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Breit

Ach ja, SIM-Karte kaufen. Also machte ich mich kurz vor Acht auf und die breite Churchill Avenue hinunter zum Büro der ethio telecom. Mittlerweile wuselte die Stadt behende im Staub der Trockenzeit, der von den müde und schräg einfallenden Sonnenstrahlen in heller Flucht verraten wurde.

Es grämt mich, aber ich komme leider nicht umhin, meinen ersten Eindruck der viereinhalb Millionen-Metropole mit dem Begriff „schäbig“ zu titulieren. Die ganze Straße wirkte wie eine vergessene Baustelle, wie ein gescheitertes Experiment menschlichen Strebens. Ich fühlte mich pudelwohl.

Pudel

Aber vielleicht lassen sie sich auch einfach nur Zeit. Ja, vielleicht sind sie deswegen sieben Jahre hinten dran. Aber das scheint die Leute dort freilich nicht zu stören, ein paar mehr Birr oder ein gscheiter Schlafsack wäre so manchem Einwohner wohl um ein Vielfaches lieber.

Noch zehn Minuten vor Öffnung wurde ich von einem überaus sympathischen und hilfsbereiten ethiotel-Mitarbeiter empfangen. Während er alles für meinen Anschluss an das höhere Bewusstsein mobiler Erreichbarkeit vorbereitete, plauderten wir angeregt und lachend.

Fluten

Kaum eine halbe Stunde später war ich stolzer Besitzer einer inländischen Telefonnummer sowie zwei Gigabyte Datenvolumen für den unendlichen Gedankenozean des Internets.

So. Frühstück. Hierzu begab ich mich ins historische Gebäude von Addis Abeba‘s ältestem Hotelhaudegen und verzehrte auf dessen sonnendurchfluteter Terrasse ein typsiches Touristen-Müsli, bestehend aus Omelett, Toast, Marmelade und, wie fast überall, etwas zu wenig Butter.

Die kampferprobten Holzdielen des „Itegue Taitu“ knarzten vernehmlich, als ich seinen durchaus herrschaftlichen Eingangsbereich durchschritt. Die hohen Decken schienen sich in der kühnen Vorstellungskraft des angehenden 20. Jahrhunderts zu verlieren, während livrierte Bedienstete um aufreizend gedeckte Tische huschten.

Vergessen

Was konnte mich jetzt noch aufhalten?
Nun, mithin mein mir eigener Unwillen zu jegweder Fortbewegung, doch dieser wurde von Happy’s Anruf jäh aus seinen seichten Träumen gerissen. „Happy“ war tatsächlich der Name meines Gastgebers; seinen richtigen Namen vergaß ich sogleich wieder, da ihn eh keiner benutzte. War es Joftahe? Jofteha?

Auf jeden Fall stammt er aus der Bibel, soviel weiß ich noch. Also der Name, nicht Happy.
Fakt Numero Deux, meine Damen, Herren und sehr verehrten Freaks, ich befand mich nunmehr im zweitältesten christlichen Land der Welt nach Armenien, weit weit weg von Rom und irgendwelchen Zwetschgenmanschgerln in lila Kutten und einem ausgeprägt frommen Minderwertigkeitskomplex.

Khul

Am Telefon lotste er mich in einen Minibus, der mich ins Nobelviertel „Bole“ bringen sollte, das tatsächlich etwas weniger abgefuckt wirkte als der Rest des Höllenkessels auf 2.300m Höhe. Die Hochhäuser hatten weniger Löcher und die Leuchtreklamen hingen einigermaßen senkrecht.

Ich übertreibe natürlich, aber viel schien tatsächlich nicht übrig zu sein von der „Neuen Blume“ Addis Abeba‘s, die eigenhändig von der damaligen Kaiserin gegründet wurde. Weil es hier so schön ist. War. Mit der Zeit welkt eben alles dahin, da braucht man sich nicht weiter zu stören.

Im neunten Stock eines dieser präapokalyptischen Klötze befand sich das „Khul Holistic Development Center“, das von Happy ins Leben gerufen wurde, tatsächlich gar nicht weit weg vom „Bole International Airport“. Teh.

Spiegelreflex

Von da oben konnte man ihn beinahe sehen. Ja, mir war, als konnte ich von fern meinen närrischen Kameraden Murphy erkennen. Er winkte mir vom Flughafen aus zu und versicherte mir auch auf dieser Reise seine ungeteilte und unmissverständliche Aufmerksamkeit.
Wie schön.

Gott sei Dank funktionierte der Fahrstuhl.
Das sage ich nicht von ungefähr, denn viele weitere Male, wenn ich ins Center ging, durfte ich die sanften Stufen des Treppenhauses eingehend kennenlernen.
Immerhin, von da oben hatte man eine grandiose Aussicht über jenes Kaff in Äthiopien’s Mitte, das in der blätternden Patina der Mittagshitze vor sich hin briet.

Hipper Zynismus

Auch das Loft war noch eine halbe Baustelle, doch rund um eine opulente Ebenholztafel versammelte sich eine ganz ausgezeichnete Schar junger Local-Hipsters und -Hippies, mitten unter ihnen mein bedreadlockter Host, der viel kleiner und schmächtiger war, als ich ihn mir vorgestellt hatte.

Den Vorsitz hatte eine motivierte, dynamische und irritierend zuversichtliche Amerikanerin, die einen Workshop bezüglich erfolgreicher Kommunikationsstrategien hielt.

Himmelherrgott. Muss das jetzt sein? Ich hab’ noch nicht mal geduscht!
Erschöpft ließ ich mich in einen modernen Bürostuhl fallen und versuchte, mir meinen Zynismus nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

Aber ihre offenen und vom Fleck weg liebenswerten Gesichter schlossen bald mein Herz auf und ehe ich mich’s versah, hielt ich einen Stift in Händen und überlegte verbissen, was denn für mich die tragenden Säulen einer erfolgreichen und gewinnbringenden Art der Interaktion mit meinen Mitmenschen seien.
Ich hatte fast 30 Stunden nicht geschlafen bis zu jenem Zeitpunkt.

 

Neue Blume

Ewige Baustelle

Alter Chic

 

 

 

 

 

 

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