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Verschlagen

Der Ort bestand aus nicht mehr als einigen gedrungenen Häuschen und Wellblechverschlägen, in weniger als drei Stunden hatte ich praktisch alles erkundet. Sehr gut, Haken. Das soll jedoch nicht heißen, dass es nicht anstrengend war, denn die paar Gassen verteilten sich auf mehrere Ebenen, da Alegría sich praktisch am Berg festklammerte und demnach in Terrassen angelegt war.

Interessanterweise wurden die Behausungen ärmlicher, je weiter man nach unten stieg. Aus Teer und Kopfstein wurde Sand und Dreck.
Das bedeutet jedoch auch, dass man von vielen Standorten einen tollen Ausblick auf die weiten Ebenen jenseits der Hügel hat, weil es sich zumindest in dieser Gegend um ihre nördlichste Flanke handelt; danach ging es nur noch steil bergab.

Mira!

Die wenigen Restaurants kloppten sich um ihren vermeintlichen Ruf mit der besten Mirador-Location, ein müßiger Wettstreit zu jener Zeit jedoch, denn es war alldieweil zu diesig. Wenn ich mich anstrengte, konnte ich das Flachland weiter unten gerade so ausmachen. Dafür hatte ich ab und an tatsächlich das Gefühl, in den Wolken zu sitzen, was mir ganz gut gefiel.

Der Regen hielt nun regelmäßiger Einzug, allerdings nur des Nachts; sehr anständig und zuvorkommend von ihm.
Sehr abgeschieden war dieser Ort. Ich sah kaum andere Touristen und hatte meine Ruhe; genau so, wie ich es mir erhofft hatte.

In den Wolken

Am liebsten war ich im „Cartagena“, das nach meinem Dafürhalten über den besten Ausblick sowie einen riesigen Fruchtbecher mit Honig verfügte. Sogar der Kaffee war recht schmackhaft.
Ja, das ist so ein Ding mit der Röstbohne. Obwohl sie hier überall angebaut wird und man meinen sollte, dass man überall und für wenig Geld anständigen Kaffee bekommen könnte, ist dem leider nicht so.

Das Gros landet wie so oft im Export, weshalb man meistens irgendeine Instant-Plörre vorgesetzt bekommt, wo man bis zum Boden der vollen Tasse sehen kann. Wenn man denn auf einem adäquaten Espressogebräu beharrt, so landet man schnell auch mal bei europäischen Preisen.
Es geht, manchmal bekommt man schon was Ordentliches für um die zwei Dollar, aber solche Läden sind eher dünn gesiedelt.

Exportierte Zukunft

Ähnliche Abstriche auch beim Essen. Weniger Tourismus bedeutet auch weniger Firlefanz, trotzdem lagen die Preise für ein gebräuchliches Almuerzo oder Cena, bestehend aus der notorischen Hühnerbrust oder einem Schweinefilet mit Reis und Salat bei vier, fünf Euro ganz schön hoch.

Das Thema Streetfood war wiederum gleichbedeutend mit Pupusas, alles andere machte nicht so recht Sinn. Einmal hatte ich keinen Bock auf die gefüllten Minipizzen und probierte einen Hamburger. Das war keine gute Idee.
Pupusas sind ja noch eine Sache, aber auch in El Sal werden zu allem Tortillas gereicht, und mit denen erging es mir wie damals in Indonesien mit Reis: ich konnte und wollte diese geschmacklosen Fladen nicht mehr sehen. Brrr…

Schattengewächs

Aber Ihr seht, ich hatte nunmehr mit gänzlich andersartigen Problemkomplexen zu kämpfen, und auch das gefiel mir sehr gut. Was nicht heißen soll, das ich nur am Tisch saß und vor mich hin sabberte! …So schön es auch war.

Nein, vielmehr wanderte ich einmal steil nach oben an Kaffeeplantagen vorbei zur „Laguna Verde“, einem weiteren Kratersee, warum nicht. Da es nur zwei Kilometer waren, reagierte ich nicht sonderlich pikiert und nahm die Strapazen gleichmütig auf mich.

Hügellande

Ja, ich wurde während dem Offroad-Spaziergang sogar mit einer wirklich schönen Aussicht auf die umliegenden Hügellande belohnt, sieh an. Beim Krater selbst handelte es sich um die Version, wo man auf Bodenniveau durch einen Spalt im Ring hineingeht und sich auf dessen schwefligem Grund befand. Es stank herzerfrischend nach faulen Eiern, und ich war froh über meine Entscheidung.

Eine Schule gab es dort, was auch immer das bedeuten soll. Die Kinder jedenfalls hatten ihren Spaß, soviel steht fest.
Die Lagune schimmerte hell in verschiedenen Grüntönen, sobald die flüchtige Sonne ihre Oberfläche küsste, und die bewaldeten Kraterhänge spendeten stumm Beifall. Wenn das Licht richtig fiel, dann sah sie tatsächlich aus wie eine kleine Perle in ihrer gigantischen Muschel.

Schwefelspaß

So, schnell zurück ins Dorf, ich hatte Hunger. Obwohl ich ja – und jetzt haltet Euch gut fest, denn es kann sein, dass die Gesetze der Physik für kurze Zeit aufgehoben werden, wenn ich dies sage – mittlerweile sogar (Er biss krampfhaft die Zähne zusammen) gerne Obst esse, muss ich schon sagen, dass es nicht sehr lange vorhält. Gell? Nein, Vitamine schön und gut, aber an einen Krustenbraten mit Knödeln kommen sie einfach nicht heran. Das steht fest, so leid’s mir tut.

Tja, und einen Tag später war ich schon in Berlin.
Das ist kein Witz, da schaut. Na schön, auf dem í sitzt unflätig ein verräterisches Apostroph. Aber nur sieben Kilometer von Alegría entfernt sitzt sein etwas größerer Bruder in Form und Geist und nennt sich grade so.
Das fetzt voll, dachte ich mir, und fetzte kurz hin, checkte das dünne B aus und fetzte wieder zurück; kurz und schmerzlos.

Surreal

Im Gegensatz zu meiner Base zeigte sich Berlín noch abgefuckter, noch dreckiger, noch ärmer, noch echter. Es gibt noch mehr Krattler und Sandler, noch mehr ekelerregende Besoffskis und Druffis …eigentlich genau wie bei uns.
Sorry, normalerweise bin ich kein so rachsüchtiges Arschloch, der fingerschnippend eine ganze Stadt gemein über einen Kamm schert.

Aber der war für alle scheinheiligen und ignoranten München-Hasser, die zwar noch nie auch nur einen lauen Zeh in die Isar gehalten haben, aber meinen, sie müssten ihren aufgeblasenen Senf in die Welt kacken, nur weil sie sich wie parasitäre Aasgeier in der angesagtesten Hipster-Stadt Europas eingenistet haben wie die schleichende Pest.

Großer Bruder

Alle rennen sie hin wie die Schafe auf den nächsten Rave und bilden sich auch noch was drauf ein. Dabei haben sie keine Ahnung von Nichts, aber mal so rein gar Nix, Digger. So. Reicht das?
Wie gesagt, excusez-moi, doch dieses Ventil öffnete sich zu überraschend, um einen Ausbruch abzuwenden. Alles wieder gut.

Schön und entschleunigt waren die Tage in Alegría, viel passierte nicht, weder außen noch innen: ich hatte Zeit zum Nachdenken, zum Revue passieren lassen und Höfe kehren. Zeit um aufzuholen, um Erlebnisse zu verarbeiten und Verarbeitungen zu erleben…

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