Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Wann wird Überdruss…
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Doch irgendwann einmal ruft die Leuchtreklame einen jeden Pilger wieder zu sich zurück.
Zurzeit schwankte ich zwischen Müdigkeit und latenter Aggressivität, die jederzeit dazu bereit schien, aus ihrem stinkenden Kerker auszubrechen und über die Welt herzufallen, sowie einer schrecklichen Seligkeit, die mir fast noch mehr Angst einjagte.
Auf der Rückfahrt nach Mekelle fand so etwas wie ein Radrennen statt. Nur, die fuhren in beide Richtungen! Ahaa. Vielleicht war das auch nur Training. Aber dann ging mir ein Licht auf, als wir einige dieser strammen Athleten überholten. Weil die, die uns entgegen kamen, waren in der Tat allesamt Burschen, aber die, die in unsere Richtung unterwegs waren, das waren alles Mädels.
Ich konnte das sehen, weil unter den feschen und windschnittigen Helmen lugten ihre kunst- und prachtvollen Zöpfe hervor.
Vielleicht ist das ja so ähnlich wie mit den Kircheneingängen.
Mekelle hieß also die letzte Station vor meiner herangaloppierenden Rückreise in weißere Gefilde. Von den meisten Reisenden wird sie nur als Durchgangsbasis genutzt auf dem Weg in die Danakil-Senke, dem heißesten Ort der Erde (Was zur Hölle soll ich da?), nach Axum oder zu den berühmten Felsenkirchen in der Tigray-Region.
Die hätte ich mir ja schon noch gerne angeschaut, aber die Tour-Preise (und anders war es mir zu dem Zeitpunkt leider nicht mehr möglich, sowohl emotional als auch raumzeitlich schlicht und einfach) in der Region waren so dermaßen absurd und übertrieben, dass ich mich vor Schreck beinahe einmal von außen nach innen gestülpt hätte, so ähnlich wie die Schildkröten in den Cartoons. Keiner schöner Anblick wäre das.
Mit Ach und Krach hatte ich einen netten jungen Herren per whatsapp auf siebzig Dollar inklusive tripadvisor-Werbung heruntergehandelt, um an einer Gruppen-Tagestour teilnehmen zu dürfen. Siebzig Washingtons! Am Anfang wollte der sogar neunzig, der alte Schlawiner.
Oh, sicher hätte ich den Preis noch drücken können, indem ich auf eigene Faust in Minibussen und über anstrengende Schotterpisten bis zu den Kirchen vorgedrungen wäre, aber ich bin doch nicht bescheuert (siehe oben).
Nein, im Ernst, ich war zu müde – hundemüde – zu ausgepumpt und leergefegt, zu fett und gleichzeitig diesem ganzen Stress und Hazzle mit geiernden Locals von Herzen überdrüssig, als dass ich jene letzte Anstrengung noch hätte unternehmen wollen.
Lieber wäre ich in ein Fitnessstudio auf einen Proteinshake gegangen, und das sagt und besiegelt alles.
Ja, ich hätte fast diese blöde Tour gebucht zefix, so weit war ich an dem Punkt.
Aber ganz ehrlich, soviel Zaster, nur um auf zwei Hügel mit zwei alten Klöstern zu klettern, die hübsch bemalt und deswegen kulturell sind?
Zugegeben: mich an einem ausfranselnden Seil eine prekäre Felswand hoch zu hangeln hätte sicherlich einen Heidenspaß gemacht, insofern ich das psychisch überstanden hätte,… aber trotzdem.
Siebzig Dollar? Zum Vergleich, ein Tagestrip zu Ludwigs berühmten bayrischen Märchenschlössern kostet geraade eben so fünfzig Euro – das ist sogar noch BILLIGER!!
Das passt also hinten und vorne nicht.
Gott sei Dank kam am Ende zahlenmäßig gar keine Tour zustande, denn Mekelle war reizender, als ich es mir vorgestellt hatte (obschon ich bei meiner ersten Durchfahrt schon so eine Ahnung in die Richtung ahnte.)
Ja, ich war aus tiefster Seele froh, dass ich mehr Zeit in der Stadt wie auch für mich hatte, denn sie vollbrachte etwas, zu dem bis dahin kein einziger Ort in Äthiopien, nicht Awassa und nicht Awra Amba, imstande gewesen war:
Mekelle rührte mein Herz. …In seiner tiefsten Tiefe.
Ich fühlte mich dort, grundlos und unbändig, so richtig wohl. Der Vibe in den quirligen Straßen pulsierte angenehm und wohlgefällig durch meinen Körper und schien mich an irgendetwas zu erinnern.
Aha, daher weht also der Wind. Vielleicht lag in der Tat ein kleines Stückerl Asien in der Luft, das meine neu-gierig schnuppernden Nüstern da umspielte: die Gebäude, die Reklamen, die Geschäfte, die sich dicht aneinander drängten, wie um sich gegenseitig zu wärmen, da war was… Da waberte etwas, dass mir unendlich süß und vertraut erschien, sagen wir es so.
Also tat ich, was ich immer tat. Ich kundschaftete Gassen und Winkel aus, um ein Gefühl für das Leben an diesem heimeligen Ort zu bekommen.
Zum Beispiel gab es in Mekelle ganze Straßenzüge, die sich samt und sonders mit meinen heiß und unvernünftig geliebten Straßencafés schmückten unter dem Schatten ausladender Bäume und ihren bunten Blüten.
Ich kann schlecht sagen, ob es noch mehr waren als in Axum, weil dort lagen sie einem lockerer Sternhaufen gleich über die Stadt verstreut, während sie mir in dem Viertel von Mekelle eher wie an einer Perlenkette aufgereiht erschienen und eine Art Kaffeestraße bildeten – ohne Milch.
In der Konsequenz kann es also schon ein paar Stunden dauern, um die dreihundert Meter zurückzulegen, vorausgesetzt, man hält das unverwandte Starren der Einheimischen aus, das, ähnlich einem entarteten Röntgenstrahl, sogar dazu in der Lage wäre, einen ganzen Planeten aus Blei zu penetrieren wie Luke Skywalkers Lichtschwert eine Schwarzwälder Kirschtorte.
Nicht dass ich das jemals versucht hätte. …Mei, es ist halt so schwer, diesen Kristall da richtig herum reinzufieseln. –- Wie? Ja genau.
An einem großen Kreisverkehr gab es am Eingang zu einer adretten Palmenallee, in der nur und ausschließlich Klamotten und Handyzubehör verkauft wurden (echt jetzt), da gab es das „Blue Café“, dessen lang gezogener Balkon im ersten Stock meinen weltfahrerischen Ausguck und ersten Brückenkopf bildete.
„Wal, da bläst er!“ (Ich hatte mir am vergangenen Abend „Moby Dick“ angeschaut. Fantastischer Film, zieht Euch die Rede des Pfarrers am Anfang rein, da läuft es Euch kalt und warm über die Gänsehaut.)
A propos Gänse. Sagt mal. Das fällt mir jetzt erst auf! Es gibt in äthiopischen Städten kaum Bullen! Also schon, ab und an fährt mal ein Laster vorbei, der stark nach Massentierhaltung schmeckt, oder man sieht einen Uniformierten leger zum Bunna-Häuserl schlendern, aber ich glaube, ich habe in den ganzen drei Monaten tatsächlich keinen einzigen Streifenpolizisten gesehen!
Kann das sein? Oder verstecken die sich?
Spielen Räuber und Gendarm, so ganz altmodisch.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht