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Andacht

Ein letztes Abendessen auf den Polstern im bunt beleuchteten Garten des „Los Amigos“, in religiös andächtiger Erwartung unserer vegetarischen Burger mit rotgolden knuspernden Pommes.
Ganz ehrlich, man kann über das Hostel sagen, was man will, aber das Essen, das sich hier stolz und dampfend auf den Tellern präsentiert, die unter der Last zu stöhnen scheinen, ist über jeden Budgetbruch erhaben.

Die Atmosphäre dort kühlte jedoch immer mehr ab, auch Volker und Grace spürten das immer deutlicher. Zwar klingt es romantisch, auf einer kleinen Halbinsel die Zeit durch die verräterisch unebenen Kopfsteine rinnen zu lassen. Schon sind sie umzingelt vom unerbittlichen Herannahen des Hochwassers, das die Uferpromenade ein spiegelndes Reich aus noch kleineren Inseln und bepflanzten Dammwegen verwandelte. Darüber wachten elegant geschwungene Laternen, die wie eine Phalanx aus scharfsichtigen Wächtern auf den See hinausblickten.

Wächter

Ja, das klingt reizend und ist es auch ab und an, aber irgendwie schien Flores zu jener Zeit etwas gegen Müßiggang und Beschaulichkeit zu haben und wollte es uns nicht zu vergönnen, denn unablässig schickte sie das donnernde Fauchen übersteuerter Autoboxen und Megafone, gefolgt von immer neuen, tanzenden Menschenparaden ins Feld, die den überschaubaren, dafür aber umso aufdringlicheren Verkehr auf dem Eiland zum Erliegen brachte und die friedliche Ruhe in den kleinen Gassen störte.

Zerstreuen

Ein paar Raketen und Böller waren immer irgendwo übrig, die den ganzen lieben und armen Tag lang die Luft zerrissen wie eine ausgehungerte Hyäne ihre Beute.
Mit jedem weiteren Tag, der diesem auf die Dauer sinnlos erscheinenden Treiben geopfert wurde, fragte ich mich, ob die Zerstreuung der Einwohner und Besucher der Insel nicht vielleicht die einzige Art und Weise ist, wie deren Wirtschaft überleben kann.

Vielleicht gibt es hier einfach nichts anderes zu tun als Pfannkuchen und Tacos zu produzieren und Leute auf dem See herumzutuckern.
Keine Ahnung, aber irgendwann reicht‘s auch, und es führt ja zu nichts. Der Tag meines Abflugs rückte immer näher, auch Volker und Grace zog es an andere Gestade.

Vorbei

Während sie sich in Richtung Atitlán-See begab, fasste Volker den Entschluss, mich das erste Stück meines Wegs bis über die Grenze nach Belize zu begleiten. Zusammen entschieden wir uns letztendlich für die günstigere Variante und bestiegen ein Colectivo nach San Ignacio, vorbei an dicht bewaldetem Hügelland, offenen Feldern und Palmenhainen.

Viel besser als ein bis ins kleinste Detail durchorganisiertes Shuttle: Ich spürte regelrecht den Asphalt und den Schotter unter meinen Füßen, weiter und weiter durch den Staub hin zu neuen Dingen. So ähnlich mussten sich Fred Feuerstein und Barnie Geröllheimer damals gefühlt haben.

Perfekt

Tatsächlich zu Fuß überquerten wir unbehelligt und vornehm bestempelt die Grenze. Habe ich erwähnt, dass ich die kleinen Momente im Niemandsland liebe?
Die Welt hält für kurze Zeit den Atem an und steigt aus ihrem gewohnten Rhythmus aus, wie um sich selbst im Spiegel zu betrachten und sich darüber zu wundern. Ein kleiner stolpernder Aussetzer, bevor das Herz unseres Planeten weiterschlägt.

Tief einatmen… aaaahhh… und weiter. Wir trampten die kurze Strecke bis zu unserem Ziel auf den Ladeflächen zweier Pick-Ups. Mein Herz begann zu singen und das Innere meines Kopfes verwandelte sich in ein luftiges Meer aus süßer Tagträumerei, gewebt aus dem unsichtbaren und federleichten Garn des Vagabundendaseins.
So vervollkommnet Reisen sich selbst.

So ähnlich

Doch ich wollte nicht zu sehr auf die Kacke hauen, immerhin hatte ich einen Flug zu erwischen. In San Ignacio schickte ich alsbald auch Volker auf seinen Weg, während ich in einem umfunktionierten School Bus nach Belize City ratterte.

Auf einmal umgaben mich dunklere Hautfarben aus Ebenholz, deftig, karibisch gewürztes Englisch und in ewigem Verfall befindliche Shantytowns zu beiden Seiten der Straße, die sich in der sanften Brise des niemals fernen Meeres wiegten. Ich kam mir vor wie auf Jamaika, obwohl ich dort noch nie war.

Shantyhouse

Zwei der grün-weißen „Blue Birds“ brachten mich auf einer wippenden Reggaeton-Welle vom westlichen bis zum nördlichen Ende des ehemaligen Britisch Honduras, das sich hübsch in eine Nische zwischen die beiden benachbarten Latino-Machos schmiegt.

Es war bereits dunkel, als ich in Corazal ankam, aber aufgrund der horrenden Übernachtungspreise dorten schien es den Versuch wert, doch noch bis über die Grenze bis nach Chetumal in Mexiko zu stoppen.

Nach einigen erfolglosen Versuchen nahm mich gnädigerweise ein alter Taxifahrer mit, der mich unweigerlich an einen verkannten kubanischen Musiker erinnerte. Zusammen mit einem weiteren Fahrgast teilte ich mir den Transport nach Chetumal, da die Stadt ebenso ihr Ziel war.

Freude

Am Ende kam es mich zwar kaum billiger als der Shuttle-Bus, aber der Spaß an der Sache, die freudvollen Stunden unterwegs und die Tatsache, dass ich meinem Ziel an diesem einen Tag viel näher gekommen war als gedacht, machte mein Experiment zu einem durchschlagenden Erfolg. Und mit etwas besserem Timing wäre es tatsächlich um einiges günstiger geworden.
Zumindest hatte ich es in der Zwischenzeit geschafft, mich selbst davon zu überzeugen.

Auch der zweite Tag on the road verflog wie aus einem Guss. In nur fünf Stunden fetzte ich in Kleinbussen nach Cancun, über Carrillo und die verkommene Betonleiche von Playa Del Carmen. In Carrillo befanden sich die jeweiligen Colectivo-Terminals nicht am selben Ort, aber ein kostenloses Shuttle-Taxi sorgte für den reibungslosen Transport vom einen zum anderen.

Währungen

Die stecken auch alle unter einer Decke! Für ein Land mit so revolutionär freiheitlicher Vergangenheit und Attitüde sind mir die Mexikaner aber ganz schön monopolistisch unterwegs, gell? Aber ich will mich nicht beschweren, denn bereits kurz vor fünf Uhr abends checkte ich erneut ins Maya Cha‘an ein und hatte noch einen ganzen Tag, um mich mithilfe eines Mega-Burritos seelisch und moralisch auf den Abflug vorzubereiten.

Krass. Innerhalb von nur zwei Tagen hielt ich drei verschiedene Währungen in Händen und hatte vier Stempel mehr in meinem nun beinahe vollen Pass. Ich brauche ein Bad, und mein Tabak geht zur Neige. Außerdem ist es mir hier zu windig; wird Zeit nach Hause zu kommen.
Weiter nach vorne und doch nie zurück!

Es geht weiter

Hochwasser

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