Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Die Nacht verändert…
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Obwohl die kurzen Regenfälle, ähnlich unseren Sommergewittern, in den letzten Wochen immer mehr zunahmen und regelmäßiger wurden, präsentierten sich weite Teile des Landes noch immer so trocken wie ein verbissener Abstinenzler.
Immerhin, ein paar vereinsamte Flussbetten führten bereits ein dünnes Rinnsal frischen Bergwassers, das im Licht der aufgehenden Sonne frech und verspielt glitzerte.
Aus den Höhen des Tigre führte mich mein Weg an der Seite meines sonderbaren Sitznachbarn hinunter in die dürre Ebene, die das Tor in den weiten und mysteriösen Osten Äthiopiens darstellte.
Rechts der Straße dräute der dunkle Schutzwall der Amhara-Berge und verwehrte unangemeldeten Eindringlingen seit jeher den Zutritt in dieses natürlich geschützte Gebiet. Linker Hand erstreckte sich die karge Ödnis von Afar und bildete einen Kontrast, der krasser und (im Wortsinn) unverblümter nicht hätte sein können.
Struppige Kinder in bunten und zerschlissenen Fetzen hüteten souverän die ihnen anvertrauten Ziegenherden, die im Dornengestrüpp nach essbarem Grün suchten. Kamele und Esel taten es ihnen gleich – oder waren das doch Dromedare?
Die Viecher hatten nur einen Höcker, und ich verwechsle die immer.
Egal, die Locals nennen sie jedenfalls „camel“, baca.
Mit Stern und Halbmond der schlanken Minarette, die mir nach Osten hin zahlreicher als irgendwo sonst in Äthiopien erschienen, mochte diese Region mithin auch das Tor ins mittlere und ferne Asien sein, was vor allem von den Männern in jenem Landstrich unterstrichen wurde, da viele von ihnen Sarongs trugen. Den amharischen Namen dafür hab’ ich schon wieder vergessen.
Das alles war mir zu dem Zeitpunkt freilich nicht mehr neu, nur hatte ich es bisher noch nicht erwähnt. Aber eine Überraschung hielt Äthiopien noch für mich bereit.
Vom Seitenfenster aus erspähte ich in der Ferne und selbstverständlich jenseits der Zoom-Skills meiner Kamera einige Straußen!
Nanu! Gibt es die hier auch? Ob es sich dabei tatsächlich um frei lebende oder eher Zuchttiere handelte, konnte ich aus der Entfernung nicht sagen.
Ach, so ein Blödsinn! Selbst wenn ich daneben gestanden hätte, hätte ich den Unterschied nicht erkennen können: was versteh’ ich schon von Straußen.
Mit dem Sonderling neben mir wechselte ich während der gesamten Zeit kaum ein Wort, was aber vor allem daran lag, dass er nur wenig Englisch konnte. Im Prinzip war der auch ganz höflich, aber den -in seinen Augen- schlimmen Fahrtwind konnte das sensible und wohlgekämmte Bürschlein kaum ertragen, was mich folgerichtig in meinen fotografischen Exzessen erheblich einschränkte und mir seine Gesellschaft etwas verleidete.
Dennoch sprang ich über meinen Schatten und bot ihm einen Keks mit schmackhafter Dattelfüllung an, aber selbst den verschmähte er.
In Awash machten wir kurz Halt, wo es in der Tat gesünder war, eine Zigarette zu rauchen als die Wüstenpatina einzuatmen, in die sich am Ende vielleicht doch noch ein paar Sauerstoffmoleküle verirrt hatten.
Alsdann wandten wir uns für das letzte Stück nach Westen in die äthiopische Hauptstadt; die Fahrt steckte mir mittlerweile ansehnlich in den Knochen, denn bis dahin waren wir bereits an die zwölf Stunden unterwegs.
Obwohl die Straße stetig besser wurde, kamen wir deutlich langsamer voran, da die Hauptader von träge sich dahinschleppenden Sattelschleppern und Trucks wie von einem Infarkt verstopft wurde und der Busfahrer immer wieder warten musste, bis er zu seinen ohnehin haarsträubenden Überholmanövern ansetzen konnte.
Ein uns entgegenkommender Minibus war da ein bisschen zu ungeduldig und waghalsig, denn er touchierte uns tatsächlich, so dass alle Insassen bei uns vor Schreck zusammenfuhren und der Minibus selbst im Straßengraben landete. Gott sei Dank ist keinem von denen was passiert; unser Bus bekam dagegen kaum einen Kratzer ab.
Dieser lähmende Umstand änderte sich erst auf dem monumentalen Expressway zwischen Adama und Addis, wo wir im Sonnenuntergang schnell und ungehindert dahinbrausten. Trotzdem schafften wir es nicht vor Einbruch der Dunkelheit bis zum Meskel Square in der Stadtmitte, so dass ich mir für die letzten hundert Meter zur Selam Pension aus Sicherheitsgründen und zähneknirschend ein Taxi nehmen musste.
Das war auch gut so, denn kurz nach dem Aussteigen merkte ich schon, wie ich von einer jungen, zwielichtigen Gestalt in zerfledderten Klamotten aufmerksam beäugt wurde wie Gollum, wenn er leichte Beute wittert.
Es war schon spät, als ich endlich eincheckte, und ich hatte großen Hunger. Deshalb warf ich nur mein Zeug neben das Bett in meiner dunklen Kammer schlurfte und in eine kleine Restaurant-Bar auf der anderen Seite des Dembel-Kreisverkehrs, in dessen Nähe sich ja auch das Khul-Center von Happy befand. Immer strategisch denken.
Dort wurde ich von einem strammen Samstagsalkoholiker empfangen, der in der sanften Brise vernehmlich schwankte. Er bot mir einen Schluck aus seiner beachtlichen Whiskeyflasche an, na herrlich.
Ich hätte gut und gerne kehrt machen und woanders hingehen können, aber dazu war ich zu müde, zu faul und zu unbeweglich in meinem zermatschten Hirn, das während den Stunden auf der Straße ordentlich gegrillt worden war. Selbst schuld, denn ein in der Schwärze der Nacht funkelnder Ferenji-Diamant war selbstverständlich ein gefundenes Fressen für den Verwatschki.
Also hatte ich ihn erst einmal an der Backe.
Obwohl es mit Ansage war und ich es kommen sah, verzweifelte ich ob meines Schicksals wie Jesus am Kreuz in seinem Moment des Zweifels, da er Gott, seinen Vater anklagte, und ich lamentierte vor mich hin wie ein verhätscheltes Kleinkind, so dass mich der Barkeeper ganz besorgt anschaute.
Der Wankelhuber konnte es unterdessen nicht verwinden, dass ich bloß ein Tourist sei, und wiederholte die gleiche Frage solange und mit der Geduld eines rotierenden Erdtrabanten, bis ich schließlich zerknirscht und klein gemahlen zugab, dass ich in Wirklichkeit ja doch für das Peace Corps arbeitete.
Da leuchteten seine aufgeschwemmten Äuglein aber, und er zog umgehend sowie ordentlich vom Leder, dass er ja jahrelang selber bei dem Verein gewesen sei – aha, deswegen – und wollte wissen, wer denn zurzeit der Chef sei.
Dass ich das nicht aus dem Stegreif wusste, das fand er allerdings dann doch komisch, beäugte mich von Dreiviertel Elf aus misstrauisch und verzog sich leise murmelnd nach draußen. Es folgten einige kurze Momente des Friedens, und endlich kam auch das Essen.
Ich schlang das Bündel Spaghetti mit der Geschwindigkeit eines Industriestaubsaugers ratzeputz in mich hinein, zahlte und nichts wie weg in meine Bude, um das Geschehene schnellstmöglich aus meinem Bewusstsein zu meditieren:
Es lässt sich schneller ausradieren, solange es noch frisch ist.
Scheiße Mann, wer braucht denn sowas nach einer stundenlangen Knochenfahrt? In solchen Momenten kann mir Murphy echt den Buckel runter rutschen, das sag’ ich Euch. Das ist einfach nicht mehr lustig!
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Bitte umblättern: Nichts wie weg…
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht