Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Staub unter Füßen…
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Die vergangene Woche erschien mir wie ein Traum – und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob es nicht ein Alptraum war. Zäh, diffus, verschwommen, wie in Watte gepackt, so als ob alle meine Sinne seltsam gedämpft waren. Als ob ich nicht wirklich da war.
Zunächst wollte ich es auch nicht. So schräg und absonderlich das klingt, aber ich hatte absolut keine Lust, mich wieder ins zentralamerikanische Getümmel zu stürzen. Am liebsten hätte ich mich zurück auf den bequemen Sofa meines Elternhauses gebeamt, um ein weiteres Mal durch alle fünf Staffeln von „Agents Of Shield“ durchzurauschen wie in einer monumentalen Eruption aus cinematischem Wahnsinn.
Das war sage und schreibe alles, was ich in den ungeplanten vier Wochen Zuhause zustande brachte, außer die Nachwehen des Todesfalles in der Familie emotional und moralisch mit aufzufangen (woran ich aus meiner Sicht kläglich scheiterte), meiner Schwester bei Arbeiten im noch recht neuen Heim zu helfen und ab und an die Spülmaschine auszuräumen.
Obwohl mich der Tod selbst, wie schon erwähnt, nicht so sehr berührt, tun es die nachfolgenden Reaktionen meiner, seit dem so fragwürdigen Kopfsprung in diese Welt, unmittelbarsten Menschen mit einer Wucht, die man erst mal abfedern muss. Das ist in etwa so, wie wenn ein handgeknüpftes Fischernetz einen pflügenden Öltanker volle Kraft voraus aufhalten sollte.
Ich habe es nie gelernt, mich gegen emotionale Ausbrüche anderer Menschen und jedweder Art abzuschirmen und nehme deren nicht selten kometenhaften Aufprall ungefiltert und ungebremst in mich auf. Sie werden ohne Ankündigung oder Online-Reservierung Teil von mir. Das mag sicher auch Vorteile haben, aber in derartigen Situationen… nun, sowas wiegt schwer auf der Seele.
Aber letzten Endes will ich mich auch gar nicht abschirmen, weil ich das Gefühl habe, es gehört zu meinem Weg. Außerdem gibt es bereits mehr als genug Zeiten, in denen ich mich isoliert fühle.
So auch während der eingehenden Wochen in Mexiko und Belize.
Meine ersten Tage verbrachte ich an der traumhaft schönen Lagune Bacalar im Süden Yucatáns, als Teil des verlängerten Rückweg ins benachbarte Guatemala. Wie die meisten Unterkünfte lag das „Green Monkey“ Hostel am Ufer mit direktem Zugang zum siebenfärbigen Wasser und schien ausreichend anheimelnd. Von den sieben Farben konnte ich mit meinem Laienauge lediglich drei ausmachen, aber die reichten bei weitem aus, um Gesichter entzückt schmatzen zu sehen.
Bereits am ersten Abend fand ich eine freundliche Taco-Bude mit köstlichen Shrimps, goldbraun frittiert und für das mexikanische Refugee-Camp für Touristen sogar einigermaßen moderat im Preis.
Also klingt doch nach allem, was man für eine smoothe Backpacker-Welle braucht.
Najaa, aber. Abgesehen davon, dass man sich für einige Nächte in einer Unterkunft zusätzlich eine Eintrittskarte für den jeweiligen Lagunenabschnitt erkauft, habe ich fast nichts davon gesehen. Geschlagene und – gefühlte – viele Kilometer lang bin ich im triefenden Schweiße meines bratenden Angesichts an der wenig romantischen Küstenstraße entlang gestromert auf der Suche nach einer Bresche im famosen Bollwerk der Übernachtungsindustrie.
Ich habe gerade mal einen schmalen Streifen Land gefunden, wo man ohne gröbere Verletzungen tatsächlich bis ans Ufer gelangen konnte, der Rest war alles verkauft, verraten und zubetoniert.
Natürlich hätte ich mir ein sündhaft teures Kajak leihen oder an einer noch sündigeren Tour teilnehmen können, aber lieber hätte ich Geldscheine ungesalzen gefressen, das erschien mir genauso sinnvoll.
Und hey! Immerhin gehörte mir, zu einem gewissen prozentualen Anteil aller Hostelbewohner, für einige Tage mein ganz persönliches Schwimm- und Plantschvergnügen, es war herrlich warm im Vergleich zur klirrenden Schwäbischen Alb, und es wehte eine sanfte bis böig zähnefletschende Onshore-Brise. Was will man denn also mehr?
Jaaa, aber. Was hilft’s, wenn innen drin eine Schwärze und eine Kälte sich breit gemacht hat, dass alles, wirklich alles im eigenen Leben einem schal und trostlos erscheint. Jeglicher Gedanke an die Zukunft erregte in mir nur Unwollen, Ärger und roch ganz und gar abstoßend. Dann schon lieber ab in den Sand.
Ich war energie- und antriebslos, wollte nur wieder zurück auf die heimischen Polster und mich in unwirklichen Welten verlieren.
Vielleicht klang hier auch ein seit langem vergrabener Mechanismus wieder einmal an. Wohl war es die kindliche Süße der mütterlichen Fürsorge, gepaart mit einem Gefühl des Behütetseins und der Sicherheit, das ich lange nicht mehr verspürt hatte. Dazu noch das über alle Zweifel erhabene Essen, eingewickelt in den flauschigen Kokon einer scheinbar sorglosen und mangelfreien Vergangenheit.
Zuhause kann gefährlich sein, genauso wie die Schwärze.
Ich weiß weder, woher sie kommt, woher sie stammt, noch wo der berüchtigte Schalter ist, der das Licht an- und ausknipst. Vielleicht gehört sie einfach zu mir, genauso wie die vielen Stunden des puren Glücks und Friedens, die mir abwechselnd, mal behäbig und duldsam wie die Gezeiten, mal mit der entnervenden und fast schon langweiligen Geschwindigkeit eines professionellen Ping-Pong-Matches beschert werden.
Vielleicht liegt darin eine Lehre, eine Nachricht. Vom Universum, vom Schöpfer, von einem schlechten Life-Style-Magazin, weiß der Geier.
Vielleicht sollte ich mich einfach nicht jedes Mal so echauffieren, wenn das Wetter sich ändert und seelischer Bodenfrost droht über Nacht.
An der Stelle war ich ja auch beileibe nicht das erste Mal, im Gegenteil, es kommt mir so vor, als wiederholte ich mich ständig. Vielleicht tue ich das auch, aber es hilft nichts, da müssen wir jetzt alle durch, weil es ist nun mal mein Blog.
Wohlan, Ihr müsst natürlich nicht, aber ich wäre zutiefst enttäuscht und verärgert, wenn Ihr es nicht tätet. Was ich vordergründig natürlich nie zugeben würde.
Vielleicht fragt Ihr Euch jetzt, ob das jetzt offenkundige Selbstironie oder gleichermaßen versteckte Offenbarung war, oder noch schlimmer etwa gar beides?
Tja, nicht nur die Politik ist verworren und kompliziert: wie innen, so außen. Gnhnhn…
Sei’s wie’s will, solcherlei Momente scheinen bei mir immer schneller aufeinander zu folgen, wie ein pfeifender Herzschlag kurz vor dem Flimmern.
Immerhin sehe ich darin eine tiefe Verbundenheit zu der mich umgebenden Welt, denn dieser Planet, mit allem, was darinnen ist, scheint sich ebenfalls immer schneller zu drehen, die Tage werden kürzer und kürzer, bis es irgendwann knallt und der Infarkt sich grinsend verneigt: Ein schwerer Ausnahmefehler ist aufgetreten. Bitte starten Sie das System neu…
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Bitte umblättern: Nur ein Schrei…
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht