Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Zeitweh…
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Früher wäre ich freilich schreiend vor einer so argen Dekadenz davongelaufen und hätte mich umgehend und unverzüglich gegeißelt, indem ich in den nächstbesten Slum gezogen und mich dort mit Schlamm und moderndem Plastikmüll eingerieben hätte, alldieweil unverständliches Zeug vor mich hin murmelnd.
Aber ich glaube, diesen Komplex hatte ich in der Zwischenzeit verarbeitet.
…Scheiße, es gab ein Open-Air-Kino am Strand. Die zeigten grade irgendeinen alten Tiffany-Schinken, eigentlich ziemlich geil, ich meine, das hatte Stil irgendwie. Vor allem unter so einem Nachthimmel, wo es einem ganz warm den Rücken hinunter läuft und das Herz sich bereit macht zum Sprung.
In einem vergleichsweise vornehmen Touristen-Café, das von einem gestrandeten Bremer – oder war der aus Hamburg? – geführt wurde, bestellte ich mir sogar einen Pfannkuchen für fünf Euro, der in dem bodenständigeren mexikanischen Laden weiter drüben grade einmal die Hälfte gekostet hätte. Und das ohne mit der Wimper zu zucken.
Das stimmt auch in einem streng anatomischen Sinne, denn in Wirklichkeit war es mein rechtes Augenlid, das bei diesem Hergang ganz nervös zuckte vor innerer Anspannung und dem ganzen emotionalen Stress, und ich ignorierte es fleißig.
Ha. Jetzt kommt es mir so vor, als hätte ich etwas ganz Ähnliches über meine letzte Mittelamerika-Reise geschrieben, mal sehen, vielleicht finde ich den Link.
Nein. Aber es war wirklich ein netter Laden.
Darüber hinaus sprang uns die Hochsaison nicht eben ins Gesicht, so dass man sich eher selten um die Terrassenplätze mit der besten Aussicht prügeln musste. Nein, das war wirklich kein Problem, wenn man bedenkt, dass man ja an manchen Stränden seine Liege befestigen muss wie ein Benzindepot bei „Mad Max“.
Aber ich sprach über das Vermischen von Dingen.
Das macht schon Sinn, muss ich sagen. Ob man sich zum Beleg jetzt einen todeshippen Schmoothie oder eines dieser unendlich leckeren, indischen Currys genehmigt, faszinierende und verwirrende Handelsstädte oder diese wunderschönen Mischlingskinder hernimmt, wenn menschliches Erbgut sich neu zusammenwürfelt und schaut, was als Nächstes dabei herauskommt.
Diese antiquierte und romantische Vorstellung von der Reinhaltung des Blutes mag im ersten Moment zwar ganz gemütlich und reizvoll erscheinen, ist aber natürlich sehr falsch und darüber hinaus einfach unmöglich, weil der Zug schon zu einer Zeit abgefahren ist, wo es noch nicht einmal Eisen für die Schienen gab.
Da muss man sich wirklich nicht allzu sehr verkrampfen, und man braucht keinen Doktortitel, um das zu begreifen zu können, und deswegen will ich dahingehend auch gar nicht viel der Worte verschwenden. Trotzdem gibt es immer noch genug Menschen, denen würde ein anständiger Gehirnkrampf einmal gar nicht schaden, überhaupt nicht.
Nur soviel dazu.
Die ortsansässigen Fischer hatten das auch gleich gemerkt, denn wenn sie nicht ihrem angestammten Tagewerk nachgingen, schleppten sie Touristen aufs Meer hinaus, damit sie hübsch mit Delfinen schwimmen oder sich phosphorill-, fluorisz-?, scheißegal, leuchtende sich Dinge anschauen konnten, die eben faul im Wasser trieben.
Zu derartigen Spaßetteln kamen wir jedoch nicht, denn offenbar gab es wichtige Dinge zu besprechen.
Wie es Gemeinschaften oder solchen, die es vielleicht einmal werden wollen, zu eigen ist, auch und vor allem wenn es solcherne sind, die sich vorrangig um Menschlichkeit und Bewusstheit bemühen, fängt es da gerne und auch schnell einmal das Donnern an.
Da wird gerne und auch viel kommuniziert, da wird gesendet und von allen Richtungen und Dimensionen her empfangen, missverstanden, gehört und aneinander vorbei geredet; fast so wie jetzt zur Zeit der Corona-Paneurosie, damit man sich nicht gegenseitig anspuckt.
Kurz und gut: es beginnt zu menscheln.
Einzelheiten wären dahingehend sicherlich faszinierend und interessant, aber das führt an dieser Stelle wirklich zu weit und vor allem auch in recht persönliche Bereiche, die mir ja gar nicht gehören. Außerdem habe ich wirklich, wirklich keine Lust und keine Motivation, die ganze Suppe in all ihrer Breite und Tiefe noch einmal auszulöffeln.
Das passt schon so.
Auf alle Fälle wurde während dieser ganzen kleinen Epoche eingehend diskutiert, gespannt Nachrichten abgehört und Meinungen abgetastet und gewälzt. Wir gründeten sogar eine eigens dafür abgestellte whatsapp-Gruppe und zogen somit sämtliche analogen und digitalen Register, was gleichermaßen lächerlich wie notwendig erscheinen muss, da die streitenden Parteien zu der Zeit eben nicht am gleichen Ort feststeckten.
Aber wen wundert das noch in unseren Zeiten?
Und da menschliche Konflikte es an sich haben, Kreise zu ziehen und diese irgendwann auch andere potenzielle Community-Mitglieder dieser unserer schönen neuen Welt erfassten, erleichterten diese neuartigen und durchaus ungemütlichen Arten der Kommunikation dieselbe eindeutig.
Wenn man es denn tatsächlich versteht, mit dem jeweiligen Medium zu kommunizieren. Das ist wiederum ein ganz anderer Aspekt, der es zudem gehörig in sich hat. Denn dabei muss man so dermaßen höllisch aufpassen, dass es verbal nicht ausartet und etwaige, vertrackte Einzelheiten in der Folge in falschen Hälsen landen und die Gräben sich dergestalt vertiefen und verhärten.
Das ist praktisch wie, wenn man einem Nashorn die Haut abziehen will, und man gleichzeitig beschwörend und beschwichtigend darauf einredet, damit es deswegen nicht herum mosert und einem seine Nase in den Oberschenkel steckt.
Wenn man einmal von Videotelefonie absieht, fehlt einem in der digitalen Welt selbstverständlich der Gegenüber, seine Gestik und Mimik, seine Augen, seine Ausstrahlung, der ganze Mensch eben. Eine einfache Nachricht kann dabei nur ein blasser Schatten von all dem sein, was wirklich als Information in den Äther geht.
Da ich als zunächst Unbeteiligter recht ungezogen von den Umständen zwischen die Fronten geworfen wurde, ging es mir vor allem darum, meine Integrität und Neutralität, ja, vielleicht sogar einen Happen Objektivität zu bewahren.
Was bei solchen Prozessen, wo gute Freunde und liebe Menschen mit ihren ganz eigenen Realitäten und Wahrnehmungen aufeinander prallen wie zwei aufgeregte, rotierende Galaxien freilich nicht einfach und hoffentlich überhaupt möglich ist.
Im übrigen ist mir vollkommen klar, dass wohl gar nicht soviel passieren muss, wenn sich, so ein paar aufgeplusterten Fregatten gleich und mit zu viel Trägheitsmoment, Universen rammen, weil dazwischen soviel leerer Raum ist, dass das Kollisionskomittee enttäuscht die weiße Flagge schwenkt.
Aber wenn man genau hinschaut, verhält es sich bei menschlichen Meinungsverschiedenheiten und verhärteten Fronten in der Tat sehr ähnlich, wenn man einmal die gedanklichen und emotionalen Talsperren gelöst hat, die einer echten Begegnung im Wege stehen. – Denn sie sind am Ende nichts anderes als:
Leerer Raum.
Es sind ja auch nicht unsere so vermeintlich dicht gelagerten Atome, die Masse an und für sich, die uns daran hindert, durch Wände zu gehen, sondern vielmehr energetische Gesetzmäßigkeiten, die zwischen ihnen allen herrschen.
Denn am Ende sind auch wir nichts anderes als:
(fast) Leerer Raum.
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Bitte umblättern: Bewegende Ruhe…
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht