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Verkehr

Bienvenido! In der Küche herrschte reges Treiben, nach abermals getaner Arbeit zogen wir uns wohlweislich in die Sitzecke zurück und tranken und spielten Karten.
Kurz vor acht Uhr abends änderten sich dann Puls und Blutdruck unseres flirrenden Schwarmbewusstseins: Tische wurden gerückt, Stühle herbei geschafft, Tischdecken geworfen, Besteck klapperte ungeduldig in zitternden Händen, bis am Ende eine eindrucksvolle Tafel entstand, die von hier bis nach Nicaragua zu reichen schien.

Tischlein

Doch noch eindrucksvoller war der Gabentisch mit all den Köstlichkeiten aus aller Herren Länder: da gab es grüne Salate mit gerösteten Sonnenblumenkernen, Kartoffelsalat, Fisch in Sahnesauce (Argentinien, sehr typisch), belegte Baguettes (Staaten, weniger typisch), eine Süßkartoffel-Kasserolle (Indien, what the fuck?) und groß und mächtig darüber thronend unsere schwäbische Bergpredigt.

Ich darf wohl und stolz behaupten, dass unser bescheidener Beitrag einen im kalorischen Wortsinn gewichtigen Fokuspunkt dieses dampfenden und duftenden Schlaraffenlandes darstellte. Doch das war noch längst nicht alles, denn wir sind ja erst bei den Hauptgängen.

Gravitätisch

Als Nachtisch lockten Bratäpfel mit Vanilleeis, Crèpes, Limonen- und ein Kokosnusskuchen, der mir die Geschmacksnerven von meiner Zunge lutschte und sie über die sieben Himmel hinaus in ewig strahlende Glückseligkeit katapultierte.
Ich könnte nicht sagen, welches dieser Kunstwerke mir am besten schmeckte (eh die Spätzle), es war ein jedes für sich und alles zusammen eine Symphonie, wie sie nur die Götter erfinden können.

Das große Fressen begann. Bis auf das unvermeidliche Geklapper von Metall auf Porzellan (oder Plastik) sowie die in regelmäßigen Abständen aus den geheimsten Winkeln der Seele hervorgestoßenen Seufzer der Verzückung herrschte atemlose und beinah religiöse Stille am Tisch. Augen drehten sich in Positionen, die in jeder anderen Situation Besorgnis erregend gewirkt hätten; dreißig Mäuler mahlten emsig im Takt von Walzer tanzenden Kiefergelenken.

Ein Pfefferminz, jemand?

Es war eine Orgie, wie sie kein Schriftsteller festzuhalten wagt. Danach fühlte ich mich wie eine Anaconda, die eine Giraffe verschlungen hat. Mit einem Baggersee Schlagsahne.
Mich zu bewegen hätte bedeutet, die Integrität der Molekularstruktur meiner Zellen auf’s Spiel zu setzen und zu einem zähen Brei aus reiner Behaglichkeit, gepaart mit einer Messerspitze Entsetzen, zu zerfließen. – Ähnlich wie der T1000, nur anders herum.

Danach wurde getanzt, gelacht und gefeiert, wir gingen mit Himmelslichtern und paläologisch riesenhaften Wunderkerzen auf die Straße, aber all das bekam ich nur am Rande meines aufstoßenden und revoltierenden Bewusstseins mit. Selbst zeitlich abgestimmte Klogänge, Zigaretten-Pranayama und Mezcal-Infusionen halfen da nicht mehr viel, ich war zugrunde gerichtet von meiner eigenen Unbändigkeit.

Freie Gedanken!

Aber zeig’ mir einen, dem es nicht so erging. Zeig’ mir einen, der sich angesichts dieser Herrlichkeit nicht in Versuchung führen lässt, und ich werde ihm mein Leben lang folgen. – Oder ihn als Ketzer verbrennen, das kommt ganz darauf an.
À propos unsinnige Verfahrensweisen; ich weiß jetzt endlich, was es mit dieser komischen „Pinyata“ auf sich hat.

Ein ganz barbarischer Brauch!

Der arme Schneemann aus Pappe, zuvor liebevoll verziert und gefüllt mit Süßigkeiten, Duschgel und Taschentüchern, wird solange mit einem Hammer drangsaliert, geschlagen und durchbohrt, bis er endlich seinen begehrten Inhalt preisgibt.

Sinn

Mit Schrecken beobachtete ich das grausige Treiben, ich konnte die tödliche Genugtuung und das animalische Blitzen in den Augen dieser Inquisitoren der Genussmittelindustrie sehen. Von hier ist es kein großer Schritt mehr zu Menschenopfern auf Stufenpyramiden. Oh Menschheit, wohin führt Dich Dein verteufelter Weg? Anima quo vadis?

Ja, ich wurde nachdenklich am Ende dieser voluminös verzauberten Veranstaltung, vermutlich induziert durch einen akuten Sauerstoffmangel im Gehirn. Ich setzte mich ruhig auf einen Stuhl, während um mich ein immer unverständlicheres Treiben tobte, Musik plärrte, mit der ich nichts anzufangen wusste.

Melancholie

Es gab dafür keinen anderen ersichtlichen Grund, diese absurd autonome Melancholie ergriff mich mit flauschig kalten Händen wie aus dem Nichts, als ob einer einen Schalter umlegt, der nicht von dieser Welt ist.
Ich fühlte mich schlicht und ergreifend abgetrennt, isoliert, allein in der feixenden Menge. Mein inneres Erleben vollführte einen Ausfallschritt in ein anderes Universum.

Ein ganz erstaunliches und befremdliches Ende nach einem Tag so angefüllt mit Sinnesfreuden. Aber wer weiß, vielleicht ist das Fass am Ende doch übergeschwappt.

Buße

Der erste Weihnachtsfeiertag stand folglich im Zeichen der Rekonvaleszenz, der Bußfertigkeit und der Entgiftung. …Ich verzehrte nur ein kleines Stück Rübli-Kuchen zum Rest der Käßspatzen, weiteren Baguettes und dem Sahnegeschnetzelten am Abend.

Doch auch dieses Kapitel fand eines schönen Tages sein bittersüßes Ende. Wenn man sich irgendwann dabei ertappt, dass man seinen Schlüssel aus der Hosentasche kramt, versonnen in den Aufenthaltsraum schlurft und die Anwesenden grüßt, als ob es vielmehr Mitbewohner statt Hostelgäste wären, dann tut man besser daran, schleunigst das Weite zu suchen, wenn man nicht für immer mit den Wänden dieses so trügerisch trauten Heimes verwachsen will: „Part of the crew, part of the ship…“

Adieu

Aus diesem Grunde packten David und ich flink unsere Sachen und folgten Severin wie vor ihm Pipa über die mexikanische Staatsgrenze hinweg in das verheißungsvolle Guatemala mit all seinen Schätzen und Wundern.
Doch von diesen Dingen wird an einer anderen Stelle, zu einer anderen Zeit berichtet werden. Und es wird die Richtige sein.

Längere Schatten

Zu spät

Memory

 

 

 

 

 

 

Endlos

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