Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Mentale Triggerpunktmassage…
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Die Nächte unterschieden sich deutlich vom geruhsamen Tagesgeschehen, wenn ich auch weiterhin umher streunte zwischen den unterschiedlichen Bühnen mit ihrem frenetischen Elektrospektakel sowie einigen stillen Momenten am schamanischen Lagerfeuer.
Ich kann sehr gut verstehen, dass viele Menschen von derartiger Musik abgestoßen werden wie ein hyperaktiver Flummi vom Erdboden und aus Angst vor spontanem Innenohr-Meltdown das Weite suchen. Sie ist laut, schnell, dröhnend aggressiv und je nach Talent des DJ‘s recht schnell eintönig. Deswegen sind hier ja auch alle druff wie ein Komet kurz vor dem Einschlag. Mushrooms, LSD, Koks, alles was das Herz begehrt und Dein Farbenspektrum in die zwölfte Dimension donnert.
Doch auch ich werde mitgerissen von dem hämmernden, stampfenden Beat und den immer neuen Eskapaden unseres Hohepriesters mit Kopfhörern in seinem Tempel aus Licht- und Laserkaleidoskopen. Wenn man nicht schon mit etwas Nachhilfe trippt, die hypnotisierende Umgebung des Dancefloors reicht dazu allemal.
Ich spüre, wie mein Selbst immer mehr in den Hintergrund tritt und mein Körper sich wie von allein zum treibenden Rhythmus bewegt. Meine Arme und Hände malen Runen, Hieroglyphen und scheinbar sinnlose Muster in die Luft wie zwei sich windende Schlangen im unaufhörlichen Tanz der Gegensätze, mal explosionsartig, mal wie in Zeitlupe, doch mit einer Präzision, die in der Lage ist, Welten zu erschaffen; die aus dem Leben selbst stammt.
Ich war hingerissen und verzaubert von den tanzenden Artisten vor der Stage, die sich mit einem Grad an Vervollkommnung und erotischer Anmut bewegten, dass mir die Spucke wegblieb. Alle Bewegungen waren haarfein aufeinander abgestimmt, alles floss perfekt ineinander, auch der kleinste Muskel zuckte in heiliger Synchronisation mit allen anderen, ohne jeden Gedanken, ohne Zweifel, ohne Anstrengung.
Schaut Euch eine Gazelle oder einen Gepard in vollem Lauf an, und Ihr versteht, was ich meine. Im Ernst, was die Jungs und Mädels mit ihren LED-Pois und Feuerreifen anstellten, überstieg beinahe mein Fassungsvermögen und ließ jede Zelle in meinem Körper laut auflachen vor Entzücken und Begeisterung, solch abgrundtiefe Schönheit sehen zu dürfen.
Mein Körper nahm all ihre akrobatischen Künste, verarbeitete und interpretierte sie in Sekundenbruchteilen und antwortete darauf mit seinen eigenen, instinktiven Schöpfungen menschlichen Ausdrucks, so wie es jeder der berauschten Tänzer dort tat.
Individuen und Egos flohen kreischend vor diesem Schauspiel, zurück blieb ein zappelnder und springender Schwarm aus Leibern vor diesem babylonischen Götzen aus Licht und Schall im schwarzen Mantel der Dunkelheit.
So in etwa male ich mir den letzten apokalyptischen Tanz kurz vor dem Fall einer verlorenen Zivilisation aus, bevor die Flut hereinbrach und die Welt erneuerte. Ein letzter taumelnder Aufschrei aus Harmonie und Hingabe an den Gott des Basses.
Ich wurde empor gehoben und schwamm in einem Ozean aus purem Glück.
Der Sound, die Lightshow, die Menge aus wabernden Körpern, alles verschwamm und verschmolz zu einem himmlischen Gedicht voller Zuneigung und Mitgefühl, voll von traurigem Verständnis.
Erinnerungen stiegen hoch, glückliche Episoden, uralt, vergessen geglaubt und doch tief drinnen beschützt und behütet, geliebte Menschen und Gesichter, sie alle wallten vor meinem inneren Auge nach oben, und ich lud sie ein, an diesem Gebet an das Leben teilzunehmen.
Minuten und Stunden zerrannen in der Zeitlosigkeit des einen vollkommenen Moments. So tanzte ich das neue Jahr, und ich hätte keine Notiz davon genommen, hätte sich zu den üblichen Gestalten in ihren flatternden Röcken, Roben, Hoodies und Plüschpyjamas, zu der irrlichternden Bühne und den funkelnden Sternen am Himmel nicht ein krachendes Feuerwerk gesellt, das nun wirklich schon fast zuviel des Guten war.
Meine Sinne waren überlastet, ich wusste nicht mehr, wohin zuerst ich schauen sollte. Wie auf ein unsichtbares und geheimes Kommando hin nahm das pochende Treiben zur Mitternacht eine neue Form der Tollheit an, die Geschwindigkeit und Intensität der Bewegungen nahm nochmals zu und erreichte eine noch höhere Ebene aus ungefilterter Energie und Feuer, volle Fahrt voraus und immer schneller, schneller, schneller!
Doch irgendwann verpuffte auch das letzte Quentchen Kraft, die Bewegungen wurden subtiler, weniger anstößig, ebbten langsam ab. Ich trat zurück und atmete tief durch, verließ den Tempel der schwitzenden Entrückung und setzte mich auf die stille Wiese jenseits des Rauschs, völlig leer und nackt.
Die Berghänge zeichneten sich dunkel ab unter dem gleißenden Vollmond, hinter dem die Sterne versagten, und es kam mir so vor, als ob meine gewohnte Realität einen Riss bekommen hätte durch die schiere Gewalt der Ekstase.
Dieser Ort hier ist so anders als alles, was ich kenne, so vollkommen und herzergreifend absurd, dass es mir schwerfällt, auch nur die Spur einer Vorstellung meiner alten Welt zu behalten. Das, denke ich, ist die größte Gefahr, die von Festivals wie der Cosmic Convergence ausgeht, nämlich dass man sich vor lauter Liebe verliert. Ich hätte bis in alle Ewigkeit und darüber hinaus auf dieser Wiese sitzen können im silbernen Zwielicht zweier Welten.
So lag ich da, unwiederbringlich verloren und sog das Mondlicht in mich auf wie ein Verdurstender in einer Wüste aus Finsternis. Ich sehe Gestalten in ihren wilden und freien Outfits, ungezügelt, wandernde Schatten und Geister der Nacht, funkelnder Raureif auf den Gräsern, das Licht eines Strahlers leuchtet und schimmert diffus zwischen wogenden Nebelschwaden und grauen Bäumstämmen hindurch und verwandelt mit seinem Hauch die Welt in einen Ort aus gespenstischer Schönheit.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht