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Massenproduktion

Ja, und ehe wir‘s uns recht versahen, war der Tag gekommen, an dem es ernst wurde.
In einer Gemeindehalle mussten wir uns für die Bergarbeiter-Konferenz eintragen im Rahmen der sogenannten „Akkreditierung“ (Nicht nur Prabaker und ich rümpften über diesem Ausdruck die Nase.) und bekamen ein Bändchen mit einer feschen Eintrittskarte umgehängt. Dann endlich -„Sorry sir, selpie?“- konnte ich -„Excuse me, just one snap.“-zum Mittag-„Sir-“ „JETZT SCHLEICHST DI ABER!!“- zum Essen gehen, für das der Reis in monumentalen Eisentöpfen über prasselndem Herdfeuer gegart wurde.

Seltener Anblick

Dann wurde das Ereignis faustschüttelnd, bannerbewehrt, parolensingend und trotz schwärender Hitze feste marschierend eingeläutet in einer Hunderte Meter langen Prozession durch die Innenstadt von Gondolari zum Gelände, wo anschließend die Kundgebung stattfinden sollte.

Als Andarion‘s Schatten durfte ich in der ersten Reihe der rot betuchten und rote Flaggen schwenkenden Demonstration marschieren und all die faszinierten, erstaunten, beglückten, lachenden und scheckernden Gesichter der Passanten, viele mit ihren kleinen Kindern auf dem Arm, genüsslich in mich aufsaugen, während von hinten das tief schwingende „Glück auf!“ des deutschen Bergarbeiterliedes an mein übersteuertes Ohr drang.

What is happening?

Die Leuten klatschten und winkten uns wohlwollend zu, als die bunt verwürfelte Schlange an ihnen vorbei zog. Zum ersten Mal wurde mir das Ausmaß bewusst, das diese scheinbar wenig beachtete Veranstaltung auf diese Region zeitigte, und ließ mir die Brust schwellen, damit mein aufgehendes Herz auch weiterhin darin Platz fand.
Es war wirklich schön, all den Menschen hier zeigen zu können: Leute, Ihr seid nicht allein!

Reden

Die Kundgebung an sich war recht langweilig bis auf die Tatsache, dass ich Andarion ab und an mit einigen komplizierten Begriffen aushelfen musste, während er auf Englisch tapfer und schwitzend seine Rede als Hauptkorodierer vor der versammelten Menge hielt. Es folgten unablässig und scheinbar im Kreis babbelnde Funktionäre und Würdenträger, deren Telugu aus Zeitgründen nicht übersetzt werden konnte, sonst säßen wir heute noch dort.

Genial

Doch gab es zu Beginn und zwischendurch einige nette und erfrischende Tanzaufführungen, die imstande waren, die einsetzende Langeweile und Müdigkeit der Teilnehmer für kurze Zeit zu durchbrechen.

Besonders eine dieser Gruppen erfreute und bezauberte mich, da sie am Ende ihrer Aufführung eine menschliche Pyramide bildeten, an der zwei junge Mädchen hinauf kletterten, um eine Flagge zu schwenken und ihre Fäuste drohend gen Himmel zu recken; wie eherne Sowjet-Statuen balancierten sie gekonnt auf den starken Rücken ihrer Genossen.
Es war perfekt choreographiert, wunderschön, erhebend, und ich verliebte mich spontan in sie beide.

Verliebt

Das passiert mir hier relativ leicht. Im Restaurant, wo wir tagtäglich unsere Schleimhaut schmelzenden Curries und Masalas verzehrten, gab es Ramia, mit der ich zu Beginn viel Kontakt hatte, da ich zu jener Zeit der einzige war, der ihr indisches Englisch verstehen konnte.

Unsere zart keimende Beziehung erlitt jedoch einen jähen Rückschlag, als ich mitansehen musste, wie sie eines Tages ganz nonchalant ihre Tochter mit ins Restaurant brachte.
Frechheit! Was müssen die sich hier auch so früh verheiraten? Himmel, dafür ist doch genug Zeit, vor allem in Indien!

Keine Panik

Das war übrigens auch sowas, woran die deutschen Teilnehmer sich nur schwerlich gewöhnen konnten: die berüchtigte und verworrene Zeitzone der „Indian Time“.
Es verlangt durchaus nach einem beherzten Sprung ins blaue Vertrauen, dass eh alles funktioniert und irgendwie vonstatten gehen wird, nur halt reichlich später und vielleicht nicht so, wie man sich das vorgestellt hat.

Nebenbuhler

Wer sich in Toleranz und Geduld üben und an seinem Ego arbeiten möchte, braucht dazu keinen Klingglöckchen zimbelnden Ashram, sondern man muss sich nur auf die Menschen hier einlassen können, das reicht dicke.

Nun gut, zurück zu dem etwas ungehobelten und unsensiblen Auftreten meiner jüngsten Lebensgefährtin.
Ich bin ja ein moderner Mensch und weiß mit der Zeit zu gehen, aber wenn mir jemand in mein Revier spuckt, dann gehen auch bei mir die Lichter aus, bei aller Liebe gell?
Es tut mir sehr leid, und ich tu mein Bestes, aber mein Nebenbuhler samt seinem frechen Auswurf musste leider verschwinden.

Umdenken

Ich schmiedete bereits ausgefeilte Mordpläne und unterbreitete sie Ramia bei Kerzenlicht und klassischer Musik, aber sie schien trotz dem gefühlvollen Ambiente etwas vor den Kopf gestoßen und mied mich daraufhin beharrlich. Als ich ihre Mutter nach Ramia‘s Verbleib fragte, beschied sie mir, dass sie wieder nach Allahmabad fahren musste, um angeblich ihrer Arbeit im Kundendienst von Spice Airlines nachzugehen.

Glück auf!

Was für eine billige Ausrede! Und was soll ich bitteschön jetzt machen? Ich meine, alle Vorbereitungen für unsere geschmackvolle Hochzeit waren bereits getroffen; ich hatte traditionsgemäß den ganzen Bundesstaat dazu eingeladen!
Weiber.

Naja, immerhin waren die Hochzeitsvorbereitungen nicht völlig umsonst, denn wir verfrachteten die geladenen Gäste spontan auf die Konferenz, um mit uns gemeinsam die Hochzeit aller Bergarbeiter dieser Welt zu feiern.
Und der Blitz soll mich treffen, wenn das nicht die volle Wa-zzzzt.

Mist. Entschuldigung! – Hallo? Hat zufällig jemand Besen und Schaufel bei der Hand? … Nein, ich bin hier unten. Herzlichen Dank. … Immer das gleiche.

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