Oder: Schweinehunde, wollt Ihr ewig leben??
Alter, ich kann mich echt schlecht konzentrieren, wenn der Hahn neben mir die ganze Zeit kräht! – Hm? – Nee, umziehen kann ich nich’, weil ich lieg’ doch in einer Hängematte. Das geht nicht so einfach…
So ähnlich ging es mir auch kurz vor meinem Abflug nach Mexico City:
Tiefenpsychologische Prozesse sowie anhaltendes Bingewatching machten es mir nicht eben leicht, mich von meinem Liegestuhl im Wohnzimmer meiner Kindheit zu erheben.
Vor meinem Trip nach Äthiopien letztes Jahr fiel es mir ebenfalls redlich schwer, mich aaaaufzuraffen und meine Sachen zu packen. Obwohl praktisch schon alles bereit war:
Ein neuer Wasserfilter, Plastik und oliv-grün, ein neues und mit etwas gutem Willen als Zwei-Mann-Zelt zu deklarierendes mobiles Eigenheim, leicht wie eine Feder, sowie eine niegelnagelneue gebrauchte Digitalkamera mit einem optischen Zoom, der das Hubble-Teleskop zum einem dieser Gimmicks aus den alten „Yps“-Heften degradierte.
Tatsächlich drückten mich auf der einen Seite mahlende innere Vorgänge wie einen sandigen Felsblock nach unten in Richtung Erdkern. Dunkle, unverarbeitete Dinge aus meiner Kindheit tauchten auf und wollten bespaßt und freigelassen werden, und dieser Prozess hielt auch eine Weile nach meiner Ankunft in Zentralamerika noch an.
Auf der anderen liegt es vielleicht einfach am Dorf-Vibe; der kann mitunter auch ganz schön zäh und „geruhsam“ sein. Wie innen, so außen. Da komm’ ich deshalb drauf, weil es wirklich erst die letzten zwei Jahre so war, dass ich quasi nicht von München direkt, sondern von meiner geburtlichen Heimat in Dettingen aus los startete.
Im Trubel der Großstadt schien ich mich stets mobiler, oder agiler zu fühlen als daheim in der dichten Nebelsuppe der Ostalb. Vielleicht war das der Grund.
Vielleicht auch, weil ich aufgehört hatte, zu rauchen.
Also, nicht wirklich, oder vielmehr, saisonweise, phasenbedingt und je nach Gelegen- oder Gepflogenheit; ebenso wie ich nach meiner Äthiopienreise zu einem ideologisch mobilen Vegetarier wurde.
Das ist gar nicht so scheinheilig und verwerflich, wie es klingt. Aus eigenem Antrieb heraus esse ich in der Tat kein Fleisch, vor allem, wenn ich nicht weiß, wo es herkommt.
Aber wenn es sowieso schon zubereitet und mir praktisch vor die verräterisch sich blähende Nase gesetzt wird, dann also sehe ich keinen besonderen Sinn darin, es verderben zu lassen, nur weil mir das Leben mal wieder eine neue Flause in den Kopf gesetzt hat.
Zu meinen Sturm-und-Drang-Zeiten hätte ich selbst das zarteste und köstlichste Stück Zwiebelrostbraten in den Mixer geschmissen und hernach mit der daraus entstandenen Brühe ein Pastinakenfeld bewässert, auf dem zuvor unser Landschwirtschaftsminister von einer Kuh-Quadriga gevierteilt und auf dem Altar der Neuen Zeit geopfert wurde, nur um meinen Standpunkt zu verdeutlichen.
Aber es macht einfach nicht mehr so viel Spaß wie früher.
Die Zeit vergeht schneller und schneller, und mit dem Alter sucht man sich immer detaillierter aus, mit was man sie vergeuden möcht.
Wie zum Beispiel Zusammenschnitte aus Talkshow-Interviews mit den Darstellern der neuen Marvel– und Star Wars-Filme. Oder solcherne mit Robin Williams, der Narrengott hab’ ihn selig, kann ich in dem Zusammenhang auch wärmstens empfehlen.
Jedenfalls, so ähnlich verfahre ich mit dem Nichtrauchen auch. Alles kann, nichts muss. Doch inmitten dieses fluktuierenden Quantenfeldes aus Nikotinmolekülen und Alveolensträuchern pflügt meine Disziplin wie ein arktischer Eisbrecher durch die stahlgrauen Meere unermesslicher Möglich- und Wahrscheinlichkeiten!
So zum Beispiel sah ich es als ziemlich unwahrscheinlich an, dass ich während der immens stressigen und aufreibenden Wartezeiten auf den Flughäfen nicht zu einer oder mehreren Zigaretten greifen würde.
Alles, was recht ist!
Leider war das dem Personal in Madrid, wo ich immerhin vierzehn Stunden zubrachte, nicht gar so eingängig. Mal ehrlich, für Spanier waren die ziemlich unentspannt.
Es fing ja schon damit an, dass man auf dem gesamten Flughafengelände nirgendwo rauchen durfte. Natürlich handelt es sich dabei um eine der ungesündesten und sinnbefreitesten Tätigkeiten der Menschheit, vielleicht abgesehen von Genoziden, aber die Menschen deswegen zu ihrem Glück zu zwingen hat noch nie wirklich gut funktioniert.
Das ist wie, wenn man einen Maulesel dazu bringen wollte, Tai Chi zu üben, um seine Persönlichkeit zu veredeln. Aber der Beamte, der mitten in der Nacht meinen Reisepass kontrollieren musste, sah das leider anders.
Immerhin, ich hatte Zeit. Also bin ich notgedrungen einmal durch sämtliche Kontrollen und zum Flughafen hinaus, um meine Lunge in vollem Bewusstsein und mit schmatzendem Genuss zu vergiften.
Er hatte auch schlechte Karten, denn um die Zeit saß er da ganz allein in seinem Kabuff und musste die Stellung halten. Als er auch noch den Grund für mein hanebüchenes Manöver zu hören bekam, da schüttelte der adrett Uniformierte nur angewidert und moderat fassungslos den Kopf und grummelte etwas Unverständliches, doch unzweifelhaft Bösartiges in seiner Landessprache.
Als ich ihn demütig und naiv fragte, ob er auch Englisch könne, rotzte er mir nur ein abfälliges „No!“ sowie meinen Pass vor den Latz, grade so als ob ich eben im Begriff sei, die niederträchtigste aller Gemeinheiten zu begehen.
Ganz ehrlich, einen Scharfrichter für meine vermeintlichen Missetaten konnte ich zu dem Zeitpunkt wirklich nicht gebrauchen! Nur weil er die Arschkarte und die Friedhofsschicht gezogen hatte, die keiner will. Ich mein, was macht er denn sonst da die ganzen langen Stunden, außer sich in psychedelischen Meditationen über Fingerabdruck-Kaleidoskopen zu ergehen?
Jesses. Das muss schon ein übles Martyrium sein, wenn er seine inwendigen Betrachtungen über die Unwägbarkeiten einer sterilen Wartehalle für fünf Sekunden kurz einmal unterbrechen muss, um auf meinen, darüber hinaus moralisch wasserdichten, deutschen Reisepass zu starren.
Der Sohn Gottes hatte sein eigenes Kreuz getragen, aber vor so einer unsäglichen Aufgabe hätte wohl selbst er einknicken müssen: „Tut mir leid Leute, ich hätte alles, wirklich alles getan um eurer Rettung willen getan, aber die Suppe könnt Ihr echt selber auslöffeln!“
So ein glattrasiertes Rindviech! Ich hätte nicht übel Lust gehabt, nach meiner Rückkehr noch ein zweites Mal durchzugehen, einfach, um es ihm instant-karmamäßig so richtig reinzureiben! Aber dazu war ich zu faul.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht