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Colectivo-Fahrten machen mehr Spaß als welche mit diesen schrecklich komfortablen ADO-Bussen.
Ich fühle mich dann, als ob ich mehr… hier, oder hier mehr bin, enger mit dem Land verbunden. Wenn ich in einem ADO sitze, dann ist es so, als ob ich mich mit einer stumpfen Klinge rasiere. Es erscheint vielleicht ungefährlicher und weniger schmerzhaft, aber es ist auch relativ sinnlos, denn der Bart ist nach wie vor da.
Und es ist entschieden günstiger. Zum ersten Mal habe ich es also geschafft, nicht erster Klasse von einer Stadt zur nächsten zu reisen. Zwar musste ich einmal umsteigen, doch bekam ich dadurch die Gelegenheit, an einem Straßenstand auf einem Hocker zu sitzen, bodenständige Tacos zu essen und ein paar Floskeln mit der sympathischen Verkäuferin zu wechseln und eine zu rauchen, bevor der Fahrer zu viele Hummeln im Arsch hatte.
Entspannt und beschwingt erreichte ich das vielbesungene San Cristóbal de las Casas, lebhafter Knotenpunkt für Reisende aus Oaxaca, Yucatán und Guatemala.
Ich finde es ja einigermaßen seltsam, eine Stadt „von den Häusern“ zu benennen… Ich meine, würde ich durch ein Land reisen, in dem ausschließlich Nomadenvölker lebten, so würde eine derartige Bezeichnung für mich einen gewissen Sinn ergeben, aber hier…
Nun, es wird sicher einen Grund geben. Und man muss ja nicht alles wissen.
(In Wirklichkeit weiß ich es mittlerweile, aber der Grund für die Namensgebung ist so deprimierend banal und öde, dass ich es vorziehe, es bei letztem Absatz zu belassen. Der gefällt mir wesentlich besser.)
Ähnlich wie Shiraz in Iran liegt die Stadt wohlig eingebettet in einem Talkessel, der von dicht bewaldeten Berghängen bekränzt wird und sich noch immer auf schnaufenden 2.000 Metern Höhe befindet. Da liegt es natürlich nur nahe, da hochzudackeln, aber hierzu später. Mit ihren an die 250.000 Einwohnern ist sie auch gar nicht so klein und zudem großzügig weitläufig. Die Vororte kriechen beharrlich die Berghänge hinauf und liefern sich eine ewige Schlacht mit den Laub- und Nadelwäldern, die dieses Land zuerst eroberten.
Ähnlich wie in Valladolid war das Hostel meiner Wahl ausgebucht, also verfolgte ich mit Erfolg die gleiche Strategie: Zunächst übernachtete ich drei Nächte im cool abgefuckten „Deja Vu“ und reservierte danach im gemütlicheren, braveren und besser ausgestatteten „La Isla“.
Man muss nämlich verstehen, dass ziemlich viele von den vielen Hostels hier von der Ausstattung her fast gleich erscheinen: Gebetsfahnen, Ganeshas, quasi-spirituelle Sprüche und Malereien an den Wänden, esoterischer Schnickschnack, Yoga- und Origami-Workshops, das Ganze mit free wifi und brekkie, und wenn man Glück hat, erwartet einen am Abend ein prasselndes Kaminfeuer.
Da mir Murphy stets ein treuer und unterhaltsamer Weggefährte war, erschien es nur angemessen, dass ich die kältesten Tage meines doch recht ausgiebigen Aufenthaltes in San Cristóbal in einer der wenigen Bleiben zubrachte, in der es weder Kamin geschweige denn eine Heizung gab, hot shower nur morgens bis elf, herzlichen Dank.
Der arme Rezeptionist saß direkt gegenüber dem Hauseingang in Jacke und Handschuhen und versuchte zusätzliche Wärme zu erzeugen, indem er heftig und ausdauernd mit den Beinen wippte.
Das ist das Lustige in dieser Gegend: obwohl die Temperaturen vor allem am Abend doch mal Richtung Null marschieren können und es ab und an sogar mal schneit, scheinen die ansässigen Leute von Wandisolierung und geschlossenen Türen wenig zu halten.
Wieso? Es ist doch viel interessanter, wenn man seinen Löffel Suppe oder die Tasse Kaffee mit zitternden Händen und bebenden Lippen genießen kann. Das gibt dem vielschichtigen Hergang der Nahrungsaufnahme eine gewisse Würze und Ungewissheit.
Herrschaft, es war tatsächlich eklig kalt und deprimierend wolkig am ersten Wochenende, die Strafe* für meine süffisanten Ausschweifungen zuvor.
*Ein derartiges Konzept gibt es natürlich nicht. Vor allem nicht unter Anhängern der New 21st Century Full HD Metaphysics 8.0, digitally reincarnated und remastered, wie ich es bin. Man spricht an dieser Stelle vielmehr vom synchronistisch kichernden Ursache-Wirkungs-Prinzip, wenn ich Carl Jung richtig interpretiere; frei liebend nach Alan Watts und Douglas Adams.
Dennoch hatte ich mit ihm, dem Rezeptionisten, ich nenne ihn mal Pedro, sowie Laura aus Kolumbien und… Hmhm aus Argentinien viel Spaß am ersten Abend. Wir unterhielten uns leidlich sinnierend-philosophierend auf Spanglish und schauten uns einen fantastischen und zauberhaften Film an, „La Belle Verte“, eine französische Produktion, aber trotzdem geil. Ich habe kaum ein Wort verstanden, doch allein schon die Bilder und die Reaktionen der drei Latinos bekräftigten mein schillerndes Urteil.
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Wo ein Wille, da auch ein Pedro, .. Laura hin oder her!
Es ist immer gut, einen Pedro zu haben.