Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Folge dem Wasser…
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Nun, die ersten zwei Nächte tat er das im nüchternen und dafür eigentlich etwas zu teuren „Mini Lalibela Guest House“, das ihm Ian empfohlen hatte. Zudem befand es sich recht uncharmant zwischen mehreren Baustellen in der Mitte von Nirgendwo, und lebenswichtige Versorgungseinrichtungen wie Restaurants oder diese alltypischen und vollgestopften Tante-Emma-Lädchen waren dort eher dünn gesät.
Zwei Dinge hielten mich zunächst jedoch dort. Zum einen der großzügige Discount, der mir angeboten wurde, als ich nach der ersten Nacht schon auschecken wollte, zum anderen und vor allen Dingen das opulente und herrschaftliche Frühstück, bestehend aus Pancake, Omelette, Brot und Marmelade, einer Banane als Nachtisch sowie einer prall gefüllten Kanne Kaffee als sprichwörtliche Krönung.
Tja, da musste das „Asheton“ oben auf dem Hügel leider noch einen Tag warten.
Doch als ich dort schließlich in mein bescheidenes Kämmerlein mit eigenem Bad, und das für schlappe acht Euro, einzog und mich das überlaufende Grün, die violetten und rosafarbenen Blüten seines Paradiesgartens im Innenhof zart umscheichelten, da war mir auf einmal schleierhaft, wie ich jemals hatte woanders übernachten können.
Fast fühlte ich mich transportiert in jene betörenden iranischen Gärten Eden in Shiraz oder Yazd, deren Zimmer einen vor Leben sprießenden Hof umgarnten, wie in einer alten Karawanserei.
Am selben Nachmittag noch wanderte ich den Hügel von „Uptown“ entlang zum „Ben Abeba“-Restaurant mit seiner phänomenalen Aussicht auf ein weites Tal, flankiert von dunklen Berghängen und ebenso phänomenalen Preisen auf der Speisekarte.
Von weitem sah es vielmehr aus wie ein sonderbares UFO, das am Rande der Bergkuppe gelandet war. Als ich direkt davor stand, meinte ich die Wasserrutschen eines Erlebnisbads zu erkennen, doch nachdem ich schließlich in sein Inneres trat, offenbarte es eine verwirrende Ansammlung aus Laufgängen und vorgelagerten Balkonen, die wie fantastische Tellerschüsseln über dem Nichts zu schweben schienen.
Die ganze Ausstattung wirkte, als ob sie dem explodierenden Geist eines Hundertwasser-Studenten entsprungen wäre, der für seinen Master-Abschluss aus Versehen in einem Kunstwerk von M.C. Escher beinahe ertrunken wäre.
Es war überaus kurzweilig, all die kleinen Ecken und Winkel zu erkunden, während Regen und Sturmwind mich umtosten und fest entschlossen schienen, mich von einer der Aussichtsplattformen fegen zu wollen.
Doch unbeugsam wie ein bronzener, antiker Held stand ich, hielt meinen Posten und vervollständigte mein Panoramabild von der düsteren Weltuntergangsatmosphäre, die sich da toll und schrecklich vor meinen Augen entfaltete.
Zu guter Letzt lugte für einige rasch schwindende Momente sogar die Abendsonne hervor, nur ein fahler, verwaschener Dunstkreis in einem vom Wind zerzausten Wolkenmeer.
Damit war der Herrlichkeit auch Genüge getan: aus Ben Abebas luftigen Höhen begab ich mich wieder zurück ins Asheton und auf den demütigen Boden der Tatsachen.
Bueno, Pause zu Ende.
Wenden wir uns nun frischen Mutes der zweiten Kirchengruppe zu. Durch einen süßen Graben und vorbei an einem malerisch zugewachsenen Teich gelangte ich über eine steile Treppe, die in wie alle anderen auch in den Fels gehauen war, und durch eine freche Hobbitöffnung zur „Bet Amanuel“-Kirche, die ich oben kurz einmal erwähnt hatte.
Wie überall galt auch in Lalibela die Regel: Männer treten durch die westliche, Damen durch die südliche Pforte ein.
Die feinen Steinmetzarbeiten mit den abwechselnd hervortretenden und eingefassten Mauerblöcken verliehen dem Gebäude ein machtvolles, ja fast diktatorisch einschüchterndes Flair.
Es war immer noch früh am Morgen, und auch dort umwehten mich die rau an- und abschwellenden Männergesänge einer Messe.
Abgesehen von dieser Ausnahme erschienen mir die Gotteshäuser im südöstlichen Cluster insgesamt jedoch weniger beeindruckend.
Das eigentlich Spannende bestand für mich in der Tatsache, dass sie alle durch ein scheinbar willenloses System von niedrigen und teils stockdunklen Höhlengängen und tiefen Gräben, ja fast schon kleinen Schluchten miteinander verbunden waren.
Für die Locals symbolisieren sie im übrigen die Hölle: „Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal…“
Es war vor allem dort, dass ich das Gefühl hatte, durch ein in den Tuff gehauenes Labyrinth zu irren. Mit jedem Besuch entdeckte ich neue Abzweigungen und Nischen für ungestörte Meditationen und Gebete.
Vorbei an „Bet Merkorios“ und „Abba Libanos“, gelangte ich schließlich in eine weitere Zwillingskirche, die den Erzengeln Gabriel und Rafael gewidmet war. Sie bildete den gegenüberliegenden Eingang zu jenem Areal und war von dort nur über eine Brücke zu erreichen, die eine Art Burggraben überspannte.
Außen sah ich hervortretende Säulen, von denen eine an den hohen Fenstern vorbei bis hinunter zur Sohle des Graben reichte, in dem zwei Brunnenanlagen zu erkennen waren. Das ganze Ensemble erinnerte mich mehr an eine Festung als an eine Kirche, aber die beiden hatten sich ja noch nie ausgeschlossen.
Am schönsten fand ich es wie gesagt in den frühen Morgenstunden, wenn sich kaum eine Menschenseele in der Umgebung der Kirchen aufhielt, außer einigen in tiefer Schau versunkenen (oder friedlich schlummernden) Pilgern.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht