Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Gefühlte Zeitreise…
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Einen Tag vor meinem Rückflug ging es mir immer noch ganz gut, abgesehen davon, dass Guatemala City zumindest auf den ersten Blick eine deprimierend hässliche Stadt war. Dazu gesellte sich eine leichte, altbekannte Melancholie, die sich stets einzustellen pflegt, wenn das Leben eine spontane Entscheidung trifft, ohne mich vorher zu fragen.
Noch eine Nacht in Guatemala also, und schon bin ich wieder auf dem Weg nach Hause. Oder so dachte ich.
Was glaubt Ihr, wie überrascht ich war, als ich am nächsten Morgen meinen alten Freund Murphy am Frühstückstisch sitzen sah! Er zwinkerte mir verstohlen zu, sein Blick schien zu sagen: „Wart’ nur ab, was ich heute Feines für Dich auf Lager habe.“
Meine Sachen waren fertig gepackt, ich hatte bereits ausgecheckt, alles war vorbereitet für den Flug. Nur einer tröpfelnden Eingebung folgend öffnete ich die Status-Seite meines ESTA-Antrages…
Es dauerte eine Weile, bis die optische Information meiner sich weitenden Augen in mein Bewusstsein drang, da mein Selbst sich mit aller Gewalt gegen diese neuerliche Realität wehrte und reflexartig versuchte, sie in eine andere Dimension zu schubsen.
Aber es half nichts. Groß und fett schwebten die Buchstaben vor meinem vom kalten Schweiß des Schocks getrübten Gesichtsfeld, und sie formten einen unmissverständlichen und grausamen Satz: „REJECTED – Travel not authorized“.
Ha…? Mo-Moment, was ist da grade eben passiert?
Die Welt schien um ein paar Millimeter zur Seite zu gleiten, nur mein Magen blieb an Ort und Stelle und wunderte sich, wo der Rest von mir abgeblieben sei. Es fühlte sich an, als ob alles um mich herum in sich zusammenstürzt, um im nächsten Augenblick auf meine verwundete Seele hereinzuprasseln.
Nach einigen hektischen und fiebrigen Telefonanrufen bei der Airline gab es keinen Zweifel mehr: Ich brauchte mir nicht einmal die Mühe machen, zum Flughafen zu fahren, die 850 Euro flogen ohne mich nach München, byebye!
Ich war fassungslos und am Boden zerstört, der gnädigerweise sofort nachgab und mich einem lichtlosen Abgrund preisgab, ohne Hoffnung auf Erlösung.
„Das kann jetzt nicht die Wahrheit sein!“ Noch immer wehrte ich mich konvulsivisch, ich war konsterniert, gebrochen und vollkommen verzweifelt.
Mein Atem ging schnell und heftig, mein Herz schlug flatternd gegen meinen Kehlkopf, doch von alldem merkte ich fast nichts, denn meine ganze Aufmerksamkeit und Energie kanalisierte ich in dem verzweifelten Versuch, irgendwie doch noch und so schnell wie möglich nach Hause zu gelangen, denn sonst wäre ich explodiert wie ein Hamster in der Mikrowelle.
Zwei brotlose und in den Abfluss der Sinnlosigkeit geschüttete Tage lang telefonierte ich, schrieb E-Mails, hing stundenlang in Warteschleifen mit abscheulicher Musik, einer wahren Folter selbst für Taube. Ich bittelte und bettelte, heulte, schrie, schluchzte und zog sämtliche melodramatischen Register, aber niemand fühlte sich zuständig, niemand wollte helfen.
„Versuchen Sie es unter dieser Nummer.“ Ich stopf’ dir diese Nummer gleich in deinen mitleidlosen Hals, du hirn- und willenloser Komposthaufen, du gscherter!!!
Wie ein Pinball wird man da zwischen Behörden, Konsulaten und Agenturen hin und her geschossen in vollendeter und absoluter Absurdität; willkommen in der Eisenhölle vernichteter Menschlichkeit.
Einem hohlwangigen Gespenst gleich driftete ich ziellos durch das Hostel und sprach mit niemandem, antwortete schlafwandelnd und einsilbig auf vorsichtig gestammelte Small Talk-Fragen.
Doch inmitten all der Leere, all der Depression und Furcht vor der Ungewissheit und dem In-der-Luft-Hängen gab es selbst dann noch Augenblicke, in denen das Licht zurückkehrte, ich mich an meine letzte Lektion erinnerte und meine inneren Schleusen öffnete… Und die ganze Verzweiflung, die Schande, der ganze Ärger und Frust wie ein Tränenmeer aus mir in mich, durch mich hindurch und in die Welt hinaus flossen.
Für einige Momente war ich klar, still und befand mich beinahe wieder im Gleichgewicht – bis die nächste Attacke über mich hereinbrach und mich wund und blutend zurückließ.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht