Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Vor der Flut…
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In diesem Beitrag sind nur vereinzelt Bilder vorhanden und es werden keine Namen genannt aus Respekt vor der Privatsphäre eines jeden Piraten und Zauberers, einer jeden Hexe und Priesterin, die am Camp teilnahmen. Bilder sind zwar einfacher und oft treffender als Worte, doch an dieser Stelle reichen selbst diese bei weitem nicht aus, das Erlebte auch nur annähernd zu beschreiben.
(Anm. des Sammlers)
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Ansonsten passierte für mich wie gesagt nicht viel, ich musste mich irgendwann einmal übergeben oder erzwang es vielmehr. Ja, ich presste den alten Schrund schon beinahe nach oben, und dieses Mal war es tatsächlich ein Stück weit erleichternd.
Aber als sich mir auch nach der dritten Runde keine Gesichte mehr zeigten, fand ich mich zufrieden damit ab und fiel bald in einen tiefen Schlaf…
…bis ich mit einem Schreck und mitten in einem ohrschlackernden Prozess aus einem Traum hochfuhr, an den ich mich zwar nicht mehr erinnern konnte, der sich nun aber vor meinen wachen Augen abzuspielen schien!
Denn vor mir schwebte auf einmal eine ganz und gar seltsame und absonderliche Apparatur in der Luft, wie übergroße Wesen, die eine Art Gestell oder Sänfte trugen und gleichzeitig irgendwie mit ihr verwachsen zu sein schienen.
Im ersten Moment dachte ich: Wow. Aliens!
Aber dann, halb fühlte, halb sah ich, dass dieses komische Gebilde künstlich sein müsse wie aus beigem oder hellbraunen Plastik. Es bewegte sich auch in keiner Weise und ich fand es langsam langweilig, nur dass eine drückende und bleierne Schwere davon ausging, wie ein Gewicht, dass mich lähmte und nach und nach zu erdrücken schien.
Erst wollte ich nichts davon wissen, mich grade wieder umdrehen und weiter schlafen. – Mm, neinnein. Das ging natürlich nicht. Das Gewicht, das auf mir lastete, nahm immer mehr zu, bis es mich wirklich zu zerquetschen drohte.
Ich musste mich bewegen, wollte ausrasten!, diesen gefangenen Staudamm aus geballter Energie, der mit der Gravitationskraft einer ins All geschossenen Rakete an mir zerrte, fort schleudern und mich davon befreien, andernfalls sollte ich platzen!
Zuletzt richtete ich mich mit einer gewaltigen Willensanstrengung wieder auf, wuchtete mich nach oben und begann, mit meinen Armen in der Luft umeinander zu schnalzen, wilder und immer wilder. Wie Schlangen wanden sie sich und malten scheinbar konfuse und chaotische Muster in den Raum, schneller und immer schneller.
Doch hatte ich noch immer einige Kontrolle über mich selbst. Es war wie ein Spiel zwischen mir und dem, was da aus mir hervorbrach, bei dem ein immer neues Gleichgewicht entstand und wieder zerrann. Dann wurden meine Bewegungen wieder kleiner und langsamer, bis ich mich im Hocksitz schließlich weit nach vorne lehnte, bis fast auf den Boden in einer Art Gebetshaltung.
Jemand brüllte auf der gegenüberliegenden Seite unseres ungeheuerlichen und gespenstischen Tempels, ein tiefes Grollen scholl zu mir herüber.
Ich begrüßte es mit einem schelmischen Grinsen und fuhr spielerische Klauenhände aus, lud ihn ein und neckte ihn, wie eine Katze, die mit ihrer Beute spielt. Ich keckerte hinterlistig und erfreute mich an den puren, animalischen Geräuschen, die da aus seiner Kehle quollen.
Und schon war ich wieder oben, hoch droben, und lief heiß! Es war ein Fest des Rausches, eine Orgie der Lust, der prallen, unverdorbenen Lust am Leben.
In der ersten Nacht war ich Finsternis, jetzt… war ich Licht.
Feuer und Wasser wurden eins.
Als langsam der Tag um uns herum anbrach und die wunderschönen Gesänge nach und nach verebbten, legte ich mich beseelt und erleichtert nieder und sah und hörte nichts mehr.
Erst während der Heimfahrt vom Camp wurde mir schließlich klar, dass dieses dröge und erdrückende Gestell, das ich da in der Nacht vor mir gesehen und gespürt hatte, freilich ich selbst war. Beziehungsweise der fixe Rahmen, das strenge Korsett, die Fesseln, an die ich mich selbst, automatisch und Tag für Tag kette, ohne dass ich groß Notiz davon nehme.
Somit war es die Botschaft der Großmutter, dass nunmehr die Zeit gekommen war, diese abzuschütteln und mich endlich und endgültig davon zu befreien. Und dazu muss ich wild – und frei sein.
Tadaaaa…
Auch wenn mir diese fulminante Erkenntnis während des Camps noch nicht bewusst war, so hatte ich aber das Gefühl, dass es nach der Hybris der zweiten Zeremoniennacht immerhin ruhiger werden und die Dinge und Gemüter sich langsam abkühlen würden; wie ein heißer Reaktor, der nach einer schnaubenden Höchstleistung wieder herunter fährt.
Ich hatte ja keine Ahnung.
Denn das Gewaltigste, Heftigste, das Schwierigste und Allerschönste stand mir erst noch bevor.
Nach dem Frühstück kamen wir zu einer weiteren Sharing-Runde zusammen, wo wiederum ein jeder von seinen Erlebnissen während der vergangenen Stunden berichten sollte.
Ich dachte, dass sie vielleicht auch bei einigen anderen der Teilnehmer etwas leichter von statten gegangen sei als die erste.
Nicht die geringste Ahnung hatte ich.
Davor fuhr ich aber mit einem kleinen Grüppchen hinunter zum Fluss, um uns in seinem kühl plätschernden Bett zu wälzen und zu erfrischen. Allzu lange erfrischte ich mich allerdings nicht, denn das Wasser war in Wirklichkeit saukalt. Aber geil.
Was sich in der Folge dann in der Jurte abspielte, dafür gibt es beim Valentin keine Worte und spottet jeder Beschreibung.
Nur damit ihr einen Eindruck bekommt: anstelle der veranschlagten zwei bis drei Stunden mit einer UNGEFÄHREN und ich sage mal, selbst für mexikanische Verhältnisse sehr flexiblen und intuitiven Redezeitbeschränkung von eeeetwa fünf Minuten saßen wir:
DEN – GAN – ZEN – TAG dort und redeten und redeten, und hörten zu, und lachten und weinten – und staunten – und liebten.
Geschlagene acht Stunden muss es gedauert haben oder noch länger. Es war… ich habe so etwas noch nie in meinem Leben erlebt.
Ich dachte, ich weiß, was es heißt, Teil einer Gruppe zu sein, was Worte wie „Gemeinschaft“ oder „Kollektiv“ bedeuten. Ich hatte ja keine Ahnung.
Was sich dort in diesem tollkühnen, in diesem ganz und gar großartigen und famosen Kreis abspielte, brachte derlei Begrifflichkeiten auf eine radikal andere Ebene, von der ich bislang nicht einmal träumen konnte, da es mit Leichtigkeit auch die stärkste Vorstellungskraft zu sprengen vermochte.
Ein derartiges Ausmaß an Mitgefühl, an Mitleid und Anteilnahme hätte ich mir nie niemals ausmalen können. Während der regelrecht poetischen Klagegesänge mancher Teilnehmer schwammen Lichter und Schemen über mein Gesicht, während Wogen aus purer Energie durch meinen Körper brandeten.
Dabei war ich vollkommen nüchtern.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht