Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Public Holiday…
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Doch handelte es sich hierbei nicht um die einzigen Gefahren dieser entzündeten Backpacker-Blase. Die schwerwiegendste Bedrohung bestand im Wortsinn in seiner unwiderstehlichen Gravitation, welche der eines galaktischen Zentrums gleichkam. So sehr man auch wünschte, das Land in seiner ganzen Fülle und Tragweite zu erkunden, blieb man hier leichter stecken als in einer der atomar versüßten indischen Leckerlis. Selbst so wuselige Persönlichkeiten wie David Livingstone oder unser alter von Humboldt hätten die größten Schwierigkeiten gehabt, sich von ihrem Gin Tonic zu erheben, um auf‘s Klo zu gehen.
Wäre da nicht die Freiwilligenarbeit gewesen, ich wäre wahrscheinlich sukzessive ausgewandert, ohne es zu merken. So aber musste ich rucksackschweren Herzens nach zwölf Tagen meinen Hut nehmen und Adieu sagen.
Und darauf war ich nicht im mindesten vorbereitet, denn wie bereits angedeutet war mir beileibe nicht klar, wie sehr mir die Crew des Om Shanti ans Herz gewachsen waren.
Mir schwante schon nichts Gutes, als tags zuvor Kerrie und Lewis ihre Sachen packten und sich unter vielzähligen und sekundenklebrigen Umarmungen von uns verabschiedeten. Wie ein Spalier standen wir anderen da, um sie mit all unserer Liebe überhäuft auf die Reise zu schicken, und konnten nicht wirklich glauben, was da gerade passierte.
Danach mussten Brian, Jim und ich uns erstmal schwer in unsere Plastikstühle fallen lassen und ein ordentlich kaltes Kingfisher Strong bestellen. Das war so ein Moment, wo man meint, die Welt würde sich schon ändern, wenn man nur fest genug in die Flasche starrt. Ähnlich wie im Office.
Wir waren geschockt, einigermaßen fassungslos und bekamen eine kleine Vorahnung davon, was uns noch bevor stand.
Ich denke, ich brauche kaum erwähnen, dass aus dem einen Bier auf unerklärliche Weise schnell mehrere wurden und der Tag schluckweise in eine verklärte und verzauberte Nacht mündete, wo wir uns schließlich bei Kerzenschein in Freya‘s Hütte im Kreis sitzend wiederfanden.
Doch darüber werde ich schweigen.
Als für mich schlussendlich die Zeit anbrach, wurde aus dem undeutlich mulmigen Gefühl eine Flutwelle aus widerstreitenden Gefühlen. Verwirrt saß ich da, wusste nichts mit mir anzufangen und war wie gelähmt. Die übrig gebliebenen Mohikaner umschwärmten mich wie drei verlorene Schutzengel, die sich durch das Herannahen des Tuk-Tuk ihres Seinsgrundes beraubt sahen, das sich anhörte wie der Trompetensalut der Apokalypse…
…
„Torrsten, drriver is herre!“
Mein Herz tat einen entsetzten Sprung und wollte sich wie ein weinerliches Kind an den Rocksaum von Mama‘s Sari klammern, doch meine Beine setzten sich wie zwei schamlose Verräter langsam, doch unaufhaltsam in Bewegung.
Ich umarmte Freya so heftig, dass ich Angst hatte, sie würde unter meinem Griff zerbrechen wie das Porzellanmädchen von Oz.
Ich verabschiedete mich von Sekra, dem bescheidenen und sympathischen Besitzer des Om Shanti, und dem zeitlos grinsenden Koch Balram, der uns die ganze Zeit über unsere Seelen erleichterte, wann immer uns die Melancholie der Suchenden erfasste.
In Gedanken verabschiedete ich mich von Mama, die, wenn sie nicht gerade mit einer riesenhaften Schüssel auf dem Kopf am Strand Früchte verkaufte, keckernd auf den Stufen im hinteren Bereich des Restaurants saß und sich über die Schöpfung im allgemeinen zu amüsieren schien.
Obwohl Baba zu bestimmten Zeiten, die nur ihm allein zugänglich waren, aus seinem Kerker ausbrach, im Gefolge eines orkanartigen Saugstroms in das daraus resultierende Alkoholvakuum, und lauthals über vergangene Unsäglichkeiten deklamierte, hatte sie ohne Zweifel unter ihrem schlichten, aber geschmackvollen Sari die Hosen an.
Armer Kerl, hoffnungslos der Flasche verfallen, und man wusste nie, ob er jetzt gerade wutentbrannt den kompletten Strand in Flammen stecken oder mit einem Blinde Kuh spielen wollte. Auch sie prägten meinen Aufenthalt ganz entschieden.
Brian und Jim begleiteten mich zur Auto-Rikscha, wo ich beiden so sehr um den Hals fiel, als hinge die Erlösung all meiner Sünden davon ab.
Erst als sie winkend aus meinem Blickfeld verschwanden und ich meinen Blick widerstrebend nach vorne richtete, brachen in mir alle Dämme, und Tränen der Freude und der Trauer rannen über mein in Flammen stehendes Gesicht, deren Salz sich mit dem des Meeres auf meinen verkrusteten Wangen vermengte.
Ich weinte seit Jahren zum ersten Mal hemmungslos, während der Fahrer sein spotzendes Gefährt wild gestikulierend über den Schluckauf kurierenden Steilpfad in Richtung Gokarna und mich in ein anderes Leben ritt.
Ich weinte so sehr, dass er sogar trotz all dem Lärm und Geruckel davon Notiz nahm: „Everrything ok?“
Eine so einfache Frage – doch bis heute weiß ich keine Antwort darauf.
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Bitte umblättern: Verdurstetes Karma…
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht