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Verwandte Seelen

Aber zurück zu Youssef. Ein sehr angenehmer und ruhiger Zeitgenosse, tief religiös, und bitte. Ich meine damit nicht, das er beim Ruf des Muezzins alles stehen und liegen lässt, um roboterhaft in die Moschee zu rennen und dann hirnlos und gedankenverloren seine Gebete abzubeugen.

Er befasst sich wirklich und ernsthaft mit diesen Themen, insbesondere was der Qur’an in Bezug auf das alltägliche Leben aussagt und was das wiederum für ihn bedeutet. Und wann immer er Zeit hat, meditiert er, wie heißt es so schön: tiefgründig darüber. Statt dem Rosenkranz heißt es bei ihm: Ya nur („Mein Licht“).

Heiliger Ort

Für mich hatte dieser Ausdruck ja immer einen recht anstrengenden Aspekt, so als ob man mit aller Macht und Gewalt versucht, sich einen bodenlosen Stollen von seinem Gehirn in den geheimsten Winkel der eigenen Seele zu wühlen. Man sagt ja auch „tiefschürfend“.

Die deutsche Sprache mag in der Lage sein, Sachverhalte überaus exakt und treffend zu beschreiben, doch scheint sie hier nicht nur am Ziel vorbeigeschossen, sondern sich davor um 180° gedreht zu haben.

Grabespforte

Denn je mehr ich mich in meinem Leben mit solchen Themen befasse, desto mehr gewinne ich den Eindruck, dass damit genau das Gegenteil gemeint ist und das eben Beschriebene eher einer Vergewaltigung gleichkommt.

Jedenfalls hatten wir eine erquickende Unterhaltung im Bus. Wobei ich mehr zuhörte einfach aufgrund der Tatsache, dass er sich zwar große Mühe gab, aber sein Englisch trotz aller Konzentration eher schleppend seine sanft vibrierenden Stimmritzen passierte.

Gunslinger

Jene Sprechpausen nutzte ich dezent, um nach einem kurzen Seitenblick einen gekonnten Schnappschuss aus dem Handgelenk von der umliegenden Landschaft zu machen.

Kennt Ihr die Szene aus „Das fünfte Element“, wo Bruce Willis für einen Sekundenbruchteil hinter seiner Deckung auftaucht, um die Lage einzuschätzen und im nächsten Augenblick die so erspähten sieben oder acht Gegner mit gezielten Schüssen niederzustrecken?
So in etwa. Ich denke, ich sollte bald in der Lage sein, blind zu fotografieren.

Innenhof

Dieser schöne Mensch (Youssef, nicht Bruce) hat mich auch zum Schrein von Shah Cheragh begleitet, dem Heiligengrab des Bruders vom achten Imam im 9. Jahrhundert. Irgendwie klingt dieser Name jedoch verstörend nach einem französischen Präsidenten.

Aber darum geht’s nicht. Hübsch gelegen in einem großzügigen Innenhof, in der Mitte ein Wasserbecken, hohe Bäume, vor allem nachts traumhaft beleuchtet in einem warmen Gelb und unter den umlaufenden Arkaden das Grün des Islam, funkelt die zieselierte Birnenkuppel anheimelnd im makellosen Nachmittagslicht.

Kunst

Schön. Aber das war nicht mal ein sachtes Lüftchen gegenüber dem sensorischen Wirbelsturm, der mich da drinnen erwartete.

Der Reihe nach. Ich spaziere versonnen über das Areal, um mich herum andere Touristen und Wallfahrer, als ein Guide ganz nonchalant auf mich zu trippelt. Einem direkt verschalteten Reflex folgend nehme ich eine entspannte Verteidigungsposition ein.

Er jedoch biete mir seine Dienste umsonst an, denn er sei ein leidenschaftlicher Volontär. Äh? Hehe, Trottel. Nein, natürlich nicht, aber in dem Fall habe ich doch etwas enttäuscht seine Dienste angenommen.

Bezaubernd

Das war eine gute Entscheidung, denn anders wäre ich gar nicht reingekommen. Ich hätte auf dem ganzen Areal auch gar keine Bilder ohne ihn machen dürfen haha. Gut, dass er mich die Viertelstunde davor nicht gesehen hat. Jene verbotenen Prachtstücke bekommen ihren eigenen geschmückten Schrein auf meiner Festplatte.

Ich frage wieso. Mei, das sei halt die Regel. Versteht Ihr jetzt, was ich vorhin mit hirnlos gemeint hab?

What the…?!

Jedenfalls betrete ich völlig unverboten an der Hand meiner ganz privaten Ein-Mann-NGO das gesalbte Innere des Mausoleums – und bleibe luftanhaltend wie vom Donner gerührt stehen. Oder besser wie vom Blitz getroffen, denn vor mir entfaltet sich ein tausendfältiges Gewitter aus silbern und golden glitzernden Universen, die bei jeder noch so subatomar feinen Drehung meines Kopfes funkeln und strahlen wie ein Dickicht aus Sternen, gleich einem wimmelnden Ameisenhaufen aus Glühwürmchen.

Glitzerpilger

Ein undurchdringlicher Wald aus kondensiertem und zersplitterten Licht bringt meine Augen zum Sieden, und sie stehlen sich vor Ehrfurcht weinend aus meinen ausgerenkten Mundwinkeln. Eine sphärische Grotte öffnet sich vor mir wie eine in allen Farben des Regenbogens schillernde Knospe im gebrochenen Glanz eines Tautropfens und explodiert in meinem Kopf zu einer neuen strahlenden Existenz.

Versailles? BbffhHAH! Was will ich mit einem billigen Tie Fighter, wenn ich einen verdammten STERNzerstörer haben kann! Außerdem konnte ich Franzosen noch nie leiden. – Das stimmt nicht, fügt sich aber gut ein.

Naja, ganz so überwältigend war’s denn auch nicht, ich wollt nur mal meine poetischen Grenzen auspegeln. Aber schon fett.
Das Grab selbst völlig vergessen floss ich wabbelnd durch die säulengetragenen und mit klimpernden Kronleuchtern behangenen Räume, bedeckt aus Zillionen kleiner und feinster Spiegelstückchen.

Die Erklärungen meines Guides sickerten wie ein zu einem Flüstern gedämpftes Nebelhorn in mein sich konvulsivisch aufbäumendes Unterbewusstsein; in regelmäßigen Abständen nickte ich abwesend, obwohl mir der Sinn seiner scheinbar zusammenhanglosen Worte so verborgen blieb wie einem Tiefseefisch das Bergsteigen.

 

Religion

Metaphysik

Visueller Infarkt

Urknall

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