Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Schwitzen Gute Geister…
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Doch zu jenem Zeitpunkt ahnte ich noch nichts von den eklatanten Ausmaßen unseres gemeinsamen Dinners an Heilig Abend. Denn ganz flüchtig und fließend verlängerte ich meinen Aufenthalt bis auf nach Weihnachten, weil, porque no?
Die Tage bis zu jenem prächtigen und denkwürdigen Gelage verliefen recht unspektakulär mit weiteren Kaffeeaufgüssen und dem einen oder anderen verwegenen Marktbesuch.
Die Stimmung wandelte sich, eine große Abreisewelle ergriff das La Isla und erschütterte es wie ein unterschwelliges Erdbeben, es kam zu kuriosen Umarmungen und emotionalen Ausschreitungen, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegen die Genfer Konvention verstoßen.
Aber andererseits, wer oder was auf der Welt tut das nicht?
Um Haaresbreite entging ich dem schaurigen Absturm, klammerte mich wie ein verzweifelter Matrose im Donnern eines Mahlstroms an einige tibetische Gebetsflaggen, die dem Gezeitenwechsel stoisch trotzten.
Für ein oder zwei Tage war das Hostel fast leer, es war wie ein tiefes Luftholen vor dem Sprung. Nachdem jedoch Sev und David aus Palenque zurückkehrten, bildete sich zusammen mit Devika und den Kanadiern um uns langsam ein neues Grüppchen mit einem neuen Rhythmus, einer neuen Melodie.
Die Vorbereitungen für Heilig Abend begannen. Jede anwesende Nation war angewiesen, ein mehr oder typisches Gericht zu basteln, welches dann zusammen mit allen anderen vom gesamten Hostel inklusive Staff verzehrt werden sollte.
Uns war natürlich klar, was das für uns bedeutete:
Kässpatzen, und zwar viel und geschabt.
Also erwarben wir zwei Kilo Mehl, zwanzig Eier und in Ermangelung eines würzigen Bergkäses eine verwegene Mischung aus Manchego, Cheddar sowie einem Hauch Blauschimmelkäse. Sodann schabten wir andächtige zwei bis drei Stunden, bis wir einen Riesenpott voll Spätzle hatten.
Ich denke, nur mein lieber Tom Biber kann letzten Endes nachempfinden, welch heroisch aufopfernde Anstrengungen unweigerlich hiermit verknüpft sind.
In weiser Voraussicht fertigten wir unsere „Pasta artesanal“ bereits zwei Tage im Voraus an, denn bei etwa zehn unterschiedlichen Gerichten und nur einer Küche mit vier Herdplatten will ein derartiges kulinarisches Unterfangen gut koordiniert sein.
Nach getaner Tagesmüh’ lehnten wir uns entspannt zurück und spielten Karten.
…Ja, ich habe Karten gespielt. Fragt mich nicht, wie es dazu kam und erzählt es nicht weiter. Wir lassen das einfach stehen als eine befremdliche Eigenheit menschlicher Existenz.
Der Abend an jenem arbeitsamen Tag war sehr schön. Oder war es der Tags drauf? Da war nämlich noch ein ganz exquisites Grill-Abenteuer mit jeweils 450 Gramm zartestes und tiefrosanes Rindfleisch (drei Euro) vom Markt für David und mich, das in unseren Mündern zerlief wie ein Vanilleeis im Sonnenschein und das ich fast unter den Tisch fallen ließ. …Ich meine nicht das Fleisch, sondern dessen Erwähnung im Blog.
Ich weiß es nicht mehr, jedenfalls, auf Devika’s Initiative hin gingen wir an einem jener behaglichen Abende zu zehnt ins Kino und schauten uns den neuesten „Star Wars“ an. Das war in einem riesigen Einkaufszentrum, und ich hatte etwas Panik, aber hey, der war richtig gut! Und dieses Mal bin ich mir wirklich sicher, weil er lief auf Englisch mit spanischen Untertiteln.
Wir bekamen sogar Gelegenheit, die unverfrorenerweise jungfräulichen Kanadier Kevin und Ally in die illustre und unendliche und vor langer, langer Zeit gewesene Galaxis von „Krieg der Sterne“ einzuführen.
Aaah, welch süße und fruchtbare Stunden angefüllt mit tiefgreifenden und bemessen sinnfreien philosophischen Diskursen über die Tatsache, dass im Gegensatz zu allen anderen Protagonisten der alten Garde Chewbacca noch immer keine grauen Haare hat.
Ich weiß nicht, wie es passiert ist, aber am Ende saßen und lagen wir kugelnd und kichernd auf der Terrasse im Lsla Ia, und die Welt war gut.
Könnt Ihr Euch das vorstellen, eine indische Intellektuelle, die vermutlich mehr über Star Wars weiß als George Lucas selbst? – Ich würde sie eigentlich gern heiraten.
Unheimliche Parallelen zu Campeche… Lassen wir diese Kindereien.
Das klingt jetzt nicht sonderlich außergewöhnlich, und doch war es ein besonderer Abend. Harmonie und Einklang lagen in der Luft, und die Sterne schienen etwas heller als sonst zu sein. Es ist in etwa so, wie wenn man sich auf dem Surfbrett aufrichtet und merkt, dass man die Welle zum perfekten Zeitpunkt erwischt hat und ab jetzt alles wie von alleine abläuft.
An so einem Abend neigen sich Bäume aus liebevoller Neugier zu einem herab, Grillen zirpen im kosmischen Takt mit dem anmutigen Gezwitscher der Vögel, in der Luft schwebt ein angenehmer und fast zärtlicher Duft nach Freiheit und beschwingter Leichtigkeit; und sämtlichen Passanten steht ein frohes Grinsen ins Gesicht geschrieben. – Was vielleicht auch an den Teilnehmern des festlichen Autocorsos gelegen haben mag, die nach allen Seiten hin unschuldige Fußgänger mit Süßigkeiten bewarfen.
Schließlich erwachten wir an einem scheuen Sonntag zu Heilig Abend, vorfreudige Erwartung stand allen Anwesenden ins Gesicht geschrieben.
Habt Ihr gewusst, dass es in Esslingen (und mittlerweile wohl auch in Nürtingen, wie ich vernommen habe) die Tradition gibt, dass sich quasi die ganze Stadt, Alt und Jung, links und rechts, schon am Morgen in den Bars und Kneipen trifft, um sich haltlos zu betrinken?
Das stimmt wirklich. Die müssen extra Personal deswegen einstellen.
Aus diesem Grunde blieb uns freilich nichts anderes übrig, als uns direkt nach dem Frühstück mit Bier, Weißwein und Cuba Libre-Zutaten zu versorgen, um uns die Zeit der krönenden Vollendungszeremonie unseres Kässpatzen-Massivs zu versüßen.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht