Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Moped gewaltsam…
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Nun war es aber an der Zeit, dem Süden endgültig Lebewohl zu sagen.
Nachdem ich mir einen Tag Ruhe gegönnt und ein herrliches ful (das Linsengericht) zum Frühstück verzehrt hatte, während die Sonne die Zeit vergoldete, bestieg ich um sechs Uhr in der Früh am andern Morgen den erstbesten Minibus, der mich in Richtung Norden nach Adama (oder Nazret) bringen wollte.
Ich war nicht gelinde erleichtert, als der Fahrer mich mit einem freundlichen Lächeln begrüßte und anstandslos ein anständiges Entgelt für den Transport verlangte. Wahrlich, Wunder und Zeichen geschehen: ich erhielt sogar den Logenplatz vorne am Fenster.
Und vorrrwärts weiterrr preschten wir entlang der abgepflügten Felder über Dodolla’s Ebene, vorbei an der aufgehenden Sonne zur Rechten und einigen versprengten Hügeln, welche das Erdmeer durchbrachen wie uralte Wale.
Mühelos überholten wir Pferdekarren sowie einige abenteuerlustige Intercity-bajajs; das größte Hindernis jedoch bestand in dem zahlreichen Bauernvieh, das seelenruhig die Landstraße überquerte und teilweise in Punk-Manier besetzte.
Vor allem die Esel, die dortzulande fast so heilig gelten wie die Kuh in Indien, seit die Jungfrau Maria auf einem solchen einher ritt, ließen sich nicht einmal durch beherztes und leidenschaftliches Hupen aus ihrer Ruhe bringen, die selbst einen alten griechischen Stoiker zur spartanischen Weißglut gebracht hätte.
Heiligkeit schön und gut oder hin oder her, ich frage mich ja nur, ob die Äthiopier auch darum wissen, so wie die auf die armen Viecher eindreschen, wenn sie mal eben nicht spuren. Wobei, das haben wir mit unseren Erlösern ja auch so gemacht; von daher passt es wieder.
Nach Assala änderte sich die Szenerie gar dramatisch, denn ein karges Ödland breitete sich auf einmal vor mir aus, das nurmehr aus Stein und brüchigem Gestrüpp zu bestehen schien. Der allgegenwärtige Staub und Sand schwang sich dort zum alles bestimmenden Lebenselement auf, der nicht nur in sämtliche Poren, sondern auch in die finstersten Ritzen hinter meinen Gedanken zu dringen schien.
Selbst die Bewohner dieser postapokalyptischen Tristesse kamen mir vor wie mit grauem Putz überzogen: Säulen und Monumente menschlichen Kampfgeistes – oder seiner Verzweiflung, je nach Gemüt.
Die Engel der Straße aber waren mir an jenem Tag in der Tat gewogen.
Gegen Mittag stieg ich in Adama um in einen „1st class“-Blechkübel, und als einer der ersten Fahrgäste erlangte ich wiederum den strahlenbekränzten Platz an der Windschutzscheibe, gleich unter den Jesus-Stickern.
Es gibt auch „2st class“, aber so es einen Unterschied gab zwischen den beiden, entzog er sich meinem scharfsinnigen Fischauge. Vielleicht gibt es in der Ersten Klasse Bremsen, keine Ahnung.
Das war mir auch in etwa wo wichtig wie ein Regenschauer auf dem dritten Mond von Alpha Centauri, denn ich befand mich, unaufhaltsam!, auf meinem Weg nach Harar im Osten des Landes.
Noch immer herrschte karges Niemandsland vor, so weit mein Kamera-Zoom reichte. Man sollte meinen, nichts könne an so einem unwirtlichen Ort gedeihen, aber so schnell gibt Mutter Natur natürlich nicht auf. Kakteen sowie einige unerschrockene Akazien krallten sich dickköpfig und kampfeslustig in den marsähnlichen Boden auf der Suche nach schwindenden Wassern.
In jener Region befanden sich auch die ärmsten Behausungen, die mir bis dahin vor die Linse gekommen waren, kaum mehr als lieblos aufgehäufte Strohballen mit einer Plastikplane als Regenschutz darüber, die jeder äthiopische Wolf mit einem entschlossenen Nieser zur Strecke gebracht hätte.
Die augenfällige Herzlosigkeit mochte jedoch täuschen, denn es hätte sich dabei auch um die zeitweiligen Unterkünfte der berüchtigten Afar-Nomaden handeln können, die in jenen Landstrichen noch immer ihr Wesen trieben.
Aber trotzdem.
Jene Gesellen stehen übrigens in dem eher schauderhaften Ruf, den Opfern ihrer kriegerischen Handlungen kurzerhand die Eier abzuschneiden; eine grausige und über alledem seltsame Trophäe.
Es ist, wie es ist mit Mythen und Legenden: man weiß nie, was wirklich dran ist und dahinter steckt, aber ich muss hierbei zugestehen, dass eine derart blutrünstige Raubeinigkeit zumindest zu der harten und unnachgiebigen Umgebung zu passen scheint, in der sie ihr Dasein fristen.
Abgesehen von der alten Eisenbahnstrecke, die neuerdings wohl wieder in Betrieb ist (Oh?) und in einiger Entfernung parallel zur Straße verlief, bestand die einzige Sehenswürdigkeit in ein paar recht eindrucksvollen Windhosen sowie weiteren Hügeln im blassen Dunst des Nachmittags, die sich jedoch zu immer imposanteren Bergen auftürmten, je weiter wir nach Osten drangen.
Unterdessen freundete ich mich mit Firaol an, einem jungen Knappen, der sogleich seinen Arm abwechselnd um meine Schultern oder auf meinen Oberschenkel legte, je nach Sitzposition. Platzmangel war da der ganz banale Grund für unsere arg enge Freundschaft, denn inklusive dem verrückten Fahrer saßen wir zu viert da vorne.
Als seine Hand jedoch meinem etwas intimeren Tanzbereich im Bereich der Lendengegend allzu nahe kam, wurde es mir allerdings zu bunt, so dass ich seine ungestümen Liebesbezeugungen ähnlich abrupt bremsen musste wie die Knalltüte am Steuer seine armen Felgen, wenn er sich in seiner fahrigen Manie wieder einmal verschätzt hatte.
Ich bin mir jedoch sicher, dass es sich seitens des unerschrockenen kleinen Burschen um einen unglücklichen Zufall handeln musste. Selbst wenn er schwul gewesen wäre, hätte er es nie und niemals gewagt, seine Vorliebe derart offen und unumwunden zu zeigen. Immerhin liegt die Akzeptanz Homosexueller in Äthiopien in etwa so hoch wie das versunkene Atlantis und scheint kaum weiter entwickelt als wie ein Quastenflosser.
Eine 2007 veröffentlichte Studie zeigte auf, dass bescheidene 97% der Bevölkerung Homosexualität als ein vollkommen inakzeptables Geschwür betrachteten in einer modernen Zivilgesellschaft.
Von solcherlei Melancholien wurde ich aber jäh empor gerissen, als wir nämlich einige Erhebungen umrundeten, die wie die Torwächter eines verborgenen Landes anmuteten, denn ich fand mich auf einmal in einer überirdischen Gebirgslandschaft wieder, gegen die meine Wanderung in den Bale-Bergen wirkte wie stockender Verkehr auf der A8.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht