Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Ich hab’ da was…
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Tag 2: Isoka nach Myombe, Truck 2,5t, Ladung: irgendwelche Säcke, Menschen
Naja. Aber zum Glück bin ich ein Chamäleon und sehe die Welt nach einem erholsamen Schlaf mit völlig anderen Augen.
Am jenem Tag schaffte ich es immerhin bis Myombe unweit der Grenze zu Malawi. Wir fuhren durch dichten Busch entlang einer nebelverhangenen Hügelkette in der Ferne – und schließlich in sie hinein.
Zu jenem Zeitpunkt war mir allerdings nicht klar, welch grausame Folgen die Tatsache zeitigen würde, dass es sich um Erdverwerfungen handelte. Immerhin war ich in einer solchen Region geboren worden und aufgewachsen, das war nichts, worüber man sich Sorgen zu machen brauchte.
Aufgrund meiner diesbezüglichen Prägung stellten sie allemal eine willkommene Abwechslung dar zum allgegenwärtigen Flachland, da sich nunmehr geradezu saftig bewaldete Bergkuppen aus der Ebene erhoben und das Auge bewässerten. Dazu gesellten sich die obligatorischen Dörfer und Maisfelder, Schulen und Siedlungen, die große Teile des Landes bedeckten.
Die Straße unter mir war so beschaffen, dass beim Überfahren von etwas großzügigeren Schlaglöchern alles und jeder im LKW für einige Sekunden lang schwerelos wurde. Ich kam mir vor wie ein prähistorischer Astronaut in einer rollenden Hüpfburg, der einem Roman von Jules Verne oder H.G. Wells entsprungen war.
Das Wichtigste dabei ist, dass man in der Hüfte stets locker bleibt, so als ob man einen wilden Stier reiten würde. Diesen tollkühnen und famosen Rednecks in den Staaten müsste das tierisch gut gefallen, mit ihren Bullriding Shows. Allerdings hege ich den Verdacht, dass es die hiesigen Locals bei deren Anblick nicht groß vom Hocker hauen würde: „Und sowas kommt bei denen im Fernsehen…?“
Die Fahrt verlief jedoch ohne größere Zwischenfälle. Unglaublich, ich weiß, aber es geschehen sonderbare Dinge auf dieser Welt.
Nur einmal mussten wir an einem Steilhang einige Male anschieben, weil der Truck im Matsch stecken geblieben war.
Bei der Gelegenheit atmete ich so viele, und zwar PECHschwarze, Abgase ein, dass mich das garantiert fünf bis zehn Lebensjahre gekostet hat. Aber was will ich schon so lange auf diesem schrägen Felsbrocken, den wir Planeten nennen, das geht doch alles nur ins Geld.
Kommentar eines Einheimischen zum derzeitigen Straßenzustand: „The Chinese are TOO slow!“ Geil.
Diejenige nach Myombe war demnach rudimentär genug, dass ich meinen insgeheimen und ursprünglichen Plan, mich vielleicht doch noch bis nach Mfuwe durch zu schlagen, nunmehr endgültig verwarf und mich stattdessen in östlicher Richtung nach Malawi wandte. – Auch nicht besser.
Die Abreise aus Myombe wurde mir jedoch von einer ziemlich reizenden Stafferin aus dem Guest House, in dem ich übernachtete, mit dem klangvollen Namen Mary Munthali erschwert, aber mei, was bringt’s. Man könnte auch sagen, ich war in einer Mission des Herrn unterwegs.
Tag 3: Myombe nach Rumphi, Pick-Up, Ladung: mehr Säcke, Menschen, ein Fahrrad
Dieser Abschnitt stellte bei weitem alles, was bisher vorgefallen war, in seinen eisekalten Schatten. Anstelle der veranschlagten fünf brauchten wir für eine Strecke von etwa 170 Kilometern geschlagene zehn Stunden; und das auch nur, weil wir am späten Nachmittag auf einen Kübel ausweichen konnten, der Allrad hatte.
Insgesamt sechs Mal hingen wir im Schlamm fest, der uns samt Vehikel in seine lehmigen Eingeweide saugen zu wollen schien, dazu streikende Gaspedale und Zündungen; Scheibenwischer während der Regenzeit? Wer braucht denn so einen Unfug, bitteschön.
Und ich durfte zum ersten Mal in meinem Leben erleben, wie der Fahrer eines PKWs an Ort und Stelle einen seiner Autoreifen flickte. – Jaja, kein Scheiß. Wobei Ihr sicher nicht wissen wollt, wie er das gemacht hat, na gut, ich erzähl’s Euch:
Er nahm also einen alten Schlauch zur Hand und schnitt ein großzügiges Stück davon ab, das als künftiger Flicken dienen sollte. Ich hob vorsorglich nur eine Augenbraue. Dann schmierte er irgendein ein giftgrünes Zeug da drauf, der mutmaßliche Kleber und Entzücken so vieler Schnüffler.
Meine Brauen wölbten sich zu Zwillingsgipfeln und legten die Haut über meinem Frontallappen in tiefe Falten. Ich denke, genauso entstehen Gebirge draußen in der Natur.
Jetzt aber folgte der Schritt, vor dem ich mich am meisten gefürchtet hatte:
Fest entschlossen und mit Schmackes klatschte er den „Flicken“ auf den punktierten Reifenschlauch und drückte ihn ordentlich fest – wie man es bei einem Radl eben auch zu tun pflegt.
Meine Stirn fühlte sich mittlerweile an wie ein zweites Rift Valley, kaltes Entsetzen rann wie ein verzweifelter Bobfahrer aus Jamaica meine Wirbelsäule entlang.
Während er diese Vorrichtung des Teufels mittels einer handelsüblichen Standpumpe manuell wieder befüllte, reckte sein Kopf sich nach oben, und er blickte mir direkt in meine fassungslos geweiteten Augen. Er musste natürlich gespürt haben, dass ich ihn die ganze Zeit über mit rechtschaffenem Unglauben in meinem schlussendlich deutschen Herzen angestarrt hatte.
In meinem Kern hatte ich mich aber bereits damit abgefunden, dass ich in der Tat gar nicht mehr soo viel Geld für den Rest meines kümmerlichen Erdendaseins würde aufwenden müssen, sondern mithin nicht mehr als mein nacktes Leben.
Als er mich so dastehen sah, verzog sein Mund sich zu einem diabolischen Grinsen, und er stellte eine Frage, auf die er die Antwort bereits wusste:
„Have yu seen anyting like dis befo’?“ – Hrmpf – „Noohohoho?!“
Mein dazu gehöriges Kopfschütteln musste eher ausgeschaut haben wie das unkontrollierte Zucken eines spastischen Krampfes, mit dem meine Seele sich anschickte, sich von ihrem, dem Untergang geweihten Körper zu lösen, ähnlich einer olympischen Staffellläuferin kurz vor der Übergabe.
Da entsprang ein raues und unverkennbar dreckiges Lachen seiner verfluchten Kehle, und er rief triumphierend:
„Hehehe! Dis is Afrrica, my frriend!“
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht