Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: …Ein Kachin-Märchen
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Etwas südwestlich von Mandalay gelegen, reiht sich Bagan ein in die drei großen Blütezeiten in der Zivilisationsgeschichte Myanmars. Blütezeit im Sinne von Expansion, Krieg, Unterdrückung und Massenhinrichtungen, wie schön.
Oh, es ist durchaus wahr, dass auch Kunst, Philosophie, Religion und Wissenschaft davon profitierten, was wiederum zu einem Gutteil verschleppten und drangsalierten Intellektuellen, hochrangigen Beamten und kreativen Köpfen zu verdanken war.
Blütezeit… ein recht zwiespältiger und beschönigender Begriff, will mir scheinen. Und glaubt ja nicht, dass unsere tollen Römer oder Griechen das groß anders gemacht hätten.
Wie in einem vorigen Eintrag bereits erwähnt, müssen mächtige und große Leute im Verlauf der Jahrhunderte viele Tempel und Schreine stiften, um ihr nächstes Leben nicht als Bettwanze in einer drittklassigen indischen Absteige fristen zu müssen.
Da es sich im Falle von Bagan nun mit seiner Hochphase im 10., 11. Jahrhundert um das erste jener großen burmesischen Königreiche inklusive religiösem Zentrum handelte, sammelten sich dort nach und nach, slooowly-slowly, die meisten Pagoden und Klöster an.
Sage und schreibe mehr als 3.000 von diesen Dingern gab es da vor noch gar nicht allzu langer Zeit, jedoch fielen zahlreiche Bauten jüngeren Kriegen und Erdbeben zum Opfer, so dass heute „nur“ noch an die 2.200 übrig sind, etwa die Hälfte davon in Form von kopierten Neubauten oder -stiftungen.
Dementsprechend gespannt saßen wir in unserem Minibus auf der Hinfahrt von Mandalay. Doch als wir den ersten Ort in der unmittelbaren Umgebung passierten und ich die funkelnden Reklameposter für Touristen und darunter die weniger funkelnden Einheimischen auf der Straße sah, erinnerte ich mich unwillkürlich an ein unliebsames Detail aus Bagans Vermarktungsgeschichte.
Denn die gesamte Bevölkerung des gleichnamigen Dorfs wurde 1990 von der Regierung zwangsumgesiedelt, damit diese ungestört Gästehäuser und Luxushotels am beliebten Ufer des Ayeyarwaddy bauen konnte.
Sehr charmant. Seitdem heißt jener Ort „Old Bagan“ und die neue Siedlung sinngemäß „New Bagan“.
Eine schwarze Wolke des schlechten Gewissens senkte sich auf mich herab: ich sollte nicht dort sein. Wenn ich den Anspruch habe, auch nur einigermaßen verantwortungsvoll und mit Rücksicht auf Menschlichkeit reisen zu wollen, sollte ich verdammt nochmal nicht dort sein.
Auch wenn ich natürlich nichts mehr daran ändern kann, trage ich etwa nicht meinen kleinen Teil dazu bei, dass der Staat sich in seiner damaligen Entscheidung berechtigt und bestätigt fühlen darf?
Auf der anderen Seite handelt es sich bei Bagan tatsächlich um einen einmalig faszinierenden Ort, den ich wohl in meinem Leben nie mehr zu sehen bekomme, und warum sollte ich dann nicht auch das Recht haben, ihn mir wenigstens kurz anzuschaun?
Schließlich muss ich mich ja nicht im plinksterilen Sheraton einmieten, sondern kann mein Geld anderweitig und gerecht verteilen. Trotzdem verschaffte es mir ein unangenehmes Gefühl, an einer derartigen Schweinerei Teil zu haben.
Man kann derartige Unterfangen auch anständiger und für die Bevölkerung erträglicher aufziehen, aber leider Gottes ist die unbändige Gier des Menschen in hohem Maße dazu fähig, einfach jedes Herz zu blenden und zu vergiften.
Mir ist wohl bewusst, dass das in der Vorstellung vieler als maßlos übertrieben erscheinen mag, aber mich zieht so was manchmal gehörig runter, und ich kann nichts dagegen tun.
Zum Teil mag es auch daran liegen, dass ich mich an arg touristischen Orten nun einmal unwohl fühle. Als befände ich mich nicht wirklich in dem Land, sondern in einer Art Quarantänestation des unterhaltenden Konsums.
Als wanderte ich wie Alice durch ein abscheulich schönes Wunderland, in dem nichts natürlich, sondern verzerrt und übertrieben erscheint.
Bitte verachtet mich jetzt nicht wegen meiner zeitweiligen Verachtung jener notgedrungen zwielichtigen, weil menschlichen Institution. Auch wenn ich mich ständig über den Tourismus lustig mache und mokiere, ist er selbstverständlich per se nichts Schlechtes, ganz im Gegenteil.
Aber muss der Mensch denn immer in seinem Streben nach mehr Überleben wie ein blinder Stier auf Koks, ohne nachzudenken oder zu reflektieren gegen die Mauer des Extremismus rennen?
…Natürlich muss er das, weil dieser Mistkerl Darwin die ganze Welt mit Evolution überzogen hat, aber das macht die Sache in meinen Augen nicht sympathischer, und wenn all das noch so eingängig und logisch erscheint.
Nein, es KOTZT mich an!
Echt jetzt.
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Bitte umblättern: Nicht schuldig!…
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht