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Alte Luzi

Aber es hilft ja nichts.
Also begaben wir uns zum angedrohten Nationalmuseum, nicht dass ich eine sonderliche Neigung verspürt hätte, aber immerhin gab es dort den hölzernen Thron von Kaiser Haile Selassie zu bestaunen sowie die erhaltenen Knochen von Lucy, unserer augenscheinlich prähistorischen Vorfahrin.

Der Song von den Beatles geisterte und wurmte sich eine ganze Weile durch mein Ohr. Anscheinend lief der gerade im Camp, eben zu dem Zeitpunkt, da sie die ersten Überreste fanden damals in den Siebzigern: „Lucyy in the sky-y of dia-amonds…“

Ich weiß ja auch nicht, aber das wenige, was ich bis dahin vom alten Emperor gelesen hatte, schien mir nicht gerade vertrauenserweckend und angetan, ihn über alle Maßen zu preisen und praktisch heilig zu sprechen.

Freiheit

Als ich einen jungen Studenten, der mir ähnlich wie Balthasar’s Katze in den Straßen von Addis zugelaufen war, bei einer Runde „Tej“ (Honigwein; jedoch nicht so süß wie unser Met, eher herb und sauer, ein bisschen wie Most) fragte, warum denn die Jamaikaner so einen Terz um seine Person veranstalteten, da erzählte er mir eine kleine Anekdote:

Vor vielen Jahren einmal kam Haile Selassie aus seinem „Land der Freiheit“ zu Besuch nach Jamaika, und genau in dem Augenblick wohl fing es nach einer langen und harten Dürreperiode zu regnen an. Das war’s. Seitdem hat er bei denen einen Stein von der Größe eines kleinen Mondes im zugerauchten Brett.

Als ich ihn nach Charakter und Gebaren der bauwütigen Chinesen im Land der Freiheit befragte, meinte er nur: „The Chinese arre everrywhere – like oxygen.“
Das kann man jetzt auffassen wie man mag.

Umweg

Obwohl das Museum nicht sehr groß ist, befand ich mich noch immer in seinem Inneren, denn am meisten faszinierten mich die fantastischen Gemälde von einheimischen Künstlern im ersten Stock. Ein ums andre Mal blieb ich stehen, verlor und ließ mich einsaugen von den psychedelischen Farben und Formen der Kunstwerke.

Danach spazierten wir auf Umwegen eine ordentliche Marathonstrecke zum Khul Center und unterhielten uns lebhaft dabei; außer ein paar Schnappschüssen aus dem Augenwinkel bekam ich von meiner Umwelt nicht viel mit. Kurz machten wir Halt, um einen frisch gepressten Fruchtsaft zu trinken. Der war lecker, aber die haben da soviel Avocado rein, dass ich danach das Gefühl hatte, ein Wildschwein vertilgt zu haben.

Kollaps

Das Zeug ist ja mittlerweile voll der Shit, aber so reichhaltig und dick, dass man einen Strohhalm vom Durchmesser eines Weltraumfahrstuhls braucht, um es sich einzuverleiben. Hat man das schließlich geschafft, kommt man sich wirklich vor wie das Michelin-Manschgerl, mit einem Neutronenstern kurz vor dem Kollaps im Bauch.

Meine Beine schmerzten vernehmlich, als wir wieder einmal die Stufen in den neunten Stock erklommen. Gerade noch rechtzeitig schafften wir es zu Happys Yoga-Session, die meinen geschundenen Gliedern Linderung verschaffte.
Balthasar währenddessen schlich sich leise von dannen, kurz trafen sich unsere Blicke und wir nickten uns zum Abschied wissend und lächelnd zu.

Für die Sammlung

Nach einem astronomisch leckeren Abendessen (der Ruhm der äthiopischen Küche ist wahrlich gerechtfertigt), obwohl es in einem veganen Restaurant stattfand, fuhren wir abermals nach Hause, und abermals fiel ich satt und hundemüde auf mein bescheidenes Bett.

Ein kurzes Fazit an dieser Stelle:
In den ersten drei Tagen meines Aufenthaltes erhielt ich ein Zertifikat für die Teilnahme an einer zweitägigen Energieheilungsausbildung, hatte mich zweimal verliebt (namentlich in Heran sowie die schöne Sängerin Yohana, die am Workshop teilgenommen hatte) und bekam sogar die Telefonnummern meiner Angebeteten.

Mit Verlaub, kein schlechter Schnitt. Aber ein bisschen Angst hatte ich auch: nicht auszudenken, wenn das denn so weiterginge!

Hoffnung

Als ich am nächsten Morgen erwachte, wurde ich von Happys Haushaltshilfe begrüßt, die schon emsig am Putzen und Kochen war, er selbst war out and about.
Das scheint in Äthiopien recht normal zu sein, werden so doch bitter notwendige Jobs geschaffen. Wiederum: kann man sehen, wie man will.

Laut Angabe meines zugelaufenen Freundes vom andern Abend sind die Menschen dort zurzeit recht hoffnungsfroh, da der neue Präsident wohl tatsächlich mit einigen Altlasten aufzuräumen beginnt und sogar der Korruption ehrlich und aufrecht den Kampf angesagt hat. Seien wir gespannt, wie er sich schlagen wird. Wenn das stimmt allerdings, dann drück’ ich ihm auf jeden Fall alle Daumen, von mir aus, bis sie bluten.

Gotera

Mir zumindest war es recht, denn sie bescherte mir ein reichhaltiges Mittags-Injera, dieses Mal mit Reis und selbstverständlich der scharfen Schero-Soße.
Morgens gab es oft kein Wasser. Zu diesem Zweck hatte Happy eine große, rote Schüssel i
ns Bad gestellt, die er stets auffüllte, solange die Leitungen flossen. Trotzdem kann sowas die Morgentoilette schon einmal leicht verkomplizieren.

Aaah, endlich ein Tag gaaanz für mich allein.
Kurz erkundete ich meine zeitweilige Hood, bevor ich mich in ein sympathisches Café zum Schreiben setzte und drei „Bunna“ (traditioneller Kaffee oder Espresso vielmehr) für insgesamt fünfzig Euro-Cent vertilgte.

Erlösung

In den Straßen und Hinterhöfen starrten Satellitenschüsseln wie gläubige Heerscharen und mit ausgebreiteten Armen in den Himmel, als ob von dort die Erlösung käme. Auch hier reihten sich Bäume, Cafés, Bars und Restaurants aneinander; oftmals nur eine winzige Ladentheke mit ein paar bodenständigen Plastikhockern davor, die sich unter den Gehsteig duckte.

Überall köchelten graziös geschwungene Kannen mit Bunna oder „Schai“ (Tee) vor sich hin und luden zu einem frechen Seitensprung ein.
Am frühen Abend schlenderte ich zum Yoga und geriet in eine betörende Gegend, die im weichen Abendlicht der Sonne badete. Alle paar Meter musste ich stehenbleiben, um ein Bild aufzunehmen.

Spazieren

Recht belebt war es, viele Menschen kamen mir entgegen und grüßten freundlich: „Hey guy!“ oder schauten mich einfach nur verdattert an: „Was macht denn dieser sonderbar gekleidete ferenji in unserer Gegend?“

Sträucher und Bäume säumten die Straßen und Gässchen und verliehen dem schlichten Wellblechhütten-Ensemble einen tragisch-romantischen Pathos, während dahinter sich hohe Betonbunker erhoben und wie die zukünftigen Gerippe einer postapokalyptischen Welt die Sonne verdunkelten.

Die Yoga-Stunde war so schön, dass ich beinahe spontan in den Samadhi abgedriftet wäre; ein herrlich entspannter Tag neigte sich seinem süßen Ende.

Pathos

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