Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Handelsstrategien…
———————————————–
Ja, die Simien Mountains lockten mich nun aber ganz gehörig!
Während meines letzten Besuchs auf der Terrasse des Naky bat ich den Tana-See still, dass er auch weiterhin gut auf die ihm anvertrauten Seelen aufpassen möge und verabschiedete mich im Innern von diesem friedlichen Ort hinter der lauten Fassade.
Zyniker mögen das Pferd andersherum aufzäumen, aber grade darum geht es ja.
Jeder von uns wirft einen Blick aus seiner oder ihrer höchst eigenen und damit einzigartigen Perspektive auf den schimmernden Kristall dieser Welt.
Mit dem erstbesten Minibus verließ ich Bahir Dar am nächsten Morgen in Richtung Gondar.
Da wollte ich eigentlich gar nicht so gern hin, weil es Balthasar dort scheiße fand, aber wer weiß, was mein Blickwinkel dazu sagen wird am Ende.
Bauern pflügten mit ihren Ochsen die hektisch abgeernteten Felder, um sie für die nächste Aussaat bereit zu machen. Andere trieben sie im Kreise, um das gesammelte Korn zu dreschen.
Türen aus neuem Wellblech blitzten fresh im Sonnenlicht, andere wiederum taten das nicht, da der Rost bereits dort eingezogen war.
Ein saftig grüner Teppich bedeckte nun eindeutig die bereits ausführlich beschriebene Landschaft, allerdings nur solange, bis wir abermals durch eine ansehnliche Bergkette haarnadelten. Unwirkliche Felsnadeln zogen wie Zähne von Riesen, die ihrerseits an der Zeit nagten, an mir vorbei, und ich tauchte wieder einmal hinab in einen flirrenden Kosmos aus Bildern und brennenden Augen.
Danach regierte wieder strohgelbe Erde mit nur wenigen grünen Tupfen und lief sich in eine der eher seltenen Ebenen aus, bevor sich erneut stolze Hügelwände vor mir auftürmten. Die Schuluniformen in jener Gegend waren beige und geflickt wie der Boden dieses ausgedörrten Landes.
In deren Hänge eingebettet lag die Stadt Gondar, auf den ersten (und auch auf den zweiten) Blick ein recht unscheinbares und willkürliches Beispiel dicht gedrängten Zusammenlebens.
Mitten in ihrem emsigen Herzen jedoch verbarg sich ein bröckelndes Juwel, denn im 17. Jahrhundert erwählte Kaiser Fasiladas Gondar zu seiner Hauptstadt, da sie praktisch an der Kreuzung dreier wichtiger Handelsrouten gelegen war. Und dort baute er auch seinen beeindruckenden Palast.
Der war jetzt vielleicht nicht so beeindruckend wie Neuschwanstein oder Minas Tirith, aber seine mächtigen Mauern, hohen Zinnen sowie die eigentümlichen Ecktürme mit ihren runden Hauben aus roh behauenem Stein entführten mich geschmeidig in ein längst vergessenes Alter mit einem Hauch vom fantastischen Morgenland.
In der Tat flossen beim Bau dieser weiten Anlage nicht nur regionale, sondern zudem portugiesische, indische und auch maurische Stilelemente mit ein. Ein seltener Anblick in diesem Land und dafür umso erfrischender und kostbarer.
Im imposanten Hauptpalast, den man leider nicht bis ganz oben erklimmen durfte, prangte ein fast vollständig verwitterter Davidstern über der Empfangshalle, Zeugnis und Symbol von Fasiladas’ enger Verbindung zur salomonischen Dynastie.
In den ummauerten Burgfrieden kuschelten sich allerdings gleich mehrere Paläste, weil die nachkommenden Herrscher wie so oft gar nicht viel vom Geschmack ihres Vorgängers hielten.
Mei, in München haben sie die Residenz ständig wieder umgebaut deswegen, in Gondar machten sie sich die Mühe nicht einmal, sondern ließen die alten Gerippe einfach stehen; why not.
Des weiteren gab es eine Bibliothek, die von den Italienern wenig originalgetreu und doch ansehnlich verputzt wurde sowie das Kaiserliche Archiv. Wenn ich mir das alles noch mit Elfenbein und Blattgold verziert vorstelle, dann überkommt mich schon ein kalter Schauer der Ehrfurcht und des Unglaubens ob solcher Verschwendung.
Für die intrigant höfische Unterhaltung sorgten zahlreiche Bankettsäle, zwei Häuser mit Löwenkäfigen, ein Dampfbad mit Zisterne sowie ein türkisches Hamam, um die Hautkrankheit eines jener Nachfolger zu behandeln.
Ob die etwa auch von Inzucht gelebt haben da? Möglich wär’s.
Wohin ich mich auch begab, selbst vom Klo aus ergaben sich immer neue und aufregende Winkel für Aufnahmen – wo wir wieder bei Perspektiven wären.
Eine Weile setzte ich mich unter einen einladenden Baum mit ausladendem Geäst, ruhte meine müden Knochen aus und sog die magische Atmosphäre dieses Ortes in mich auf, dessen altehrwürdige Gebäude sich in verschiedenen Stadien der Zersetzung befanden.
Sie nennen es liebevoll das afrikanische Camelot, gar nicht so schlecht. Aber ich hab’s mir dann überlegt, der Fernsehempfang war doch zu schlecht.
Also watschelte ich zurück zu einem Ort, der mir auf dem Hinweg bereits verschworen zugeblinzelt hatte im Vorbeigehen.
Durch eine hohe Glastür, von rustikalem, dunkelbraunem Holz umrandet, trat ich ein… durch einen eckigen Windfang trat ich ein… in ein waschechtes Kaffeehaus!
Fullblown breitete sich das „Abyssinia Café“ vor mir aus, komplett mit Spiegelwänden, Holzvertäfelungen, niedlichen Kerzenleuchterlein sowie einer Säule in der Mitte des himmelsstrebenden Raumes vor einer opulenten und herrschaftlichen Bar.
Alte Männer saßen auf Chromstühlen, deren Lehnen und Sitzflächen mit Holzimitat laminiert waren. Leider nippten sie nicht versonnen an ihrem Espresso, sondern schütteten ein spätes Nachtmittagsbier in sich hinein, was meine Entrücktheit tatsächlich etwas schmälerte. – Aber immerhin!
Für die Echtheit des Stils musste ich dann eben sorgen und bestellte mir einen Makyiato, zog mein dickes, nach vergilbtem Papier riechendes Buch heraus und fühlte mich wie transportiert ins altgemütliche Münchner Mariandl an einem frostig frischen Oktobertag.
Na, so übel war Gondar doch gar nicht. Auch die Locals in den Bergen dort schienen ähnlich entspannt drauf zu sein wie das Seevolk. Für einen ausgedehnten Zwischenstopp reichte es allemal. Allerdings wurde es dort am Abend merklich kühler, denn ich befand mich mittlerweile auf 2.300 Metern über dem Meeresspiegel.
Im Bad tropfte leise der Wasserhahn, mehr war aus ihm auch nicht herauszuholen. Von draußen schallten die nächtlichen Geräusche der angeheiterten Müßiggänger an mein Ohr, im Nebenzimmer schaute jemand lautstark fern und war wahrscheinlich trotzdem dabei eingeschlafen. Begleitet vom allabendlichen Heulkonzert der Straßenköter schlief ich schließlich ein.
————————-
Bitte umblättern: Drachen, Veganer…
(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht