Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Ans Kreuz genagelt…
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Also, wollen wir mal die Kirche im Dorf und so manche Verschrobenheit vergeben sein lassen. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass es zwei ganz wunderbare Zuckerl für uns Neulinge gab, nachdem die resultierende Gruppenenergie getreu der Maya-Tradition neu berechnet wurde.
Denn Mark, den ich eingangs etwas flapsig als „Guru“ bezeichnet hatte, entpuppte sich als waschechter Schamane, der sich seit etwa 20 Jahren intensiv mit dem Maya-Kalender beschäftigt und sinngemäß seiner alten britischen Heimat vor 8 Jahren endgültig den Rücken gekehrt hat.
Seine Freundin Tamila gab uns am Abend des vorletzten Tages eine beruhigende Entspannungsmeditation, während er selbst, wiederum am Abend zuvor, ein Maya-Ritual durchführte, zu dem alle Anwesenden eingeladen waren; und zwar just auf dem Gelände ihrer alten Siedlung Nakbe! Ziemlich fett.
Auch wenn wir den – gähn, dritten – Sunset auf einer romantisch überwucherten Pyramide dafür opfern mussten, aber immerhin war das ein einzigartiges und ganz vorzügliches Ereignis.
Wie majestätisch, wie erhaben, voll und tönend seine Muschel klang, als er den Willkommensgruß in die Welt blies und mit Macht das allgegenwärtige Zirpen und Zwitschern des abendlichen Urwaldes zerschnitt! Welch großartiger und Mut zusprechender Laut.
Ein symbolisches Kreuz in einem Kreis aus, ich glaube Salz und/oder so, Kerzen und andere Opfergaben sorgten für ein ausdauerndes Feuer, obwohl wir am Ende auf Alan’s Initiative hin mit wenig zeremoniell anmutendem Feuerholz nachhelfen mussten, da das Ritual doch ziemlich lange dauerte.
Kurz verspürte ich ein peinlich berührtes und indigniertes „Peng“ in der Brust: „Hee, ich bin doch der Feuermeister!“ -Unterlippe nach vorn, Arme vor der Brust verschränken-
Wohlan, wenigstens zögerte ich aus einem vermeintlich noblen Grund, da ich die naive Sorge trug, mit so einer Aktion das ganze altehrwürdige Brimborium zu entweihen. Ehrfürchtige Unsicherheit hinderte mein Handeln, ich schwöre.
Nacheinander rief Mark die Ahnengeister aller vier Himmelsrichtungen an und lud sie ein, uns zu beehren, während er in der Folge sämtliche Aspekte oder Qualitäten des Maya-Kalenders beschwor, uns zu führen und zu unterstützen in unserem ach so komplizierten und undurchsichtigen Leben.
Denn jenes raffinierte und verzwackte Orientierungssystem teilt nicht nur Zeit und Raum in mundgerechte Happen ein, sondern weist jedem Tag auch eine spirituelle, oder weltlicher formuliert eine Charaktereigenschaft zu. Das soll die Menschen ankern und ihnen helfen, ihre Aufgabe, ihren Platz und damit einen Sinn in diesem verschrobenen Leben zu finden.
Ein kleines Stück Sicherheit im wirbelnden Abgrund des Chaos.
Klingt irgendwie vernünftig und scheint eben genau das zu sein, was uns im Westen so selbstverständlich abhanden gekommen ist.
Ein Beispiel: Durch mein Geburtsdatum ist mir der „Nawal“ (Aspekt, Eigenschaft) „T’zi“ gegeben, der Hund, im Positiven ein loyaler Freund, dem das Gesetz und einmal aufgestellte Regeln wichtig sind. Gut, man mag streiten, ob es sich bei letzteren um erstrebenswerte Eigenschaften handelt – je nach Art und Beschaffenheit der jeweiligen Richtlinien, meine ich.
Er kann der Ratgeber sein mit einem offenen Ohr für seinen Nächsten, doch läuft er kehrseitig auch gerne Gefahr, seine Treue zu brechen – in jeglicher Hinsicht.
Ähnlich wie bei der Astrologie kann man daran glauben oder nicht, aber ich meine, das von irgendwo her zu kennen, im Guten wie im Schlechten. Und tatsächlich klingt es auch so, als könnte jeder sich in solcherart allgemein gehaltenen Formulierungen wiederfinden.
Doch tief in mir spürte ich, dass es sich hierbei nicht nur halbwegs clevere Horoskop-Gaukelei handelte. Denn vor allem als Mark im Verlauf seiner Erläuterungen das Wort „counsellor“ ausspricht, gingen in mir auf einmal alle Lichter an, und Glocken läuteten hell und klar: Ja natürlich! Kamen denn nicht schon immer meine Freunde zu mir, wie unbewusst von einem Magneten angezogen, um ihr schweres Herz auszuschütten, um sich mir anzuvertrauen?
Zugegeben, das war oft zu vorgerückter Stunde und aufgrund von leidenschaftlichem Alkoholkonsum stetig gesunkener Hemmschwelle, aber immerhin.
Zugegeben, es war mehr und mehr entnervend, auf meinem Stammplatz (eine Kühltruhe, von dort hatte man den besten Überblick) in der Hostelbar des wombat’s zu sitzen und mir Klagen und Sorgen unerfahrenerer – und damit moralisch untergebener – Arbeitskollegen anzuhören, wo ich doch selber kaum mehr geradeaus sehen, geschweige denn denken konnte. Aber immerhin.
Denn früh bereits hatte ich gelernt, dass es im Grunde weniger auf den gut(gemeint)en Rat ankommt, sondern vielmehr auf das berühmte offene Ohr. Und meines scheint dahingehend so sehr ausgeprägt, dass da nicht einmal mehr Bergarbeiter-Ohropax helfen.
Fürwahr, wollte ich denn nicht schon immer der Barkeeper in den Filmen sein, der ergeben und mit einem hauchdünnen, mitfühlend ironischen Lächeln auf den Lippen seine Gläser poliert und dem armen Schwein auf dem letzten besetzten Hocker noch einen Schnaps eingießt, weil Worte einfach Säue vor die Perle sind.
Und noch einen, wie der untröstliche Tropf da so vor ihm sitzt, und noch einen, wie er da so seine Seele zunehmend entleert, kurz bevor er dies in symbolisch materieller Form und in etwas intimerer Atmosphäre fortsetzt, während er mit religiöser Verzweiflung die Kloschüssel umarmt?
Ja voll! Jetzt weiß ich auch, warum der Beruf des „Confessors“ (so eine Art magischer Beichtvater in der, ähnlich wie Xena oder Herkules, etwas peinlich auf Hochglanz polierten, aber unterhaltsamen Fantasy-Serie „Legend Of The Seeker“) derart in mir leuchtete und mich bewegte. Instinktiv liebte ich ihn.
Wow. So sieht die Chose also aus. Das hätte mir auch gleich jemand sagen können.
Und warum nicht? Könnte schlimmer sein.
Als am Ende wieder die kraftvolle Muschel ertönt, fühle ich mich erhöht, beflügelt, und angefüllt mit Emotionen, mit Kraft und Leben. Obelix, watch out!
Die geführte Meditation erschien dagegen etwas weniger eindrucksvoll, jedoch blieb mir auch da etwas Wichtiges und Zentrales in meinem spröden Gedächtnis haften; wahrscheinlich weil es bloß zwei Worte waren, die unabhängig und frei wie Blubberblasen aus meinem Unterbewusstsein aufgestiegen waren: „Just be.“
Sei einfach.
Einfach gesagt. Doch lange ich saß noch dort und blickte versunken und traumverloren ins Sternenmeer über mir. Die anderen waren schon zu Bett gegangen.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht