Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Korritown…
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Dagegen war der Tag davor das volle Kontrastprogramm. Da saßen wir noch alle einträchtig und mit den Gedanken in Watte vor meiner Bude, die einen rauchten inwendig Gras, Robel, Kim, Samera und ich kauten genüsslich Chat, eine andere Form von Gras.
Ich hatte ja bereits kurz erwähnt, dass es sich dabei um das endemische Pendant zu den berühmten Coca-Blättern in Südamerika handelt, nur dass es in diesem Fall frisch und nicht getrocknet zermahlen und hernach irgendwo zwischen Zahnfleisch und Mundschleimhaut deponiert wird, auf dass es seine Wirkung tue.
Sie schmeckten bitter und nach Chlorophyll, wie man es von Blättern wohl erwarten mag. Beim Kauen von Coca hatte ich nie groß was gespürt, aber beim Chat war das ganz anders, himmelweit sozusagen. Vielleicht lag es auch zum Teil daran, dass ich sie adäquat dosiert zu mir nahm, da mir Robel wie ein Trainer regelmäßig ein neues Büschel in die Hand drückte, wenn er die Zeit dazu gekommen sah.
Währenddessen bastelte ich eifrig an meinem Blog-Text oder unterhielt mich äußerst angeregt mit meinen Chat-Partnern über äthiopische Geschichte und Philosophie oder was wir alle dafür hielten.
Ich würde sagen, ich war jetzt nicht high high, aber zweifellos auf Touren und so wach wie noch nie nach meiner Geburt. Ich empfand tiefe Ruhe und eine absolute, diamantene Klarheit in meinem Geist wie die eines spiegelglatten Gebirgssees, so dass ich meinte, meine Persönlichkeit wäre mir gar abhanden gekommen!
Zur gleichen Zeit flutschten meine Finger ohne mein Zutun über die Tasten, aufgeregt schnalzte ich mit der Zunge, als ich schon wieder eine Eingebung hatte, die die Anderen UNBEDINGT! hören mussten. Das Schicksal der Welt hing davon ab, auf jeden Fall.
Selbst während der anschließenden Energiearbeit fiel es mir so leicht wie nie zuvor, mich zu fokussieren. Kein Wunder, die Studenten in Äthiopien werden allesamt abhängig von dem Zeug.
Das war das. Und dann war es auch wieder an der Zeit, meinen alten Rucksack-Veteranen auf die Schultern zu wuchten. Kim war weg, wohin genau, das weiß keiner, nicht einmal der Dalai Lama, auf jeden Fall weg. Kitacho und Natascha fuhren nach Shashamane, da die Rasta-Community mit einem Musikfestival Bob Marley’s Geburtstag feierte am darauf folgenden Samstag.
Das klang ganz schmausig, und da außer Robel, Elvis und mir eh niemand mehr da war, beschlossen wir letzteren Zwei, da auch mal hinzufahren.
Aber die Vibes dort taugten mir immer noch nicht; immerhin schnackte ich kurz mit einem älteren Jamaikaner in seinem gewollten Exil, und es war schön, wieder einmal dem weichen und eigenartigen Karibik-Slang zu lauschen.
Also huschte ich flugs weiter zu meinem nächsten Etappenziel Dodolla. Selbst Elvis war so gelangweilt dort, dass er sich spontan dazu entschloss, mich für einen Tag zu begleiten.
Und glaubt es oder nicht, aber kaum saßen wir im Minibus, gingen schon wieder die Preisverhandlungen los. Alter! Dieses Mal wollten sie nur doppelt so viel. Ja, himmelherrgottsakrament! – Und wieso? Na, weil der Bus angeblich exklusiv und ausschließlich ohne Zwischenhalt nach Robe fahren täte, was ja allgemein bekannt sei.
Dass wir von Anfang an klar dargelegt hatten, dass wir nach Dodolla und nur nach Dodolla wollten, das störte den damischen Fahrer nicht im geringsten, der stritt das lässig ab. Klar, why not. Arschgeige.
Nach viel Terz und wieder einmal sinnlosen Pulsanstiegen handelten wir schlussendlich den korrekten Preis aus im Falle, dass in Dodolla jemand anderes zustieg. Was sowieso kein Problem war und im übrigen auch vollkommen GANG UND GÄBE war auf der Strecke. WIE ÜBERALL, ZEFIX!!
Aber man kann es ja mal versuchen. Quadratspfosten, echt. Jedes andere Mal muss man sich so ein Gezeter und durchgequirlten Dünnpfiff reinziehen, und das nervt langsam kolossal!
Leute, ich sag’s Euch, fahrt lieber die Luxusliner, weil die kosten am Ende kaum mehr als diese Stressschubsen. Zumindest, was die Nerven angeht.
Ne? Man geht ins Office, hallo selam, Ticket, ja, wieviel?, ach so, so billig?, easy und baca! Finish, Thema gschwätzt. Keine Diskussion, kein Nachverhandeln, und man bekommt sogar Wasser und Snacks umsonst; von der Beinfreiheit will ich gar nicht reden.
Im Ernst, in dem Fall scheiß’ ich auf Authentizität und Bodenständigkeit. Pah!
Leider fahren die aber nicht überall hin, sondern bedienen quasi nur die Hauptrouten zwischen Addis und den größeren Städten.
Aber alles wieder gut, am Ende stiegen wir wohlbehalten und unabgezockt in Dodolla aus, und das war die Hauptsache.
Wenigstens hat’s nicht lang gedauert. Der Spast ist ja dermaßen über die Piste gedonnert, dass es einem die Gesichtshaut um den Hinterkopf gewickelt hat. Jesses!
Himmel, ich check’s ja. Die Leute dort sind arm und gezeichnet von vergangenen Hungersnöten, das fräst sich tief ein in die DNS. Meine gute Oma weiß da auch einige traurige Lieder zu singen, wie es war nach dem Krieg.
Kein Wunder, die greifen sich alles, was geht. Aber weißt, grade die Typen, die so dermaßen dreist versuchen, Dich zu verarschen, grade die sehen jetzt nicht eben so aus, als würden sie gleich in die Tischkante beißen.
Wie immer, wie überall, wenn es anfängt, zu menscheln.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht