Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Wer ist geiler?…
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Ein wahrhaft krönender Abschluss einer ereignisgeladenen und eindrucksvollen Reise! Der Vollständigkeit halber besuchten wir an unserem letzten Tag die Verbotene Stadt und latschten über den „Tiananmen“-Square (Platz des Himmlischen Friedens, belagert von wütenden Studentenprotesten) mit seinen regimebedingten Protzbauten und Maos zu groß geratenem Passbild.
Das war alles schon ganz nett, aber wenn ich mich einmal umdrehte, sah ich auf breiten und freundlichen Bildschirmen eine Reklame für Tibet als attraktive Reisedestination…
Klar, für Chinesen ist das mit ziemlicher Sicherheit kein großes Ding, weil Tibet in deren Augen ja zu China gehört, aber völkerrechtlich gesehen natürlich der Gipfel der Perversion! Bei dem Anblick müsste sich jeder Aktivist aus heiligem Zorn umgehend in eine Atombombe verwandeln wie die Kamikaze-Lemminge in dem alten Computerspiel.
Abgesehen davon kann ich zu Beijing kaum etwas was sagen, weil zu mehr hatten wir keine Zeit mehr. Es fiel uns jedoch auf, dass dort sehr viele Elektroroller, E-Bikes und -Rikschas unterwegs waren.
Das ist natürlich höchste Eisenbahn und immer noch nur ein Tropfen auf das heiße Gebirge aus Lungenteer und Feinstaub, aber trotzdem könnten sich da unsere deutschen Radl- und Schießmichtot-Hauptstädte ein paar dicke Scheiben von abschneiden, ganz klar.
Der Müll wurde getrennt. Aber das war nicht schlimm, da wir spontan bezeugen konnten, wie ein Straßenarbeiter beide Kübel, Recycling wie Restmüll, geflissentlich in ein- und dieselbe Tonne kippte. Also keine Panik.
Übrigens, diese roten Lampen gibt es wirklich. Das ist also nicht nur Pseudo-Kitsch für leichtgläubige und ignorante Westler, wie ich immer vermutet hatte; die meinen das ernst!
Die alte Palastanlage hatte mich nicht wirklich von den Socken gehauen, leider. Das lag aber vielleicht auch daran, dass das Ende der Reise in Sicht war und wir zudem noch ziemlich ausgepumpt waren von der Wanderung. Dementsprechend ging unsere Motivation im Wald Pilze suchen.
Sie war eh schön, die klassischen, antiken Häuserln, was waren das, Studierzimmer, Konkubinenunterkünfte, Home Office, Empfangszimmer und Umkleidekabinen für den bescheidenen Gottgleichen, so Sachen halt.
Diese waren meist in Rot und Grün gehalten, ich bin doch farbenblind!, aber dafür mit gelben Dachziegeln und im Allgemeinen übelst grell verziert, aber nach den ersten zehn Gebäuden wiederholt sich fast alles, und man wird palastblind.
Bis auf den kaiserlichen Garten, der war cool.
Die zahlreichen Gebäude im royalen Dorf werden nunmehr und vorzugsweise als Ausstellungsräume verwendet und ähneln damit unseren europäischen Palastmuseen, nur dass dort nicht alles in einem überblähten Ego aus Ziegeln und Mörtel untergebracht ist, sondern eben in einer kleinen, ummauerten Stadt in der Stadt.
Die Dächer sind mehr gebogen, alles erscheint etwas bunter, und es gibt mehr Drachen.
Und natürlich Massenvieh-Treibjagden. Jesses. Ich hatte vergessen, wie schlimm sowas ist. Ich sah mich wie ein angsterfülltes und entsetzt fiepsendes Mäuschen auf einer Autobahn, als ich den kläglichen Versuch unternahm, den kapperltragenden Weitsicht-Zombies auszuweichen. Ganz schrecklich.
Denn die eigentliche Attraktion war nicht der Palast, sondern – ich.
Gefühlte unzählige Male musste ich für die kümmerwüchsigen Asiaten den nordischen Hünen posen. Meine coole Sonnenbrille und das bunte Hippie-Kopftuch machten meine fotogene Freakigkeit wohl perfekt. – Drucksendes Kichern: „Sänkyuuuuu!“ –
Na bitte. Bekomme ich am Ende sogar noch ein bisschen Aufmerksamkeit und kann gestärkt und gebläht die Heimreise antreten.
Ja Mensch, aber was mach ich jetzt mit den ganzen Schienen unter meinen Haxen? Hm. Eins ist mal sicher: Ich würde es jeder Zeit niemals wieder tun.
Ein Zeitbudget von sechs Wochen klingt zwar nicht wenig, aber letztendlich kann es für eine dermaßen weite Strecke und unser fast schon naiv vollgestopftes Programm, das wir armen Trotteln uns gesteckt hatten, nie und nimmer ausreichen.
In Wirklichkeit ist der Begriff „Zeitbudget“ schon grundverkehrt und gehört geächtet.
Ich denke, es ist nicht vermessen zu sagen, dass wir an viel zu vielen Tagen völlig kaputt in unsere Betten klatschten und dabei der Ohnmacht näher waren als ein Hollywood-Starlet auf Benzedrin: zu wenig Leerlauf zum Runterkommen und Verarbeiten der Eindrücke.
Obwohl ich mir doch vor drei Jahren schon hoch und heilig geschworen hatte, keine derart lächerlichen und überzogen Gewaltakte mehr zu unternehmen!
Vernehmt daher meinen Spruch:
Hiermit erneuere ich vor dieser Eurer aller Augen meinen vornehmen Eid für das Wohl und Wehe meiner armen, kleinen Menschenseele.
Auf dass ich ihn bei der nächsten sich bietenden Gelegenheiten sofort wieder brechen möge, denn ich bin ein Schlingel und ein Tunichtgut. Aber keine Sorge, das ist meist nur gegen mich selbst gerichtet und quasi eine Autoimmun-Charakterschwäche.
Wenn ich einem aber raten sollte, dann würde ich für eine Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn mindestens drei, besser vier, fünf, viele Monate veranschlagen. Aber gut, dieses Mal ging es halt nicht anders.
Ich bin einfach auch kein Länder-Hopper. In zwei Wochen durch ein Land hindurch zu rauschen wird und all seine drolligen Facetten nur im Vorbeifliegen zu erhaschen wird wohl nie mein Stil sein.
Vor dieser Reise hatte ich es mehr geahnt, aber jetzt weiß ich es:
Ich möchte in einem Land SEIN, ein Gefühl dafür kriegen, ein bisserl was von den Menschen und ihrer Sprache aufschnappen wenns geht und einfach möglichst viel davon sehen. Und dazu brauche ich mehr als nur ein paar Wochen.
…Scheiße, bin ich dekadent geworden. – Sorry Leute, mir ist klar, dass das für jemanden mit einem Durchschnittsjob den gesamten Jahresurlaub darstellen oder gar übersteigen mag und ich so schon verdammt glücklich schätzen kann.
Was soll ich sagen. Ich denke aber nicht, dass ich deswegen ein schlechtes Gewissen haben sollte, sondern vielleicht eher eine Gesellschaft, die sie es sich nicht leisten oder zulassen will, möglichst vielen, allen! Menschen zumindest die Gelegenheit dazu zu eröffnen, sie vielmehr in ein Hamsterrad sperrt zum Wohle eines größenwahnsinnigen Wachstums oder was man dafür halten mag.
Und wenn jetzt wieder jemand daher kommt mit einem unüberlegten und ekelhaft negativen „Des-würd-doch-eh-ned-funktionieren-mememeh…“, der möge doch bitte einmal die Große Mauer von China abgehen und mir das Gleiche danach nochmal ins Gesicht sagen, ohne vor hochroter Scham dabei zu verdampfen!
…Doch. Doch, ich würde genau dieselbe Reise unter genau den gleichen Bedingungen immer wieder antreten. Denn all die Erfahrungen und Erlebnisse, drüben in der Datscha oder gemütlich im Sattel, die ruhigen Stunden im Zugabteil und die prachtvollen oben auf der Lauer will ich nie-nie-nie-nie missen wollen.
Das wäre jetzt ein guter Schlusspunkt gewesen, nicht? – Verdammt.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht