Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Lost in Nullification…
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Am zweiten Tag, nachdem die Schwyz es in den Niederungen der Menschenanhäufungen nicht mehr ausgehalten und ihrem urtümlichen Instinkt folgend in die Berge verschwunden sind, sind Wei-Zhen und ich schon am frühen Nachmittag ins Hotel zurück und haben uns um die Heizung gewickelt.
Ja, sie hat Tehran auch ganz schön mitgenommen.
Scheiße, wir haben uns sogar das Abendessen auf’s Zimmer bringen lassen. So weit bin ich gesunken. Aber es war soooo gemütlich und kuschlig dort, in unserer feinifeinen Kokonhöhle.
Geholfen hat’s nix. Die ganzen restlichen Tage dort verbrachte ich taumelnd auf einer schwindelerregenden Gratwanderung zwischen Nahtod und spontanen gazellenhaften Energieausbrüchen.
Als sie dann auch die Fliege gemacht hat, bin ich in ein nettes Hostel um die Ecke gezogen und hab dort Alireza kennengelernt. Der Typ war echt ’ne Nummer.
Der kennt jeden und organisiert Dir alles, auch Sachen, die Du gar nicht willst. Du kannst Dich wehren, Du kannst Dich sträuben und zappeln, aber gegen seine geballte und entwaffnend fröhliche Geschäftstüchtigkeit kommst Du einfach nicht an: „Hallo! Wie geht es Dir, my friend!“
Er hat zwölf Jahre bei uns gelebt und spricht ein etwas angelantes Deutsch weißt Du, hatte ’ne Freundin in Polen, dann war er in Vancouver, Seattle, weißderGeier wo und ist irgendwann wieder zurück in die Heimat.
Er ist so jemand, der seine Nase und Finger überall drin hat. Wahrscheinlich liegen bei ihm daheim ganze Fotoalben voll mit Visitenkarten.
Da der Bahnhof gut 20 Kilometer außerhalb der Stadt liegt, ist er mal kurz zweimal dahingefahren, um ein Ticket für mich zu organisieren, hat mich sonstwie rumkutschiert und nebenher noch tausend andere Sachen gemacht. Eine Hand immer am Handy. Wenn er das verliert, stirbt er.
Gut, das hat er sich auch angemessen und fair entlohnen lassen, aber auch das war mir egal. Ich wollte einfach Zugfahren.
Und das ist in diesem Land leichter gesagt als getan, denn Züge fahren unregelmäßig, man muss Tickets großzügig vorbuchen oder hoffen, dass jemand storniert. Und zusammen mit den Taxi-Kosten mehrmals hin und zurück, bis man endlich eins ergattert hat, macht das schnell keinen Sinn mehr.
So habe ich ihn denn gewähren lassen. Ich konnte in Ruhe ruhen, und er hatte auch was davon.
Eines Abends hat er mich ins Hotel seines Sandkastenfreundes (…ne?) geschleift, wo es eine kulturelle Veranstaltung mit historischen Gesängen gab, wie er sich ausdrückte. Nun, das meiste davon waren schlonzige Pop-Litaneien à la Udo Jürgens, er sei selig, aber zwischendurch traten ein paar richtig starke Combos auf.
Melancholisch-romantische Melodeien wechselten sich ab mit stampfenden, treibend rasenden Rhythmen, garniert mit messerscharfen Solos der einzelnen Instrumente, unter anderem eine interessante Flöte, die ich Laie jetzt mal als komisch zweistimmig bezeichne, Handtrommeln mit so Rasseln dran und diese coole hippe Drum, die jetzt alle haben, wo man draufsitzt und deren Namen ich immer vergess’. Da zucken die Beinchen ungeduldig. Voll geil.
Lustigerweise sind die Locals vor allem bei den Schnulzen abgegangen, naja.
Das Süßeste waren am Ende zwei kleine Zwillinge, die eine herzzerreißend getragene Weise ins Mikrofon hauchten.
Das war Ali aus der Flasche. In Deutschland hat er für die Caritas ausgediente Weihnachtsbäume eingesammelt, hier hat er -selbstverständlich- Kontakte bis hinein zur Botschaft und dolmetscht dort auch ab und zu.
Wenn er nicht grade Touristen jongliert.
Hab ich auch irgendwas gemacht? Na LOGO! Ich mag müde sein und rumheulen, aber ich bin noch lange nicht am Boden der Tatsachen! Dschazääm.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht