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Wie schön

Es ist ja allgemein bekannt, dass Überraschungen etwas für sich haben sollen, und zunächst dachte ich mir eben nicht viel dabei. In der Nähe des Parkplatzes stand ein kleines Felsentor und ein paar eingefallene Mauern, und ich dachte mir: „Ach ja, wie schön.“

Ich dachte nicht, dass da noch viel kommen würde, denn bis dahin hatte ich niemanden über Monte Alban groß reden hören. Aber daran lassen sich zwei Dinge relativ gut erkennen:

Eingeschlichen

a) sollte man sich gut überlegen, ob man in einer gegebenen Situation wirklich das Denken anfangen will; und
b) dass Menschen oft ziemlich ignorant sein können.

Besser sich nicht auf solche Dinge einlassen.
Aber vielleicht bin auch ich ignorant, da ich es vorziehe, nicht mit anderen Menschen zu reden, aus Sicherheitsgründen. Inja und Petra bildeten da die Ausnahme, die hatten sich so eingeschlichen.

Hoppla

Dann fiel mein Blick jedoch auf eine weitere Hügelkuppe weiter drüben, und ich dachte: „Hoppla, da kommt ja vielleicht doch noch mehr.“ In Wirklichkeit befand sich dort nämlich der eigentliche Eingang, es gab sogar einen Ticketverkauf sowie einige Souvenirstände mit Sombreros, allerlei Miniaturpyramiden und Maya-Kalender, obwohl es sich dabei eigentlich um eine Stätte der Zapoteken handelte.

Aber wer weiß, vielleicht hatten sie den sich abgeguckt, warum die Mühe machen, wenn sich davor schon wer hineingefuchst hat. Oder es war anders herum, da ist praktisch alles möglich, solange man keinen Archäologen fragt.
Und das lasst Ihr mal schön sein, sonst geht es Euch wie mit den Ärzten: deren Uneinigkeit ist mehr als die Summe ihrer Widersprüche.

Unendlichkeit

Den Preis von achtzig Pesos (vier Örsen) zahlte ich gern, den fand ich anständig und er gefiel mir sehr gut. So folgte ich Petra und Inja gespannt und durchaus mit ein bisschen Vorfreude auf das alte Gelände, das wir sogleich betreten sollten.
Es dauerte auch nicht lange, bis mir unmerklich und fast galant die Kinnlade nach unten in Richtung des Schwertfortsatzes meines Brustbeins sackte.

Becken

Vor mir breiteten sich über dem gesamten Areal ausladende Stufengebilde aus, die den Blick freigaben auf einen weiteren Ausläufer des Hochgebirgstales um Oaxaca, mit Hügelketten zu beiden Seiten, die sich in der Unendlichkeit trafen.
Gaah. – Einige der Treppen führten hinauf zu ehemaligen Tempeln oder hinunter in quadratische Becken, in deren Mitte sich eine Art Altar befand.

Ich weiß nicht, ob es nur daran liegt, dass uns blutige Menschenopfer in dem Zusammenhang von den Medien so derart eingebläut wurden, aber von jenem Platz schien in der Tat eine dunkle, obskure und vor allem kraftvolle Schwingung auszugehen, so dass wir inne hielten und gespannt lauschten.

Spaliere

Mei, es hätte ja auch sein können, dass sie dort nur den besten Handyempfang hatten damals. – Vielleicht auch nicht.
Was ich bis dahin den Bildern und Dokumentationen am Wegesrand entnehmen konnte, schien diese Anlage ziemlich ähnlich wie die in Teotihuacan gebaut worden zu sein, nur nicht gar so größenwahnsinnig und monumental.

Aber es reichte dicke. Um eine lang gezogene Hauptachse herum gruppierten sich links und rechts wie Spaliere eine Reihe von Plattformen, die nach Ansicht vieler gescheiter Köpfe offenbar die Behausungen von Priestern und anderen im wahrsten Sinne hochgestellten Persönlichkeiten dargestellt hatten.

Schepps

Doch anders als in der Metropole, in die später die Azteken eingezogen waren, erschien die Mitte dieses archaischen Boulevards nicht leer, denn dort befanden sich weitere pyramidenartige Bauten wie auch eine Sternwarte, die sich als einziges Gebäude, und ich denke genau zu ihrem Zweck, nicht in die strenge Nord-Süd-Achse der restlichen Anlage einfügte, sondern sich schepps und frech in der Landschaft suhlte.

Am jenseitigen Ende der Prachtstraße befand sich die eindrucksvolle Hauptpyramide, und was ihr vielleicht an Größe und schierer Gewaltigkeit noch immer fehlte, das machte sie durch ihre einzigartige Lage mehr als wett.

Springen

Denn als ich dort hinaufstieg, entfaltete sich vor mir die ganze Hochebene von Oaxaca, und mir stiegen Tränen in die Augen. Meine Seele heulte und sprang vor Freude, wahrlich, man hätte keine bessere Location für solch einen Ort der spirituellen Hingabe aussuchen können. Oder so.

Die sanften Hügelkämme rahmten das breite Plateau auf den beiden Flanken malerisch ein, bevor sie hinterm Horizont verschwanden.
Wie der Kiel eines majestätischen Schiffes erhob sich aus dessen Mitte also jener Berg, auf dessen Spitze sich die Heimstatt der Zapoteken kuschelte, so ähnlich wie Edoras, Hauptstadt der Pferdeherren, wo Theodens Halle steht.

Kuscheln

Es war einer von diesen Orten, von denen ich mich zum Schluss mit Gewalt losreißen musste, um mein Leben weiter zu leben und nicht wie eine altvordere Statue zu enden, deren Gesichtszüge von den harschen, unablässigen Windböen, die dort oben ihr Unwesen trieben, bis zur Unkenntlichkeit glatt geschmirgelt werden.

Kaum weniger beeindruckend erschien mir die Sicht am anderen Ende von Monte Alban, denn dort kuschelte sich weiter unten die Stadt in die Hänge der umliegenden Berge, während die alte Siedlung längs den Eingang in die Talebene bewachte, die ich eben umrissen hatte.

Dickichte

Was diesen Tag jedoch vollends verzauberte und aus seinem irdischen Dasein enthob, war das Spiel der gravitätischen und doch machtlosen Regenwolken mit unserer Sonne. Wie Lanzendickichte stieß sie vereinzelte Strahlen durch die Breschen in der düsteren Phalanx hindurch; wie ein goldener Vorhang, ein erstarrter Wasserfall aus purem Licht, dem der Stoff unserer Welt nichts anhaben konnte.

Haaah! Nebst einem Krieger in dem Film „300“ stand ich vor einem ganz und gar unwirklichen Gemälde unserer Welt kurz vor dem Jüngsten Gericht. Einem jener Moschushelden gleich, dem die Haut aufplatzt vor lauter Muskeln, die unter der Oberfläche vibrieren wie ein zitternder Vulkan kurz vor dem Ausbruch! – Ich spürte, wie ein hilfloser Heroismus in mir aufstieg, der nicht wusste, wohin mit sich.

Schönheit

Ich meine, ich hätte ja schlecht all die anderen Touristen niederstrecken können. Und mit was? Meinem Nagelclipper? – Nein, die konnten ja auch nichts dafür.
So blieb mir also nichts anderes übrig, als die ganze aufgestaute Energie bei mir zu behalten und wie ein summender Starkstromgenerator durch die Gegend zu bitzeln.

Deckung

Das einzige Opfer, das den Göttern der Schönheit an jenem Tage dargebracht wurde, waren, wie so oft, die Speicher und Akkus meiner schwitzenden Kamera, die sich freilich vorkommen musste wie 1986 im Höhentrainingslager kurz vor der Weltmeisterschaft.
Ich dagegen konnte meinen Zeigefinger nicht mehr spüren, konnte nicht mehr sagen, wo er aufhörte und das schwarze Plastik ihres Gehäuses begann.

Petra und ich schauten uns irgendwann nur noch verzweifelt an, weil wir dieses Spektakel, das einfach nicht aufhören wollte!, schlicht und ergreifend nicht fassen und begreifen konnten. Das war eigentlich schon nicht mehr gesund, aber genau wie die Motten im Licht konnten wir unsere Blicke ums Verrecken nicht davon abwenden.

In der Konsequenz kam es auch eher einem spontan geordneten und gestaffelten Rückzug gleich, wie wir Monte Alban am frühen Abend verließen und uns mit unseren Digicams gegenseitig Deckung gaben. Das war ein ziemlich langwieriger und komplizierter Prozess, das kann ich Euch sagen.

Opfer

Boulevard

Stufen

Breschen

Hingabe

Bitzeln

Plattformen

Hochgestellt

Hinunter

Niedergestellt

Eindrucksvoll

Pink Mexico

Behausungen

Niederstrecken

Schiffskiel

Gaah

Hügel

Schwingung

Vorhang

Schauspiel

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