Zu schnell? Einmal zurückblättern, sehr gern: Wie Heerscharen…
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Erst mit dem letzten Bus zuckelten wir zurück in die Stadt und belohnten uns mit einem opulenten Festmahl in einem indischen Restaurant, das von einer pakistanischen Familie geführt wurde, klare Sache. Ich weiß gar nicht mehr, was ich bestellt hatte, aber es war furchtbar lecker und die Inhaber darüber hinaus so nett, dass ich gezwungen sah, am nächsten Tag gleich nochmal dort zu essen.
Petra und Inja nicht, die durften nicht, weil die mussten am gleichen Abend noch nach Mexico City zurück, um ihren Flieger in die Heimat zu erwischen. Petra verliebte sich spontan in die Besitzerin des Restaurants, so dass sie eifrig Nummern austauschten.
Wieder eine Schwester mehr.
Das passte aber gut, denn so konnte ich deren Zimmer im „Hostal Magic“ übernehmen, da ich recht kaltschnäuzig aus meiner Bude im Don Pablo geworfen wurde. Die Schweine hatten es weiter vermietet, obwohl mir zu Beginn versichert worden war, dass ich tageweise zahlen könne, null problemo.
Also, alles in allem, geht da besser nicht hin. Bis zu dem Zeitpunkt hatte es mir in der Tat gute Dienste geleistet, aber die Aktion war nun wirklich unnötig, eine derbe Kerbe für das Establishment.
Die Leute und der generelle Vibe im Magic waren um ein Vieles angenehmer, aber gut, das war auch keine Kunst. Bis auf den etwas zu redseligen Borderliner aus den Staaten, bei dem man vorsichtig sein und das Zuhören gut dosieren musste.
Er meinte, in Mexiko habe er seine Erkrankung viel besser im Griff, einfach, weil die Menschen dort im Land im Allgemeinen viel entspannter seien als ihre nördlichen Nachbarn. Etwas ähnliches war mir mehrere Male zuvor bereits aufgefallen: so etwas wie Aussätzige oder Asoziale, zumindest im klassischen Gossensinne, schien es in Mexiko nicht zu geben.
Sicherlich, dort wie überall gingen Schwule, Lesben, Freaks, Penner, Anzugträger, Prols und Schwörer ihrem Tagewerk nach, sie existierten absolut gesehen. Sie wurden nur nicht kategorisch schlechter behandelt oder ausgeschlossen deswegen. Da ratschte die gut gestellte Hausfrau offen auf der Straße mit einem zerlumpten Bettler grade so wie mit ihrer besten Freundin, ungekünstelt und unverstellt.
Und das ist mal beeindruckend zu sehen. In Europa reden und diskutieren wir Hände ringend über Integration und scheitern dabei ein ums andere Mal, und die machen es einfach, ohne dafür einen Leitz-Ordner mit Handlungsanweisungen und gesellschaftlichen Maßnahmen zu erstellen. Es wurde ihnen praktisch in die Wiege gelegt. – Fair enough.
Trotz eines vordergründigen Stressfaktors, der also in meinem gewaltsamen Umzug begründet lag, entspann sich jedoch ein angenehmer Flow während der letzten Tage in Oaxaca. Zum Beispiel wollte ich mich davor ja schon mit den beiden im Magic treffen, um dort ein wenig herumzuschnüffeln. In Wahrheit hatte ich nämlich von außen längst ein Auge darauf geworfen.
Es war halt so, wie ein Hostel sein soll, da müssen wir nur aufpassen, dass das in sich kein Dogma wird: Hängematten, Dachterrasse, viele Pflanzen, schrullige Charaktere, ein kunterbunter Deko-Overkill inklusive Graffitis und dazu ein kaum zu verhehlender Grasgeruch, so als ob sie Marihuana-Airwicks aufgehängt hätten.
Et voilà, alles ergab sich so, wie es derzeit eben vorgesehen war.
Den Tag vor meiner Abreise nutzte ich für ein paar letzte Besorgungen, um auch meinen Rucksack wieder einmal ein bisschen zu triezen.
Das hätte ich auch locker vor meinem Abflug in Mexico City erledigen können, aber ich hatte das unbestimmte Gefühl, dass es in Oaxaca womöglich billiger sei oder ich eher das fände, wonach mir wirklich war.
Vielleicht war ich auch einfach nur ein bisschen paranoid, ich will das gar nicht abstreiten. Seinen Grund wird es allemal gehabt haben, und wenn es nur dazu diente, mir einmal mehr die grundlegende Sinnlosigkeit von unnützem Ballast vor Augen zu führen.
Aber auch dieses Mal hatte ich meine Lektion nicht gelernt, und im Gegensatz zu vielen anderen Situationen war ich in dem Zusammenhang tatsächlich sehr stolz auf mich.
Auja, und zu dem berühmten „El Tule“-Baum bin ich gefahren! Der stand in Santa Maria, quasi die Trabantenstadt von Oaxaca.
Vor ihm blieb ich auch lange und wie angewurzelt -dädä, dädä– stehen, denn dieser Unsterbliche sonnte sich dort bereits seit zwei-tausend Jahren! Den kratzt halt nix mehr, gell. Außerdem hatte er soundsoviel Durchmesser, war uiuiui Meter hoch und sah eigentlich eher aus wie ein Baumdorf, das aus mehreren Einzelstämmen zusammengewachsen war.
Sein dichtes Blätterdach wölbte sich wie eine natürliche Kathedrale über die Wälle aus Holz, die mir vorkamen wie die Mauern von Jericho.
Na schön, ich gebe es zu. Als Erstes kam mir der Name „Moria“ in den Sinn, aber das wird ja irgendwann auch langweilig.
Die dicken Äste dieses Baumwächters verloren sich im hohen Dickicht seiner Krone wie ineinander verwickelte Schlangen, aber den Rest sollen die Bilder erzählen.
Selbstverständlich wäre dieser Anblick in freier Wildbahn noch viel eindrucksvoller und ergreifender gewesen als derart eingepfercht in einem adrett quadrierten und zugeschnittenen Stadtpark, aber so sind sie, die Menschen.
Müssen immer einen Zaun um die Welt bauen. – Bin gespannt, wie sie das anstellen wollen, wenn es mal Raumschiffe gibt. – Hm? Ja, das dauert noch ein wenig. Ich mein nur, leichter wird’s nicht.
Aber erzähl das mal den nördlichen Nachbarn.
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(N)Euer Senf – mittelscharf, wenn’s geht