Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Relativitätstheorie…
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Tags darauf, als ich eben auf dem Weg war zum Cool Bean Café mit Blick auf den Lago Petén Itzá, hörte ich eine vertraute Stimme mir zurufen aus dem süßen, kleinen Laden, wo ich jeden Morgen meine Panqueques mit Café con leche zu mir nahm. – Grace?
Wahrhaftig, da kam sie auch schon auf mich zugeschlackst mit wedelnden Armen wie ein Werbefänger, und wir hatten uns in den Armen. Doch sie war nicht allein, das nächste bekannte Gesicht aus dem Hostel in San Cris war das von Volker, welch ein freudiges Wiedersehen!
Nach Tagen der gewollten Isolation brachen in mir erneut sämtliche Dämme, und all die Gedanken und Gefühlte wollten raus, raus, hinaus in die Welt!
Wie ein redeschwallender Tsunami brach ich über die beiden herein und erzählte ihnen von meinen wirren und irren Geschichten der vergangenen Woche.
Aber obwohl sie darüber mit einem erschrockenen, schockierten Zucken in ihren Gesichtern scharf die Luft einsogen, ließen sie die Flutgewalten aufmerksam, geduldig und Anteil nehmend über sich ergehen, standen aufrecht und stolz im Sturm des Schallgewitters.
Es tat so gut, und ich war ihnen unendlich dankbar. Nachdem sich die Wogen geglättet hatten, tat ein jeder, was er eben tat, mal zusammen, mal allein. Wir tranken Kaffee mit free refill, spazierten durch die Gässchen und sahen uns die allabendlichen Feierlichkeiten mit schnulzigen Konzerten, weiteren Böllern und Feuerwerken auf der oben gelegenen Dorfmitte an, die sich in ausgelassener Volḱsfeststimmung befand.
Einmal tat ich einen verwegenen, doch notwendigen Schritt.
Ich fühlte mich dabei wie ein General, der seinen müden und abgekämpften Haufen, welcher allein von seinen stolzen Armeen noch übrig ist, zu einem letzten heldenhaften Ausbruch anstachelt und sie mit erhobenem Schwert und wehendem Banner im blutroten Morgendunst in die alles entscheidende Schlacht führt.
Genauso lenkte ich meinen scheuenden und grobschlächtig wirkenden Körper von der kleinen Insel fort und über die Landbrücke ins einheimisch besetzte Feindesland der vom grauen Ruß und Staub des Alltags verbackenen Provinztown, leidlich charmant und ein ehrlicher, hässlicher Zwillingsbruder am Rande des romantisierten Elfenbeinturms.
Bestimmt eine halbe Stunde kämpfte ich mich durch die diesige und schlüpfrige Hölle, selbst der Hass hatte hier aufgegeben und sich geschlagen von dannen gemacht.
Ich begab mich in den tröstenden Morast der normalverteilten Banalität und ersuchte ergeben und bescheiden um die Preislage verschiedener Busse, die mich an die Grenze zu Belize bringen konnten, denn die Zeit war schließlich gekommen.
Meine Kalkulationen ergaben, dass wohl noch ausreichend zeitlicher Spielraum vorhanden sein müsste, um mit Chicken Buses und Colectivos nach Cancun zu hopsen. Diese Variante versprach auch um einiges billiger zu werden als der bequeme Shuttle-Service, der den ganzen Weg direkt von Flores bis über die mexikanische Grenze abdecken würde.
Zunächst wollte ich nichts riskieren und entschied mich für die scheinbar schnellere und teurere Option, aber der Fluss des Lebens entschied wieder einmal anders, was mir mal recht war und mal Bauchschmerzen bereitete.
Während derlei bohrende Gedanken mich beschäftigten, versuchte ich trotz allem weiterhin zu fühlen, zu atmen, meine Bauchregion weit und offen werden zu lassen; nur nicht mauern und festhalten; stattdessen fließen lassen und beobachten.
Eines Abends erlebte ich einen sagenhaften Sonnenuntergang, obwohl der Himmel zunächst nicht viel versprach. Zu wolken- und makellos war er für ein spektakuläres Flammenmeer in der sich verdunkelnden Atmosphäre.
Nichtsdestotrotz erschufen die prächtigen Farben des Abendrots und der fahle Nebel zwischen den fernen Gebäuden und Bäumen auf der gegenüberliegenden Seite des Sees eine Heiligkeit, die nur der Schöpfung gleichkam und wie ein Leuchtturm in der Nacht den Weg nach Hause wies.
Die rudernden und stotternden Protagonisten auf dem See vollführten ihren allabendlichen Paarungstanz auf dem zart gewellten Samtteppich der Wasseroberfläche, der wie ein waberndes und wogendes Netzwerk aus gespiegeltem Licht erschien.
Ich blieb solange dort sitzen und sog diese optische Symphonie in mich auf, bis auch die letzten, schwindenden Farbkleckse des Regenbogenspektrums wie ein gemächlich implodierender Stern dem Lauf ihres brodelnden Wanderführers durch den Kosmos folgten.
Natürlich verfiel ich auch stets wieder in Gedanken an Zuhause, meine Mum und meine Sis, an die verworrenen und abstrusen Pfade der Fügung. Ich war nie ganz da.
Es war dieser Graben, dieser Spalt in meiner Raumzeit, den meine Seele mit einem kleinen, beinahe gelangweilten Sprung schon längst überwunden hatte, der mein Bewusstsein noch immer verwirrte und mich ein ums andre Mal mit eínem erstaunten Seufzer in die Gegenwart zurückbrachte und abwechselnd wieder heraus riss.
Über mir spannte sich das gleichgültige Blau unserer Sphäre, und Vögel zerschnitten die Stille des Daseins mit ihrem ätherischen Zwitschern vom Werden und Vergehen, das luftige Gegenstück zum melancholisch getragenen Gesang der Wale unter Wasser.
Hie und da gab es kleine Augenblicke der Fülle und des Glücks, wenn mein ganzer Körper vor Energie leise knisterte und ich mich einklinkte in den großen Verstärker der Welt, unterirdisch brummend und summend wie der anhaltende Basston der uralten Morla, die das Universum auf ihren verkrusteten Schultern trägt.
Momente des Aufatmens und der Schwerelosigkeit ähnlich dem Gefühl während des Tauchens, wenn der eigene Körper nach einer gierigen Einatmung langsam und majestätisch an die Wasseroberfläche steigt. Ein Gefühl der Weite und Schrankenlosigkeit breitet sich dann aus, gepaart mit dem Wissen von absoluter Geborgenheit.
Es erinnerte mich an das unwirkliche Zwielicht des Nachts am Atitlán-See, das sich nicht recht entscheiden konnte, welcher Welt es nun angehören wollte. Das Licht in mir wandelte sich sodann von einem warmgoldenen Schimmer hin zu kühlendem Silber, wenn ich daran denke, nicht weniger göttlich und grandios.
Manches Mal schien mich die Gnade geradezu mit Gewalt zu packen und mich auf eine andere Seinsebene voller Licht und Verheißung und Harmonie zu entführen.
Derlei innere Vorgänge begleiteten mich bis zum letzten Tag in Flores, während sich einmal mehr das Ende unserer gemeinsamen Zeit ankündigte und sich der Rhythmus langsam änderte, von aufgeregtem Schnattern und Ratschen hin zu nachdenklicher Einkehr vor Stift, Papier und Bildschirm.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht