier gibt es auch eine dieser abscheulichen, vordergründig bescheidenen und doch durchgestylten Mystic Spas für die New Capitalism Age-Hippies mit ’ner Rolex über dem Dritten Auge und Traumfängern aus Safranfäden vor dem Sixpack-Chakra. Da wird der Geist wie kurz vor einem spiritistischen Holocaust massenkonsumiert und unverdaut wieder ausgeschissen.
Denk ich mir jetzt mal, ich war ja nicht drin. Vielleicht lieg’ ich auch vollkommen falsch, obwohl es sowas gar nicht gibt, sagt Sri Hummsdibummsdikananda.
Ja, mehr noch. Mir ist zudem vollkommen klar, dass ich hiermit meinen eigenes Wesen überaus zurecht dem hohen Gericht der Ironie zum Fraß vorwerfe, nur weil ich Euch ein amüsiertes Grinsen in die winterfahlen Pausbäckchen zaubern will. Das aufgeblasen triefende Ungeheuer Ego mit brüchigen Klauen fletscht seine fauligen Zähne und verschlingt die eigene Herrlichkeit mit Haut und Haaren.
Ja, vielleicht will ich nur angeben und Eindruck schinden.
Und INDEM ich das schreibe, sozusagen postwendend und in (schein-) heiliger Weise, erhoffe ich mir mit dieser kritischen Selbstreflexion vom Universum selbstverständlich und insgeheim Absolution zur Rettung meiner zerrissenen Seele.
Dergestalt stelle ich überaus subtil klar, dass mir meine eigenen Verfehlungen sehr wohl bewusst sind, und tue wiederum schluchzend Buße, schrubbe mir meine seelischen Knie auf dem Nagelbett der Läuterung blutig und erwarte, dass das immerwährende Licht quasi durch die Hintertür ins Haus fällt.
Soll ich weitermachen? Ich kann das lustig noch weiter treiben und immer neue tiefenpsychologische Gräben zu Tage bomben.
–- Lieber nicht, sonst wird es für mich wie auch für Euch erst richtig ungemütlich.
Here and now, boys!
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Bitte umblättern: Besitz ergreifen…
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht