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Haute Cuisine

Danach luden sie mich zum Mittagessen ein, und ich bekam meine erste Kostprobe traditioneller Küche, selbstverständlich vegan.
Bäh. Tatsächlich kann man dort, ähnlich wie in Indien, als Pfanddosendekorierer sehr gut fleischproduktlos essen, was wiederum mit der christlichen Fastenzeit zusammenzuhängen scheint.

Also versenkte ich meine frisch gewienerte rechte Hand (fast die Hälfte der Leute sind zudem Muslime) in das Mus aus frischem Gemüse und „schiro“, einer roten Sauce, die überwiegend aus der indigenen Gewürzmischung bestand, welche wiederum zum Großteil aus „berberi“, Chili zu bestehen schien.

Transformation

Die restlichen 15 Zutaten verloren sich im Inferno meiner inneren Magenwandbrände, da selbst meine durch farbenfrohe Masalas kampferprobten Geschmacksnerven dabei scharf die Luft einsogen; was meinen intestinalen Notzustand freilich nicht verbesserte.
Meine Bauchspeicheldrüse verhängte das Kriegsrecht und bildete eine bittere Allianz mit meiner Gallenblase sowie der verräterischen Speiseröhre als Vorhut.

Das ansonsten fantastisch leckere Sammelsurium aus industriell geschlachteter Massenpflanzenhaltung lag ansehnlich gebettet auf einem großen „injera“-Fladen, eine Art leicht fermentierter Pfannkuchen nach speziellem Rezept und mit der Konsistenz eines unaufgeblasenen Gummiballs.

Watte

Es schmeckte herrlich. Die dazu gereichten Unterhaltungen mit meinen neuen Instant-Freunden ließen mich meinen miserablen Allgemeinzustand fast vollends vergessen. Nur ganz weit hinten auf der obersten Tribüne meines gescholtenen Bewusstseins nahm ich leicht surrend wahr, dass ich eigentlich, quasi gar nicht mehr in meinem Körper war.

So eine Art präventive Nahtoderfahrung oder erzwungene Out of Body-Experience muss das gewesen sein. Alles war wie Watte. Ich hatte das Gefühl, in einem Baumwollfeld der alten US-amerikanischen Südstaaten zu treiben, von weit her trug der Wind die Klagegesänge afrikanischer Sklaven an mein summendes Ohr, als ob da eine arme Biene vergeblich nach Blütenstaub suchte.

Silberschnur

Nicht auszudenken, was für ein teuflisches Gelée mein vertrocknetes Ohrenschmalz hergeben muss.
Aber wie sollte ich ihnen zu Hilfe eilen? Schließlich war ich kein physischer Körper mehr, der wiederum hing leblos in einem Restaurant auf dem Heimatkontinent der wettergegerbten Feldarbeiter meiner Imagination, nur verbunden über die filigrane Silberschnur meiner vor Schlaftrunkenheit taumelnden Seele.

Dergestalt und in diesem Zustand traf ich bereits meine zweite folgenschwere Entscheidung auf dieser Reise. Denn nach dem Essen ging es sogleich weiter zu einem zweitägigen Workshop über Prana-Heilung.

…An dieser Stelle genügen vielleicht ein paar Worte zu meinem stets frohen Gastgeber: Happy erschien mir als ein von außen unscheinbarer New Age-Hippie und Yoga-Lehrer auf seinem spirituellen Pfad zum höheren Menschsein und Nächstenliebe. Sein großes Vorbild ist Sadhguru, dessen Bücher und youtube-Videos er in seiner Freizeit in sich schlang.

Lieber nicht

Wer mich kennt, wird sich also nicht wundern.
Nun, mein eigentlicher Plan und all mein Streben bestand vordergründig aus einer wundervoll horizontalen Matratze in seiner bescheidenen Bleibe. Schon wollte er mir seinen Hausschlüssel in die Hand drücken und den Weg zu seiner Wohnung im Süden der Stadt erklären.

Doch zwei Dinge hielten mich mithin davon ab. Erstens verspürte ich keinen immensen Drang, in meiner Lage und auf eigene Faust eine weitere Minibusfahrt zu überstehen sowie anschließend nach Zimmer X im Block Y im „Gotera“-Viertel zu schürfen. Schon die erste Fahrt ging beinahe über meine durchreizten Nerven und kostete mich das letzte Quentchen Lebensenergie.

Übermut

Dahingehend hörte sich Prana-Heilung in meinen Ohren gar nicht so abwegig an, und so ich in die Antlitze dieser lieben und schönen Menschen um mich herum blickte, da machte mein Herz einen kühnen Sprung und seine Tore himmelweit.
Übrigens, Weihnachten wird hier an Dreikönig gefeiert. Auch da lassen sie sich Zeit, allerdings grade nicht genug für meine zu späte Ankunft.

Das Leben kann ganz schön hinterfotzig sein.
Sollte ich also entgegen aller Vernunft und gesundem Menschenverstand meinem sorglosen Herzen folgen, das wie eine übermütige Tinkerbell von einer Blume zur nächsten flattert und runter hinunter! ins finstre Hasenloch wie damals Alice ins Wunderland?

Finden

Aber selbstverSTÄNDlich! Pah. Was für eine törichte Frage. Zwanzig Minuten später saß ich demgemäß im zweiten von zwei äthiopischen Zentren zur Selbstfindung und/oder -entsagung, je nach persönlicher Vorliebe, zusammen mit sieben anderen Fechtern des Lichts und wartete gespannt und etwas fassungslos auf die energetische Schulung.

Auf der Fahrt dahin kamen wir an der englischen Botschaft vorbei, deren Parkanlagen im Ausmaß einem kleinen europäischen Fürstentum gleichkamen.
Dabei hatten die hier nicht mal eine Kolonie!

Anders

Dritter Fakt: Äthiopien ist erstaunlicherweise das einzige afrikanische Land, das nicht von westlicher Barbarei verwüstet und vergewaltigt wurde. Lediglich die Italiener unternahmen einen phlegmatischen Versuch in diese Richtung, wurden aber von den Hausherren vernichtend geschlagen zum Unglauben und Entsetzen aller milchgesichtigen Zylinderträger.

Zugegeben, bei den italienischen Streitkräften handelte es sich zu der Zeit wohl nicht unbedingt um die furchteinflößendste Messlatte. Immerhin schafften sie es später unter Mussolini, das Land für einige Jahre zu besetzen. Doch dann brach der Zweite Weltkrieg über unsere traurige Mutter Erde herein, und alles wurde anders.

Brennen

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