Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Wider Haken…
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Jene Wanderung, welche sich heimtückisch mit der anschließenden Knochenfahrt durch das Simien-Gebirge gegen mich verschwor, steckte mir auch nach einem erholsamen Schlaf noch heftig in den Gliedern.
Wie ein arg durchgedrücktes und zu lange gekochtes Spätzle erhob ich mich zäh und schmatzend aus der dicken, klebrigen Bratensoße meines King Size-Bettes, robbte einem verkaterten Faultier mit Migräne gleich schlurfend in Richtung Dusche und hinterließ dabei einen schimmernden Schleim aus unausgegorenen und abgetriebenen Gedankenfetzen meines bleiernen Halbschlafs.
Nachdem ich mich gefühlte acht Stunden später in der gewohnten Manier mit Yoga, Ful und Kaffee hinreichend ausreichend vermenschlicht hatte, befand ich mich zudem als einigermaßen aufnahmefähig und funktionstüchtig, wenn auch sicherheitshalber noch im Energiesparmodus: „Ultra Stamina“.
Zumindest einen Brückentag wollte ich mir in Gondar daher gönnen, zumal ich zu jenem Zeitpunkt nicht wusste, ob ich weiter in Richtung Norden nach Axum fahren, oder zuerst der alternativen Community von Awra Amba in der Nähe des Tana-Sees einen Besuch abstatten sollte.
Mei, zur Not würde ich auch noch einen Tag länger bleiben. Gondar war jetzt zwar kein Flecken, an dem ich allzu lange verharren wollte, aber die Stadt verströmte eine entspannte und ausgelassene, beinah vorwitzige Atmosphäre, ohne jetzt zu nerven. Bis auf den einen oder anderen High Noon-Besoffski wurde ich tatsächlich in Ruhe gelassen.
Ich denke, auf dem Weg zu den Simiens kommen da einfach zu viele Touristen durch, als dass die Locals noch groß den Kopf und ihre Contenance darüber verlören wie andern Ortes.
Zusammen mit Ian und Aseni besuchte ich die alte „Debre Birhan Selassie“-Kirche, die eine ähnliche Architektur aus grob behauenen Steinen aufwies wie der Palast und adrett auf einem Hügel lag.
Was Sinn macht, denn sie ist etwa um die gleiche Zeit (17. Jhd.) entstanden.
Das Gotteshaus war umgeben von einem hübschen, sonnendurchfluteten Park, den, ebenfalls wie das Königsareal, eine wehrhafte Mauer umgab und in dem einige weiß berobte Gläubige ihre inwendigen Gebete verrichteten.
Noch war das Innere verschlossen, doch der Priester, in dessen dunklen Augen ein verschmitzter Schimmer funkelte, öffnete alsbald die alten, knarrenden Holzpforten und gewährte uns Einlass: Männer von Westen, Damen von Süden und am Abend davor, wenn es geht, keinen Sex bitteschön.
Nach und nach öffnete er knarzend Fenster und Türen, um das Sonnenlicht hinein zu lassen; ich wusste nicht, ob es die Einrichtung war, die da wie ein kosmischer Mahlstein über sein Gegenstück knirschte oder seine Gelenke. Vielleicht beides.
Davor war es zappenduster da drin. Vor lauter Schreck stob die Staubschicht, die das Innere der Kirche wie eine pulvrige Innenhaut überzog, in einem lautlosen Urknall auseinander und floh den Schatten hinterher wie ein bebendes Wolfsjunges seinem Rudel. — Oder? Das machen Wolfsjungen doch. Bestimmt.
Und plötzlich! schlug mir eine Flut aus Farben und Formen entgegen.
Wie es in dem Land Tradition zu sein scheint, waren die Innenwände der Kirche vollständig ausgemalt mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament.
Beinahe comichaft erzählten sie aus den Leben von Maria und Jesus und rühmten die Taten ihrer Heiligen, allen voran ritt stolz der große Sankt Georg mit seinem funkelnden Speer, Richter und Nemesis aller Drachen.
Über dem Altar schwebten drei weißbehaarte, identische Gesichter: Symbol der alten Trinität und dahingehend ein vielsagendes Bild, denn in den Augen der Einheimischen gibt es im Grunde keinen Unterschied zwischen den verschiedenen Aspekten des Einen Schöpfers.
Von der Decke blickten uns Engelsscharen entgegen, sieben in jeder Reihe, und in ihren Augen lag ein liebevoller und auch ein trauriger Ausdruck, wie von Mitleid und Anteilnahme für unser leidgeprüftes, irdisches Schicksal.
Das ungleiche Paar, das sich in Lalibela getroffen hatte (und hoffentlich am Abend davor keinen Sex hatte), prüfte dieses noch ein bisserl länger und spazierte anschließend weiter zum Schloss, während ich mich flugs zum Busbahnhof begab.
Ich wollte mich über etwaige Abfahrtszeiten erkundigen, bevor ich mich in den Spiegelsaal des Kaffeehauses begab, um Fotos zu sichten. Den hatte ich ja schon ein wenig vermisst.
Über den Tag schien sich denn auch Stück für Stück ein innerer Pfad vor mir aufzutun, der sich überdies durch eine anschließende Energiemeditation klärte und festigte und letzten Endes durch Ian besiegelt wurde, als wir uns zum Abendessen trafen.
Die beiden hatten nämlich „durch Zufall“ einen Minibus nach Bahir Dar buchen können, der sie nicht nur direkt am L-Shape abholte, sondern sogar noch etwas günstiger war als der, den ich in die Gegenrichtung genommen hatte.
Anscheinend kam sie mit dem Kellner eines Restaurants darüber ins Gespräch, der daraufhin sogleich seinen Cousin-Schwager-Beistellkumpel herbei holte, damit er ihnen seine bescheidenen Dienste anbot.
So läuft das.
Ja, und da Awra Amba praktisch auf dem Wege lag, zögerte ich also nicht länger und sprang hurtig auf den vorbeihuschenden Straßenzug. Alea iacta est, woaßt scho.
Das war auch gut so, denn ein Tag mehr in Gondar wäre mir zwar durchaus möglich, aber jetzt nicht unbedingt notwendig gewesen. Außerdem war die Fahrt dorthin viel kürzer als ins ferne Axum nahe der Nordgrenze zu Eritrea, und das passte mir äußerst vorzüglich in den Kram.
Bevor wir schnellschnell ins Bett hüpften (fünf Uhr Abfahrt keine Widerrede!) trafen wir uns noch mit Abraham zum Abendessen, der soeben seiner ganz privaten Vorhölle entronnen war und dringend ein Bier brauchte.
Staunend und teilnahmsvoll lauschten wir dem Bericht seiner denkwürdigen Odyssee…
Sodann verabschiedeten wir uns ein zweites Mal von unserem sympathischen Bergführer und verkrochen uns für ein paar wenige Stunden unter unsere jeweiligen Decken.
In schwarzer Finsternis bestiegen wir denn am nächsten Morgen unser Vehikel mit einigen Gestalten darin, die sich noch dunkler vor dem unheimlichen und gesichtslosen Hintergrund der still schlummernden Welt abzeichneten…
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht