Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Harte Drinks…
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Regelrecht verliebt hatte ich mich jedoch in das märchenhaft wie verzauberte Kaff Katha mit seinen wundervoll durchlebten Hexenhäuschen aus dunklem Holz, den baumbestandenen Marktstraßen und seinen herzzerreißend lieben Menschen am Ufer des jugendlichen und doch bereits majestätischen Ayeyarwaddy-Flusses, der Birma ziemlich in der Mitte von Nord nach Süd zerteilt.
Die Überleitung war jetzt auch eher so mäh, halbgar, oder? Ja, naja, halb so schlimm.
Nur zwei Tage verbrachten wir dort, aber ich hätte locker zwei Wochen, zwei Monate, zwei Jahre oder mein ganzes Leben dort verbringen können. Im Eden-Café sitzen, Milchtee und Kaffee trinken, mich von gebratenen Nudeln oder Reis mit augenwässernd leckerem Chicken- oder Fischcurry ernähren und das Leben an mir vorbeiziehen lassen.
Es war in Katha, wo George Orwell 1927 für ein halbes Jahr als Polizeibeamter stationiert war und zu seinem ersten Buch „Burmese Days“ inspiriert wurde.
Wir besichtigten sein ehemaliges Wohnhaus, heutzutage Heimstatt des örtlichen Polizeichefs, sowie weitere Schauplätze, um die sich die kolonialkritische Geschichte dreht: den „Tinnis“platz, die St. Paul’s Church oder zum Beispiel das alte Clubhaus der Engländer.
Manche Intellektuelle nennen Orwell auch „den Propheten“, weil er dem Land ihrer Ansicht nach nicht nur dieses eine Buch gewidmet hatte, sondern mit „Animal Farm“ und „1984“ darüberhinaus einen seherischen Ausblick auf die diktatorische Ära Burmas eröffnete und damit „unbewusst“ so eine Art Trilogie schuf. Ha.
Gut, andererseits hätte man das Buch dann auch „World Days“ nennen können…
Aber zurück zu essenzielleren Dingen. Es gefiel mir wirklich ungemein, an der Straßenkreuzung vor dem Restaurant unserer gleichnamigen Bleibe zu sitzen und mich durch sein Buch in die Vergangenheit von Katha versetzen zu lassen. Dazwischen sah ich immer wieder einmal hoch und hüpfte zurück in die Gegenwart…
…Unmittelbar vor mir cruisen Burschen mit stylischen Frisuren auf ihren Mopeds umeinander, und ein Trishaw-Taxi fährt eine Gruppe Frauen mit diesen herrlich fotogenen Spitzhüten zur Arbeit, während Dorfschönheiten in bunten Longyis über die staubbedeckte Straße flanieren.
Im Hintergrund erinnerten mich die schreienden Gitarren von Myanmar’s angesagtester Rock-Cover-Band „Iron Cross“ hart an meine verwirrende Teenager-Zeit.
Ein alter Herr transportiert in der zunehmenden Mittagshitze, ganz gemächlich, mit seiner „hsaika“-Rikscha (aus dem Englischen: side car) einige Tontöpfe und überholt eine junge traumwandelnde Mama auf ihrem Nachhauseweg, mit einer kiloschweren -und dabei offenen- Reistüte auf dem Kopf sowie einem Kind auf dem Arm.
Wie eine Hochseilartistin, so kam es mir vor, grüßt sie im Vorbeigehen eine sonnengegerbte Alte mit Strohhut, die über einer Schulter zwei Gemüsekörbe an einer Stange befestigt zum Markt schleppt…
Sie alle zeichneten das Bild, das seit Jahrzehnten, vielleicht sogar seit der Zeit Orwells den Alltag im Norden Birmas prägt. Nur der alte Bodhi-Baum gegenüber schien sich wenig für das Treiben und die hitzige Diskussion zwischen Mönchen und ein paar Moped-Taxlern unter seinem Dach zu interessieren. Er döste lieber träge die Zeitalter dahin unter der duldsam sengenden Sonne.
In einem dieser wahnsinnig leckeren Restaurants, wo man zusätzlich zu den bestellten noch so viele andere Beilagen serviert bekommt, dass man allein aus Platzgründen eine ritterliche Tafelrunde bräuchte, sang eine hübsche Bedienung mit bittersüßer Stimme ein Lied, während sie etwas Wasser in den dampfenden Reiskocher nachgoß.
Mein Inneres fühlte sich ebenfalls an wie ein weinender Wasserfall.
Etwas später unterhielt sie sich im gleichen Singsang mit ihrer Mutter, so dass ich während des Essens unentwegt schmunzeln musste, weil es sich so sympathisch und lustig anhörte.
Ja, und warum nicht? Ich könnte mir doch ein – selbstverständlich hinreißendes – einheimisches Mädel anlachen, den Bullen aus Orwells Haus schmeißen, selber dort einziehen und mit ihr zusammen glücklich und zufrieden alt werden.
Auf meinem täglichen Pilgerweg ins Café unterhalte ich mich – selbstverständlich fließend – mit den Locals in ihrer Muttersprache, wir sind inzwischen alte Freunde, und sie nennen mich Mr. To.
Vielleicht verwirre ich zum Zeitvertreib naive Touristen und treibe meinen Schabernack mit ihnen, oder ich spiele Chillong mit den Jungs. – Das wäre bei weitem nicht der mieseste Plan, den ich bisher in meinem Leben hatte. Und darüber hinaus ein immens geiler Ponyhof.
…Ach, wenn ich doch nur nicht so ein verfluchter und hoffnungloser Romantiker wär!
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht