Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Liberté, Egalité…
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Immerhin, sogar ein einfaches, aber tadelloses und pieksauberes Guest House haben sie sich gebaut mit kleinen Einsiedlerzellen aus Lehm, die süß verziert waren mit Zeichnungen und Kunstwerken der ansässigen Kinder.
In einer von denen fand ich für demütige drei Euro die Nacht Unterschlupf, und es verfügte über das wohl einzige Moskitonetz in der Dritten Welt ohne (zumindest großflächigere) Löcher, das die ganze Zeit über hübsch zusammengefaltet über meinem Bett hing.
Alles das stand unter den pflichtbewussten Fittichen der immerzu scheu lächelnden T’iru Ager („gutes Land“ oder „guter Boden“), die sich aufopfernd und in Windeseile um meine Bedürfnisse kümmerte.
Es gab zuverlässig Strom und fließend Wasser aus einem 140 Meter tiefen Brunnen sowie eine fast zuverlässige Internetverbindung. Sogar an eine Schnur haben sie gedacht zum Klamotten aufhängen! Ein untrügliches Zeichen von Um- und Weitsicht in der zwielichtigen Hotelbranche, und DAS! war bisweilen einzigartig in diesem Land.
Zugegeben, die Dübel der Handtuchstange fielen jammernd aus der Wand, als ich sie vom Winkel her anatmete, aber hey! Ein Tag hat auch nur 24 Stunden.
An der ordnungsgemäßen Benutzung der gemeinschaftlichen Männertoilette
müssen sie zudem noch feilen.
Denn manche Testosteronschleudern scheinen in einer Klobrille eher noch eine zusätzliche Herausforderung zu sehen, die Schüssel trotzdem im Stehendpinkeln zu treffen. Ganz ähnlich, wie wenn man beim Sport in der Art und Weise einer methodischen Reihe das Ziel immer weiter verkleinert, um die Zielkünste der Athleten zu verfeinern und auszuarbeiten.
Bis dahin allerdings hatten sie auf ganzer „Linie“ versagt, so dass ich beschloss, die misshandelte Sitzgelegenheit doch nicht mit irgendeinem Teil meines Körpers, sei es der physische oder etwa der energetische, zu berühren.
Das ebenfalls günstige Restaurant lag gleich daneben, …also neben dem Guest House, und ich war dermaßen beglückt und erfreut, dass ich mich sogleich niedersetzte, eine Kanne Kaffee bestellte und den Rest des Tages gar nichts mehr machte.
Tatsächlich trank ich in meiner Hybris soviel Kaffee, dass ich anfing, real oder eingebildet, unter Herzrhythmusstörungen zu leiden.
Schon wähnte ich mich die Tage mutterseelenallein mit Andacht und Meditation zu verbringen (was zum großen Teil durchaus zutraf), doch gesellte sich kurze Zeit später eine dermaßen bodenständige Israelin zu mir, dass es mir so vorkam, als ob sie sich wie ein Zwerg aus „Der Hobbit“ durch die Welt zu bewegen schien.
Echt jetzt? Muss ich mich jetzt zu allem Überdruss auch noch unterhalten? –
Scheiße. Vorbei war es mit dem Frieden und der Einsamkeit. Als ich etwas später erfahren musste, dass weder Ful noch Beyeynet auf der Speisekarte standen, stand ich praktisch am Rande der Verzweiflung, die ihrerseits eben einen Nervenzusammenbruch erlitt.
Quel malheure, ooh, cettes grandes misères!! Wer kann mir helfen, was soll ich nur tun??
Wenigstens gab es Pfannkuchen mit selbstgemachtem Honig. Und, hey! Habt Ihr schon mal Erdnusstee getrunken? Hab’ ich tatsächlich noch nirgendwo gesehen auf der Welt! Schmeckt im Prinzip wie Erdnussbutter, nur flüssig und heiß. Wenn man drauf steht, ziemlich geil. – Ich muss sagen, ich steh’ drauf; schmeckt ziemlich geil.
Wenn ich etwas tat in jenen zart und seicht dahin fließenden Tagen und Stunden, so arbeitete ich an meinem Blog und an meiner Seele – die sich mit der Zeit einander immer mehr annähern möchten, wie mir scheint.
Das Gefühl, wenn ich mich um acht Uhr in der Früh frisch geduscht und durchgedehnt in die Laube vor meinem zeitweiligen Heim setzte und das Licht der munter aufgehenden Sonne sanft prickelnd durch die Blätter strich, während ich frohen Herzens auf meine Pfannkuchen wartete…
…In dem Moment nahm ich also mein Buch zur Hand und folgte Jim und Huck auf ihrer denkwürdigen Floßfahrt, während die trüben Gewässer des mächtigen Mississippi die beiden in immer neue Abenteuer wälzten und sich dabei wie flüssiges Quecksilber im Mondlicht spiegelten.
Nur das emsige Klackern der Webstühle nebenan in der wohl schönsten Fabrik der Welt drangen an mein Ohr, denn um die Zeit nahm auch Weberei ihre Arbeit auf.
Untermalt wurde ihr Geschäft von einem verwirrenden Konzert bunter und vielgestaltiger Vogelstimmen; eine Taube scharrte geräuschvoll mit ihren Krallenfüßen über das Wellblechdach der Laube.
Endlich kommt das Frühstück! Doch ich wahrte meine Contenance und nahm mir einen Moment der Andacht Zeit, bevor ich einen Löffel von dem kräftigen, goldenen Honig nahm und ihn dick und weit auf meinem Pfannkuchen verteilte, so dass der durch die Wärme des Teigs flüssig gewordene Saft durch alle Poren drang, wenn ich ihn langsam und weihevoll zusammenrollte.
Alsdann biss ich genüsslich gurrend hinein und ließ die süße Mélange an meinem Gaumen zergehen, während in meiner anderen Hand Huckleberry Finn und sein entflohener Nigger-Kumpel soeben verzweifelt versuchten, einem schnaufenden Raddampfer auszuweichen.
Vor mir dampfte mittlerweile eine Kanne randvoll mit köstlichem Kaffee, ich freue mich schon darauf. Leute kamen und gingen ins Restaurant, denn dort gab es einen Fernseher, der niemals ausgemacht wurde und aus dem die Dorfbewohner sich mit den neuesten Nachrichten oder vielmehr den letzten Fußballergebnissen der Premier League versorgten.
Ja, selten nur wurde jener Frieden, der mich gläsern umhüllte wie eine verstopfte Sanduhr, durch ein verirrtes Bajaj unterbrochen, welches hurtig seines Weges zog. An manchen Tagen hielt sogar ein Truck prustend vor der Einfahrt, um Baumwolle und Synthetikfasern für die Weberei zu liefern.
Dann wurden eilig prall platzende Säcke hin- und hergeschleppt, die Fabrik sandte ihrerseits ihre fertigen Produkte in die Welt. Einige Kinder tollten feixend und lachend hinterher, wenn sie nicht in der Schule oder im Kindergarten verräumt waren.
Für die Tour-Gruppen war ich der hippieske und verklärte Quotengast, das Aushängeschild und Maskottchen von Awra Amba, das zu allen Zeiten vergeistigt aus der Wäsche guckte und ihnen schmerzhaft vor Augen führte, wie wunderbar schön und beschaulich dieser Ort doch war.
Was mir im übrigen nicht weiter schwerfiel.
In Wirklichkeit bereitete es mir kein geringes Vergnügen, in ihre leicht fassungslosen und im Gegenzug entgeisterten, doch zugleich von einer insgeheimen, neidischen Ehrfurcht durchzogenen Visagen zu grinsen.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht